Schlafen
Babys, Kinder und Schlaf: Was Eltern wissen sollten
Was tun, wenn das Kind schlecht einschläft, wenn Eltern unter Schlafmangel leiden – und geht Lernen im Schlaf? 12 Fragen zum Schlaf – und Antworten von Fachleuten dazu!
Der Schlaf von Babys und Kindern beeinflusst auch die Nachtruhe der Eltern. Kein Wunder, dominiert das Thema Schlafen während der ersten Familienjahre. In diesem Artikel beantworten Experten folgende 12 Fragen:
- Wie wirkt sich die Geburt eines Kindes auf den Schlaf der Eltern aus?
- Wie überstehen Eltern die turbulenten Schlaf-Entzugsjahre?
- Wann schläft mein Kind endlich durch?
- Wie bringen Eltern abendaktive Kinder ins Bett?
- Gibt es das perfekte Einschlaf-Ritual?
- Welches Einschlaflied funktioniert besonders gut?
- Was tun, wenn das Kind nach dem Gute-Nacht-Sagen immer wieder aufsteht?
- Ist das Schlafbedürfnis bei Kindern individuell?
- Lernen im Schlaf – geht das?
- Was tun mit übermüdeten Kindern im Unterricht?
- Fällt es Jugendlichen schwerer einzuschlafen, seit es digitale Medien gibt?
- Was passiert, wenn ein Mensch länger gegen seine innere Uhr lebt?
Mit der Geburt eines Babys sinkt die Schlafdauer der Eltern rapide. Studien zeigen: Männern fehlen im Schnitt nur wenige Minuten pro Nacht, Frauen müssen durchschnittlich mit einer Stunde weniger auskommen. Schlaf wie vor der Geburt stellt sich bei Eltern mitunter erst nach einigen Jahren wieder ein, manchmal auch gar nicht. Besonders Frauen sind davon betroffen – weil sie immer noch öfter als Väter die primäre Bezugsperson sind. Was hilft: Wenn junge Eltern die Last teilen, beispielsweise abwechselnd nachts aufstehen; pumpt die Frau ab, geht das. Weiss Frau, dass Mann sich ebenfalls kümmert, schläft sie automatisch besser.
Dr. Jörg Heitmann, Somnologe, Chefarzt Klinik für Schlafmedizin KSM Luzern
Schlafentzug kann zu psychischen und physischen Krankheiten führen. Es ist deshalb nicht sinnvoll, eine lang anhaltende Schlafproblematik des Kindes zu verharmlosen – nur, weil es scheinbar in anderen Familien auch vorkommt. Eltern mit dauerhaftem Schlafentzug können nicht wirklich für ihr Kind da sein, da sie alle Ressourcen aufgebraucht haben. Ein Kind wiederum braucht die Hilfe seiner Eltern, um Schlafen zu lernen. Und Eltern brauchen manchmal die Hilfe einer Fachperson, um ihr Kind individuell und einfühlsam in den Schlaf zu begleiten.
Susanna Fischer, Sozialpädagogin und Leiterin der Familienpraxis Stadelhofen in Zürich
Etwa 30 bis 40 Prozent der Kinder haben im Laufe ihrer Kindheit Schlafprobleme. Was eine Familie dabei als Störung oder Problem empfindet, ist jedoch völlig unterschiedlich. Begleiten Eltern ihr Kind über den Gute-Nacht-Kuss hinaus in den Schlaf und gehen nach dem letzten Schritt nicht aus dem Zimmer, lernt das Kind nicht, eigenständig einzuschlafen – was es, streng genommen, zwischen dem sechsten und neunten Monat lernen kann. Wacht es dann nachts auf, ruft es nach Mama oder Papa, weil es kein selbstständiges Einschlafen gewohnt ist. Das ist keine kindliche Schlafstörung – die Eltern werden gestört. Wohlgemerkt: Das ist nicht pathologisch. Wer die enge Begleitung als schön empfindet, muss nichts ändern. Man sollte sich nur überlegen: Wer braucht es– Eltern oder Kind? Ein Stück weit haben Eltern das Durchschlafen ihres Kindes also selbst in der Hand.
Dr. Caroline Benz, Entwicklungspädiatrische Abteilung Kinderspital Zürich
Am Schlafbedarf ihres Kindes können Eltern nichts ändern. Wird der Nachwuchs früher ins Bett gebracht, als er schlafen kann, gestaltet sich das Einschlafen oft schwierig. Damit Kinder abends müde sind und gut einschlafen, muss der Rhythmus dem individuellen Bedarf angepasst werden – also morgens das Kind nicht zu lange schlafen lassen, den Tagesschlaf möglichst früh ansetzen oder kürzen. Was auch hilft: Am Vormittag draussen sein mit viel Bewegung, abends entspannen und gedämpfte Lichtquellen einsetzen.
