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Verflixt und zusammengenäht
Ich liege nicht häufig im Trend, aber diesmal schon. Und das nicht mal gewollt. Ich habe mich vor über fünf Jahren in eine Mutter verliebt (wenn Sie hier auf Anhieb «meine Mutter» gelesen haben, sollten Sie sich etwas mit Freud beschäftigen). Sie war verheiratet, aber getrennt, hatte bereits einen Sohn mit einem Mann, mit dem sie nur noch so wenig wie möglich zu tun haben wollte. Ich hatte eine Wohnung, einen Job, kaum Probleme und absolut keine Ahnung von Kindern. Wir kamen zusammen, blieben zusammen, zogen zusammen, erweiterten die Familie. Patchwork nennt man das heute und weil ich in einer Patchworkfamilie lebe, bin ich ungewollt trendy. In einer Zeit, in der mehr als jede zweite Ehe geschieden wird, ist das ja ach nicht abwegig. Patchwork heisst ja nichts anderes als Flickwerk: Was nicht dafür gedacht war, zusammenzugehören, wird so gut es geht zusammengehalten. Nun kann man ja sehr viel über Patchworkfamilien lesen, wenn man will; zum Beispiel Ratgeberliteratur oder Zeitungsartikel wie jenes Interview im Tages-Anzeiger am 2. Mai mit der Überschrift «Über die Hälfte trennt sich wieder». Ich habe ihn gelesen, ein paar Mal innegehalten und bin zum Schluss gekommen: Ich sollte mehr darüber nachdenken und weniger darüber lesen. Für einmal wollte ich also konstruktiv reflektieren (über meine destruktiven Gedanken wirst du hier bald noch genug lesen können) und habe mich gefragt: Was hat mir das Patchwork gebracht? Hier sind meine Learnings aus über 5 Jahren Patchwork, absolut subjektiv und ohne jeglichen Anspruch auf Allgemeingültigkeit:
- Wenn man Kinder hat, die man nicht selber gezeugt hat, ist der Schritt, eigene Kinder zu zeugen, kein so grosser Einschnitt wie für Kinderlose.
- Es war eine gute Entscheidung, nicht zu schnell zusammenzuziehen.
- Es war eine gute Entscheidung, dann doch noch zusammenzuziehen.
- Es ist schön, den Paradesatz der Patchworkfamilien («Du bist nicht mein richtiger Vater») kaum je gehört zu haben.
- Sich Liebe und Respekt von einem nicht selbst gezeugten Kind zu erarbeiten ist genauso schwer wie demselben immer Liebe und Respekt entgegenzubringen.
- Erziehen ist einfacher, wenn man selbst glaubt, gut erzogen worden zu sein.
- Gute Laune und Harmonie sind Kür, nicht Pflicht. Und richtig streiten/schimpfen/ausrasten will gelernt oder zumindest geübt sein.
- Nicht-Patchwork-Familien haben es wahrscheinlich leichter. Immerhin sind aber jene Elternteile, die keine Kinder in eine Patchwork-Familie bringen (ich), nicht derart hin- und hergerissen wie jene, die ein Kind mitbringen. Oder?
- Es ist gut und völlig in Ordnung, mit dem Ex-Mann der Freundin so wenig wie möglich zu tun zu haben.
- Eine (Patchwork-)Familie zu haben ist eine Lektion in Verzicht, Toleranz, Demut, Gelassenheit und vermutlich noch vielen weiteren sinnvollen Dingen. Nur ist man für diese Lektionen nicht immer gleich empfänglich.
- Man sollte sich nicht zu sehr an den Rollenbildern und an der Rollenverteilung orientieren, die einem die eigenen Eltern vorgelebt haben.
- Kochen ist gar nicht so schwer.
- Putzen auch nicht.
- Irgendwas ist immer.
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Reto Hunziker ist 1981 im Aargau geboren, aber das muss noch nichts heissen. Er hat Publizistik, Filmwissenschaft und Philosophie studiert und auch das muss noch nichts heissen. Er arbeitet als freier Journalist und als Erwachsenenbildner und versucht daneben, dem ganz normalen Wahnsinn in einer Patchwork-Familie (Frau, Tochter und Stiefsohn) mit Leichtigkeit und gesundem Menschenverstand zu begegnen – das will was heissen. Alle Blog-Beiträge von Reto Hunziker finden Sie hier.