Babykosmos
Wenns nicht mehr klappt: sekundäre Sterilität
Von Manuela von Ah
Die erste Schwangerschaft stellte sich problemlos ein – der Wunsch nach einem zweiten Kind aber bleibt unerfüllt. Die sekundäre Sterilität ist weiter verbreitet als vermutet.
Als Stefanie* und ihr Mann sich nach sieben Jahren Partnerschaft entscheiden, eine Familie zu gründen, ging es Knall auf Fall: Zweimal Sex und das Wunschkind war gezeugt. Stefanie war 33 Jahre alt, ihr Partner zehn Jahre älter, als Linda zur Welt kam. Jetzt sitzt Stefanie in einem hippen Zürcher Café und erzählt. Wie intensiv es sich anfühlte, ihr Baby damals zwei Jahre gestillt zu haben, wie locker sie sich Zeit nahmen, über ein allfälliges Geschwisterchen nachzudenken. Schliesslich war Stefanies eigene Mutter bei deren Geburt auch schon 43 Jahre alt.
In der Vorstellung von Stefanie gehörten zu einer Familie Kinder, mindestens zwei. Nach rund drei Jahren – Linda schlief mittlerweile besser, die elterliche Müdigkeit war verflogen – liess das Paar die Verhütung erneut weg und stellte sich auf eine baldige zweite Schwangerschaft ein.
Es kam anders als geplant. Stefanie und ihr Mann probierten es ein Jahr lang, zwei Jahre lang – eine Schwangerschaft blieb aus. Enttäuschung, Wut und Unsicherheit wuchsen, es hatte doch beim ersten Mal so gut geklappt.
Nach einem Jahr immer noch nichts
Brigitte Leeners sitzt am langen Holztisch in ihrem Besprechungszimmer, das Wärme und Geborgenheit ausstrahlt. Sie ist Spezialistin für Kinderwunsch und alle Fragen rund um die weiblichen Hormone sowie Direktorin an der Klinik für Reproduktions-Endokrinologie am Universitätsspital Zürich. Dort behandelt und begleitet sie viele Paare – auch Familien, deren Wunsch nach einem weiteren Kind unerwartet lange nicht erfüllt wird.
Wenn ein Paar bereits ein Kind hat und eine gewünschte nächste Schwangerschaft ein Jahr lang auf sich warten lässt, spricht man von sekundärer Sterilität. Kommt es zwar zur Schwangerschaft aber immer wieder zur Fehlgeburt, so handelt es sich um eine sekundäre Infertilität.
Grundsätzlich sind die Ursachen für sekundäre Sterilität dieselben wie bei der primären Sterilität. Dazu gehören fehlende, verschlossene oder beschädigte Eileiter, Störungen der Eizellenreifung wie etwa durch ein Polizystisches Ovarsyndrom (PCOS), Störungen bei der Einnistung durch gutartige Muskelknoten der Gebärmutter (Myome) oder Endometriose. Letztere bildet krankhafte Gewebewucherungen ausserhalb der Gebärmutter und für die Befruchtung hinderliche Vernarbungen. «Neuste Forschungen zeigen zudem, dass Endometrioseherde Substanzen ausschütten können, die sowohl die Eizellenqualität als auch die Gebärmutterschleimhaut beeinflussen», erklärt die Reproduktionsmedizinerin. Beim PCOS wiederum kann die Eizellreifung blockiert werden, weil durch eine überdurchschnittlich hohe Anzahl von Eibläschen eine ungünstige Hormonkonstellation für eine Eizellenreifung vorliegt, sodass der Eisprung ausbleibt. Auch Chlamydieninfektionen können – bereits eine erste – Schwangerschaft verhindern.
Alter spielt eine Rolle
Beim Mann liegt die Ursache für Unfruchtbarkeit in einer reduzierten Spermienqualität, er hat zu wenige, zu wenig bewegliche oder zu wenig normal geformte Spermien. Gut zu weissen: Die Ursachen für die ungewollte Kinderlosigkeit liegen ungefähr gleich häufig auf männlicher wie auf weiblicher Seite. Wegen Stress und Schlafmangel kommt allenfalls auch der Sex zu kurz – immerhin kann das Leben schon mit nur einem Kind hochgetaktet sein.