Sibylle Lüpold, Still- und Schlafberaterin, Bern
Das Ritual muss vor allem zur Familie passen. Manche schwören auf sanfte Musik, andere aufs Familienbett, wieder andere fahren Auto, bis die Kinder schlafen. Uns war stets wichtig, dass unsere heute zweijährige Tochter selbstständig und ohne Weinen in den Schlaf findet. Wir trugen sie also nicht umher, bis sie schlief. Die Abläufe sind immer gleich – zurzeit Milchschoppen, Gute-Nacht-Geschichte und Gute-Nacht-Lied – aber wir passen diese von Zeit zu Zeit an. Unsere Tochter hatte von Anfang an ihr eigenes Bett und nach drei Monaten, als sie bereits durchschlief, ihr eigenes Zimmer. Es gibt aber immer wieder Phasen, in denen das Einoder Durchschlafen schwierig ist. Dann ändern wir das Abendritual ein wenig, ohne es komplett auf den Kopf zu stellen.
Milena Weber, Erzieherin und Tagesmutter, Oberdiessbach BE
Meinen Neffen habe ich früher zum Einschlafen immer «Under The Bridge» von den Red Hot Chilli Peppers vorgesungen. Während der 23 Jahre mit «Schtärneföifi» hatten wir unter anderem das «Schlaflied» im Repertoire. Es fängt lieblich an mit «Schlaf mis Schätzli, schlaf jetzt ii», bis es plötzlich punkig, laut und schnell wird: «Gib jetzt Rueh, mach d’Auge zue. Ich mag nümme, ich ha gnueg. De Krimi lauft, de Match fangt a. Ich will ändlich Fiirabig ha» – eignet sich also prima zum Dampf ablassen – für die Eltern!
Sibylle Aeberli, Sängerin der Kinderrockband «Schtärneföifi», Schauspielerin und Musikerin.
Ein Kind steht nicht absichtlich auf, um seine Eltern zu ärgern. In der Schlafsprechstunde versuchen wir, den elterlichen Fokus weg von dieser unterstellten Intention zu bringen. Vielleicht ist das Kind ja noch nicht müde. Um dies herauszufinden, lassen wir Eltern notieren, wann es einschläft und wie lange es schläft. Dann gilt es, die Zeiten so anzupassen, dass es nicht zu lange wach im Bett liegt. Hat das Kind wiederum Angst vor dem Abschied – auch wenn es nur für die Nacht ist – hilft am besten Routine. Immer gleiche wiederkehrende Handlungen geben Kindern unter vier Jahren Sicherheit. Sie haben noch kein Zeitgefühl und deshalb oft das Gefühl, unvermittelt ins Bett zu müssen. Gut ist, ein Buch mit einer abgerundeten Geschichte vorzulesen, in der zum Beispiel die Tiere schlafen gehen und am Morgen wieder aufwachen. Das darf ruhig jeden Abend dasselbe sein.
Dr. Caroline Benz, Entwicklungspädiatrische Abteilung Kinderspital Zürich
Ja, sehr. Es gibt zwar Durchschnittswerte, aber die Spannbreite ist gross. Mit ein bis zwei Jahren benötigt ein Kind im Schnitt zirka 11 bis 12 Stunden Schlaf. Mit 10 Jahren etwa 10 Stunden, mit 20 Jahren sieben bis acht. Doch die Abweichungen sind enorm. So liegen die tiefsten Werte von 10-Jährigen bei nur sieben Stunden Schlaf. Um herauszubekommen, wie viel Schlaf ein Kind braucht, sollte es eine Woche lang immer zur selben Zeit ins Bett gehen, ungestört schlafen und ausschlafen. Dann pendelt sich der tatsächliche Bedarf ein. Wichtig zu wissen: Wir können nicht mehr schlafen, als wir benötigen – es sei denn, wir müssen ein Schlafmanko aufholen. Erwachsene merken, wenn ihnen Schlaf fehlt, sie fühlen sich dann müde und ausgelaugt. Kinder unter zwölf Jahren geben diese Rückmeldung nicht, sie sind eher unruhig und quengelig. In der Adoleszenz verschiebt sich der biologische Rhythmus nach hinten: Jugendliche schlafen abends später ein und müssen morgens in ihrer biologischen Nacht aufstehen, um in Schule oder Ausbildung zu gehen. Die Folge: Sie schlafen viel zu kurz.
