Männer lassen bei der Familienplanung zu viel Verstand walten, sagt unser Kolumnist. Er plädiert für mehr beherzte Fahrlässigkeit beim Kinderzeugen.
Kürzlich traf ich einen alten Kollegen wieder. Er befand sich in einer unerfreulichen Situation: Er musste entscheiden, ob er mit seiner Partnerin ein Kind zeugen wollte oder nicht. Unerfreulich war die Situation deshalb, weil sie ihm eine Vielzahl von Optionen bot, ein Übermass an gedanklicher Freiheit. In dieser verlor er sich nun schon seit Monaten.
«Was, wenn ich in einem Jahr eine noch bessere Frau kennenlerne?», fragte er mich etwa. Ja, was dann? Und was, wenn erst in zwei Jahren? Und was, wenn sich schlussendlich herausstellt, dass die aktuelle Frau eben doch besser gepasst hätte?
Der Mensch in unserer Kultur versucht, sämtliche Fragen des Lebens mit seinem schärfsten Werkzeug zu lösen: dem Verstand. Und der Verstand ist schlau. Er verspricht auf alles eine Antwort. Hat man diese noch nicht gefunden, so spricht der Verstand: Denk stärker nach! Der Fragesteller grübelt weiter und kommt nicht vom Fleck.
So auch mein Bekannter, der die Entscheidung, ein Kind zu zeugen, von einer Erkenntnis abhängig machte, die bei ihm einschlagen sollte wie ein Blitz.
Doch nichts dergleichen geschah. «Was, wenn ich sie in fünf Jahren nicht mehr liebe?», fragte er mich bei einer weiteren Begegnung. Die Möglichkeit, dass man jemanden in fünf Jahren nicht mehr liebt, besteht bei jedem Menschen. So kommt man nie zu einem Kind. Sondern nur zu immer noch absurderen Überlegungen.
Echte Gewissheit gibt es selten. Erst die Erfahrung zeigt, ob ein bestimmter Schritt klug war oder nicht. So wie man erst mit dem Essen weiss, ob einem ein Menü schmeckt, muss man mit einer Frau erst einen Teil seines Lebens verbringen, um zu wissen, ob sie die grosse Liebe ist. Zu viele Überlegungen dienen nur dazu, den nächsten Herzensschritt zu vermeiden. Dann redet einem der Verstand Beziehungen schön, die ihr Haltbarkeitsdatum längst überschritten haben, und Menschen schlecht, die man so gern hat, dass es schon fast wehtut.
All das sagte ich meinem Bekannten. Er gab mir in jedem Punkt recht. Aber auch sich selbst gab er in jedem Punkt recht. Er war unerreichbar geworden. Und er begann von der Weltreise zu reden, die er unbedingt noch machen wollte.
Ich bin seit acht Monaten Vater – es gab keinen Plan dafür. Es ist einfach passiert. Aus dem Herzen heraus. Sowas gilt in der Regel als fahrlässig, man benutzt in diesem Zusammenhang sogar das Wort Unfall.
Doch ich bin froh, war ich nie in der Situation, in der sich mein Kollege befindet.
Hätte ich begonnen, Argumente zu sammeln, also Familienplanung zu betreiben, ich wäre nie Vater geworden. Ich hätte eine Million Gründe dagegen gefunden. Sehe ich meinen Sohn an, widerlegt er sie alle.
Thomas Meyer
Thomas Meyer (42) ist Vater eines Sohnes, Texter und Autor und lebt in Zürich. Sein letztes Buch: «Wäre die Einsamkeit nicht so lehrreich, könnte man glatt daran verzweifeln», erschien im Salis Verlag. www.thomasmeyer.ch