Stefanie und ihr Mann versuchten es ein weiteres Jahr ohne Unterstützung – und ohne Erfolg. Erst dann liessen sie sich in einem Kinderwunschzentrum umfassend abklären. Trotz seiner fast 50 Jahre zeigte das Spermiogramm von Stefanies Mann keine Anomalien. Auch bei Stefanie, damals gegen 40 Jahre alt, sprach medizinisch eigentlich nichts gegen eine weitere Schwangerschaft. Aber weder Hormone, noch Kräutermedizin oder Traditionelle Chinesische Medizin verhalfen zum Wunschkind.
Laut Brigitte Leeners spielt das Alter eine wesentliche Rolle, ob eine Frau schwanger wird oder nicht. Das Durchschnittsalter der Frauen in der Schweiz liegt bei der ersten Schwangerschaft bei 32 Jahren. Doch schon ab 36 Jahren sinkt die Fruchtbarkeit und Wahrscheinlichkeit für Frauen ein Kind zu bekommen markant. Hinzu kommt: «Je älter eine Frau ist, desto höher ist der Anteil der Zellen, die genetisch nicht in Ordnung sind», gibt Brigitte Leeners zu bedenken. Es wird sowohl schwieriger, schwanger zu werden, als auch schwanger zu bleiben. Die Fehlgeburtsrate steigt extrem.
Brigitte Leeners, Reproduktionsmedizinerin
Psychischer und sozialer Druck
Das Risiko für eine Fehlgeburt liegt auch bei jungen und gesunden Paaren bei etwa 20 Prozent. Bei Mitte 40-jährigen Frauen enden 70 bis 95 Prozent der Schwangerschaften in Fehlgeburten. Der Grund liegt meist in einer genetischen Störung des Embryos.
Der Ablauf der Kinderwunschbehandlung bei sekundärer Sterilität erfolgt analog der Behandlung bei primärer Sterilität: Bei der Frau werden im Rahmen einer Sterilitätsabklärung die Hormone und Infektparameter bestimmt, ein Ultraschall, eine Hydrosonografie (Beurteilung der Gebärmutterhöhle) und eine Durchlässigkeitsprüfung der Eileiter durchgeführt, und beim Mann das Spermiogramm und die Infektparameter analysiert.
Danach folgt auf Basis der Untersuchungsergebnisse zusammen mit dem Paar der Entscheid, ob die Unterstützung der Eizellenreifung, Geschlechtsverkehr nach Plan und intrauterine Insemination sinnvolle Wege sind oder ob eine IVF oder Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) vorzuziehen ist.
Der psychische und soziale Druck setzte Stefanie und ihrem Mann zu. Verwandte und Bekannte fragten oft unverhohlen direkt, ob sie denn kein zweites Kind wollten. Das verletzte. Zumal die Nachfragenden manchmal das Bild des verwöhnten Einzelkindes heraufbeschworen. Stefanie empfand es zunehmend als Makel, nur ein Kind zu haben. «Wenn ich Familien mit zwei oder drei Kindern sah, fühlte ich mich jedes Mal richtig unvollständig und traurig.»
Kinderwunschfilm im Kopf
Kinder zu haben ist bei manchen Menschen ein archaischer Wunsch. Und manchmal ist der Wunsch nach einem zweiten, dritten oder vierten Kind genauso gross wie der nach dem ersten. Auch Brigitte Leeners begegnet immer wieder Paaren, die verzweifelt sind: «Gerade, weil das erste Kind so problemlos zur Welt kam, stehen sie fassungslos vor der Tatsache, dass es mit einem weiteren Kind nicht klappen will.» Die Reproduktionsmedizinerin mit Weiterbildung zur Psychotherapeutin bietet mit ihrem Team deshalb Coachings oder psychotherapeutische Unterstützung für Betroffene an. Denn im Gegensatz zu Paaren mit ganz unerfülltem Kinderwunsch, stossen Paare mit sekundärer Sterilität oft auf wenig Verständnis für ihren Schmerz und ihre Trauer. Das Umfeld erwartet, dass sie sich mit einem Kind zufrieden geben. Sie leiden still.
