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Verwöhnte Dinger
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Ümit Yoker
Der Phantomschmerz hat nachgelassen, aber weg ist er nicht. Bald vier Jahre nach der Geburt meines ersten Sohnes stellt sich Freitag für Freitag immer noch zuverlässig die Vorfreude auf zwei Tage ungehemmten Faulenzens ein – gefolgt von einem leichten Stechen, das mich daran erinnert, dass Wochenenden, so wie ich sie einst kannte, lattemacchiatogetränkt und fernsehserienberieselt, längst aus meinem Leben amputiert worden sind.
Ich armes Ding.
Da hatte ich wohl tatsächlich gedacht, dass Kinderhaben die Krönung meiner Selbstverwirklichung wird, und jetzt stellt sich heraus: Es ist einfach das, was es immer schon war. Eine Aufgabe, die in erster Linie nicht der Glücksmaximierung der Eltern dient, sondern dem Fortbestand des Menschen im Allgemeinen und ihres Erbguts im Speziellen, eine Aufgabe, die oft anstrengend, aber immer bereichernd ist, eine riesige Verantwortung für kleine Menschlein, ein Leben, in denen das eigene Herz aus Liebe regelmässig fast zerbirst.
Kaum eine Generation vor uns hatte so viele Möglichkeiten und so viel Zeit, um das Leben den eigenen Wünschen anzupassen, schreibt die Journalistin Jennifer Senior in ihrem Buch «All Joy and no Fun» Wir sind es uns nicht gewohnt, in unserer Optimierungsfreiheit eingeschränkt zu werden. Wir haben studiert, was wir wollen, und war es doch nicht das Richtige, haben wir das Fach gewechselt. Wir haben geliebt, wen wir wollen, und machte der Mensch an unserer Seite uns nicht mehr glücklich, sind wir weitergezogen. Wir haben uns Stelle um Stelle unserem Traumjob angenähert, denn wozu sollen wir an einem Ort bleiben, an dem wir nicht unser volles Potential entfalten können?
Und dann sind plötzlich diese Kinder da. Sie bringen uns zum Lachen und reizen uns aufs Blut, sie lassen uns über unsere Kräfte hinauswachsen und treiben uns an unsere Grenzen, sie zeigen uns, wer wir sein können und wer wir lieber nicht wären. Sie lassen uns bisweilen kaum Platz für unsere eigenen Bedürfnisse, das Ausschlafen am Samstag können wir uns für die nächsten Jahre abschminken und die Sonntagszeitung brauchen wir uns auch nicht mehr zu kaufen, da sie eh ungelesen im Altpapier landet. Unsere Kinder machen uns überglücklich und ja, auch manchmal unzufrieden. Denn es ist nicht ihre Aufgabe, unseren Alltag zu optimieren, das ist es nie gewesen. Sie sind einfach unser Leben. Das grösste Geschenk überhaupt.
Ümit Yoker (Jahrgang 77) hätte nie gedacht, dass sie je einen grösseren Umzug wagt als einst den vom zugerischen Baar nach Zürich. Doch die Tochter eines Türken und einer Schweizerin sollte die grosse Liebe in Form eines Portugiesen finden, und nach ein paar gemeinsamen Jahren in der Schweiz und der Geburt von zwei Söhnen zieht die Familie 2014 nach Lissabon. Hier hat sich die Journalistin bisher noch keinen Augenblick fremd gefühlt. In ihrem Blog erzählt sie von Neuanfang und Alltag in der Ferne.