Prof. Dr. Johannes Mathis, Leiter Schlaf-Wach-Medizin, Inselspital Bern
Ja, das geht. Aktuelle Studien zeigen: Bekommen wir im Schlaf neue Wörter in einer uns unbekannten Sprache vorgespielt und werden am nächsten Tag nach diesen gefragt, können wir sie etwas besser als zufällig zuordnen. Dasselbe unbewusste Lernen im Schlaf funktioniert auch mit Tönen, Assoziationen oder Gefühlen. Die Effekte sind zwar relativ klein, zeigen aber, dass wir tatsächlich im Schlaf lernen – was lange angezweifelt wurde. Eine grössere Gedächtnisverbesserung erzielen wir, wenn wir die Vokabeln schon vor dem Schlafen lernen und sie im Schlaf erneut vorgespielt bekommen. Doch auch ohne nächtliches Anhören gilt: Was direkt vor dem Schlafen gelernt wird, bleibt besser haften. Dies bedeutet aber nicht, dass Schüler ihre Aufgaben erst kurz vorm ins Bett gehen machen sollten. Idealerweise lernen wir dann, wenn Aufmerksamkeit und Konzentration am höchsten sind– also in der Regel nicht abends – und wiederholen das Ganze vor dem Schlafengehen.
Prof. Dr. Björn Rasch, Leiter der Abteilung Kognitive Biopsychologie und Methoden, Uni Fribourg
Tatsächlich durchbrechen viele Schweizer Stundenpläne den natürlichen Schlafzyklus von Kindern und Jugendlichen. Hauptursache für müde Schüler ist deshalb der fehlende politische Wille, gesunde – also spätere – Unterrichtszeiten festzulegen. Ist ein Kind oft müde, suche ich das Gespräch mit Kind und Eltern: Was ist die Ursache für den Schlafmangel? Merken die Eltern, dass das Kind in der Schule müde ist? Besonders digitale Geräte erschweren Ein- und Durchschlafen. Sie gehören zur Schlafenszeit nicht ins Kinderzimmer.
Philippe Wampfler, Lehrer, Kulturwissenschaftler und Experte für Lernen mit Neuen Medien, Zürich
Die Zahlen sind seit den 70er-Jahren unverändert: 25 Prozent der Jugendlichen schlafen sehr gut (ein), 50 Prozent ordentlich, 25 Prozent haben Schwierigkeiten. Schlafstörungen gab es also bereits vor den digitalen Medien. Gründe dafür können Ängste und Depressionen sein. Vor allem aber ist der späte Abend oft die einzige Zeit, in der Jugendliche vor lauter Schul- und Freizeitaktivitäten Zeit für sich haben. Wer erst um 20 Uhr aus Sport oder Musikprobe kommt, kann nicht eine Stunde später bereits tief schlafen. Gleichzeitig haben Jugendliche ein grosses Bedürfnis, sich mit Gleichaltrigen auszutauschen. Dies war schon immer so, doch mit Smartphone und Co. gibt es mehr Möglichkeiten. Wem das Einschlafen schwerfällt, versucht, das Kopfkino auszuschalten, indem er Filme guckt oder mit Freunden chattet. Kurz: Digitale Medien sind nicht zwingend Ursache von Einschlafstörungen, sie können auch Symptom sein.
Serge Brand, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel
Unsere biologische Uhr lässt nachts den Blutdruck sinken und den Atem flacher werden. Zugleich gibt sie den Startschuss für Reparatur- und Erholungsprogramme. Deshalb sind Körper und Geist nachts nur schlecht zum Arbeiten zu bewegen. Wer dauerhaft gegen seine innere Uhr lebt, wird krank. Das können Depressionen oder Übergewicht sein. Eine Studie, die Krankenschwestern im Fokus hatte, die dauerhaft Nachtschicht leisteten, stellte fest, dass diese ein höheres Brustkrebsrisiko hatten. Je älter wir sind, desto schwerer fällt es uns, gegen die innere Uhr zu leben. Nicht umsonst wird empfohlen, ab 50 keinen Schichtdienst mehr zu leisten. Generell sollten wir sorgsamer mit unserem Schlaf umgehen. Wir haben verlernt, auf unseren Körper zu hören. Die meisten schätzen, dass sie sechs bis sieben Stunden Schlaf brauchen – tatsächlich ist das in der Regel zu wenig.
Dr. Jörg Heitmann, Somnologe, Chefarzt Klinik für Schlafmedizin KSM Luzern
Einst Redaktorin beim «Tages-Anzeiger», später Korrespondentin in Shanghai, schreibt Kristina Reiss heute als freischaffende Journalistin leidenschaftlich über den Mikrokosmos Familie. Dabei interessiert sie sich für alles, was Menschen bewegt – ihre Wünsche, Sehnsüchte, Ängste und Hoffnungen.