Schlussstrich
Stefanie konsultierte nie eine Psychologin. Sie erkannte auch ohne psychotherapeutische Unterstützung: Genug ist genug. Nach jahrelangem vergeblichem Warten auf eine zweite Schwangerschaft – mittlerweile war sie 42 Jahre alt – zog Stefanie die Bremse. Das ewige Pendeln zwischen Hoffnung und abgrundtiefer Enttäuschung zermürbte sie. Sie wollte einen Schlussstrich ziehen. «Für mich war es rückblickend eine furchtbare Zeit, immer nur diesen Kinderwunschfilm im Kopf zu haben.» Jetzt, mit mittlerweile fast 48 Jahren, hat sich Stefanie versöhnt mit ihrem Schicksal. «Wir hatten auch sehr herausfordernde Zeiten mit Linda, und finanziell hätte uns ein zweites Kind wohl übermässig belastet», sagt sie sich heute.
Statt sich endlos dem quälenden Kopfkino auszusetzen, hat Stefanie gelernt zu schätzen, was sie hat: Ein Leben mit ihrer kleinen Familie, einen erfüllenden Job. Und einen Schrebergarten, in dem sie gleich reife Beeren pflücken wird.
Medizinische Fachbegriffe
Endometriose
Ausserhalb der Gebärmutterhöhle liegende Gebärmutterschleimhaut, die Narben verursachen kann. Häufige Ursache von ungewollter Kinderlosigkeit.
Follikelpunktion
Gewinnung von Follikelflüssigkeit und Eizellen aus dem Eierstock.
FSH (Follikelstimulierendes Hormon)
Von der Hirnanhangsdrüse ausgeschüttetes Hormon, das die Eizellreifung im Eierstock anregt. FSH kann künstlich hergestellt und für eine Unterstützung der Eizellreifung eingesetzt werden.
HCG (Humanes Chorion-Gonadotropin)
Schwangerschaftshormon. Es wird zur Feststellung einer Schwangerschaft im Urin oder Blut gemessen. HCG führt wie LH zum Eisprung. Da die Herstellung von HCG einfacher ist als von LH, wird es anstelle von LH bei Kinderwunschbehandlungen als Medikament zum Auslösen des Eisprungs eingesetzt.
ICSI (Intracytoplasmatische Spermieninjektion)
Befruchtung in einem Kulturmedium ausserhalb des Körpers. In einer Nährlösung wird eine einzelne Samenzelle direkt in die Eizelle gegeben.
IVF (In-Vitro-Fertilisation)
Befruchtung in einem Kulturmedium ausserhalb des Körpers. In einer Nährlösung werden viele Samenzelle zu einer Eizelle gegeben.
LH (Luteinisierendes Hormon)
Von der Hirnanhangsdrüse ausgeschüttetes Hormon, das den Eisprung auslöst.
Präimplantationsdiagnostik (PID)
Entnahme und genetische Untersuchung einer oder mehreren Zellen aus einem Embryo oder einer Blastozyste.
Spermiogramm
Untersuchung des Samenergusses auf Zahl, Beweglichkeit und Form der Spermien. Zusätzlich können anderer Marker bestimmt werden.
Sterilität
Kein Eintreten einer Schwangerschaft nach einem Jahr mit regelmässigem und ungeschütztem Geschlechtsverkehr. Bei Frauen über 35 Jahren ist die Aufnahme von Abklärungen bereits nach 6-monatigem Ausbleiben einer Schwangerschaft sinnvoll. Teilweise wird für den Begriff «Sterilität» die Bezeichnung «Infertilität» verwendet.
Quelle: Informationsbroschüre des Universitätsspital Zürich