Familienauszeit
Länger ins Ausland mit Schulkindern
Die Kinder aus der Schule nehmen und richtig weit wegfahren: ein Traum, den sich immer mehr Familien erfüllen. Unsere Autorin hat es ausprobiert und zwei Familien befragt, wie es ihnen ergangen ist.
Sechs Wochen USA: Familie Jucker Speck
Wenn ein Gesuch bei mir eintrifft, überprüfe ich den Dispensionsgrund gemäss §29 der Volksschulverordnung und frage dann die Klassenlehrperson, ob etwas dagegen spricht. Die Lehrperson weiss am besten, ob das schulisch möglich ist und kennt die familiäre Geschichte», sagte unsere Schulleiterin, als ich bei ihr nachfrage, ob das einfach so geht, die Mädchen für mehrere Wochen aus der Schule zu nehmen? Ein aussergewöhnlicher Anlass im Umfeld der Schülerin oder des Schülers sei immer ein guter Grund, sagte sie mir. Unser Plan war es, zusammen mit unseren Töchtern einen sechswöchigen Roadtrip entlang der Ostküste der USA zu machen.
Mit viel Hausaufgaben im Gepäck
Bereits 2017 verbrachten wir ein paar Wochen auf Hawaii und in Portland. Unsere ältere Tochter besuchte die 2. Klasse und die Kleine war in der Kita. Schon damals reisten wir mit Hausaufgaben im Gepäck und so wussten wir, dass wir auch dieses Mal genügend Raum für die Schule einräumen müssen. Denn das war Teil des Deals. Die Schulleitung hatte unsere Gesuche bewilligt, aber im Antwortschreiben war klar formuliert, dass wir während der Auszeit für die schulische Förderung unserer Kinder verantwortlich sind. Dieses Jahr war das immerhin Schulstoff der 2. Klasse und der 1. Sek. Beide Mädchen hatten eine dicke Mappe mit Fotokopien und Übungsheften dabei. Das nahmen wir aber gerne in Kauf, denn wir alle hatten bei der letzten Reise als Familie nachhaltig von dieser Auszeit profitiert.
Roadtrip an der Ostküste
Im Frühling 2023 zog es uns dann an die Ostküste der USA. Wir starteten in Miami und machten einen sechswöchigen Roadtrip bis nach New York. Die Reise bot alles, was wir uns erhofften: Sonne, Strand und Meer, viel Natur, aber auch coole Städte. Unsere Reise-Highlights lassen sich kaum an einer Hand abzählen, aber ich versuchs trotzdem: Das Wynwood District in Miami, die einsamen Strände auf Sanibel Island, Kanufahrten bei Titusville oder Quartiere von Brooklyn.
So gehts
Dispensationsgesuch
Relevant ist §29 der Volksschulverordnung (VSV), wo mögliche Dispensationsgründe aufgeführt sind. Am Ende entscheidet jede Schule individuell. Bei einer Absenz von mehr als 12 Schulwochen muss man das Kind ganz von der Schule abmelden.
Wohnungstausch
Ein grosser Vorteil im Vergleich zu Airbnb und Ferienwohnungen. Viel persönlicher, günstiger und toller. Plus: Die eigene Wohnung wird bewohnt und versorgt.
homeexchange.com
Post zurückbehalten
Je nach Dauer der Reise kann man die Post auch umleiten lassen.
post.ch/de/empfangen/ferien-undabwesenheit
Zusatzversicherungen abschliessen
Empfiehlt sich vor allem für die Automiete in den USA. Impfstatus und Gültigkeit der Pässe frühzeitig überprüfen.
Telefon und Internet
Roaming-Pakete schon in der Schweiz lösen oder ein zusätzliches Handy mitnehmen für eine günstigere Prepaidkarte vor Ort.
Zahlungsmittel
Kreditkartenlimite anpassen und den Anbieter informieren, dass man verreist. Möglichst viele verschiedene Zahlungsmittel mitnehmen.
Claudia Jucker
Besser mal länger an einem Ort bleiben
Auf unserem Roadtrip erlebten wir häufige Ortswechsel und sehr lange Autofahrten. Die vielen Stunden nutzen die Kinder für ihre Hausaufgaben. Zum Glück funktionierte das ohne grosses Raunen und ohne Ablenkung, was nicht zuletzt dem fehlenden Wi-Fi zu verdanken war. Beide hatten sich vorab einen Plan gemacht, wann sie was erledigen würden. Das klappte erstaunlich gut. Soviel zur Selbstorganisation. Dennoch habe ich festgestellt, dass es den Kindern manchmal zu hektisch war und sie lieber länger an einem Ort geblieben wären, um einfach mal zu sein oder für ein paar Stunden ohne Sightseeing-Unterbrechung am Tagebuch zu arbeiten. Das haben wir unterschätzt.
So genossen wir dank Wohnungstausch eine Woche, in der wir ein Haus mit Pool für uns alleine hatten. Ich würde beim nächsten Mal keine Hotels mehr buchen, sondern nur noch Ferienwohnungen. Trotzdem war auch unsere zweite Auszeit ein voller Erfolg. Die Lehrerin meiner jüngeren Tochter schrieb mir einige Wochen nach unserer Rückkehr eine Nachricht: «Sie ist sehr motiviert und konzentriert. Die USA-Ferien waren auf jeden Fall das Richtige.» Auch von den Lehrpersonen der 1. Sek kam positives Feedback. Reisen ist eben doch die beste Lebenschule.
Zehn Wochen Japan: «Jetzt haben die Kinder Fernweh.»
«Es war erstaunlich einfach, unsere Kinder aus Kindergarten und Schule zu nehmen. Insgesamt waren es sieben Schulwochen plus Schulferien. Gwens Lehrerin hatte ein Mäppchen mit Hausaufgaben und ein Reisetagebuch vorbereitet. Wir arbeiteten den gesamten Mathematikstoff durch, den ihre Klasse in dieser Zeit durchgenommen hat. Dafür nahmen wir uns zweimal pro Woche Zeit und zogen uns für ein paar Stunden zurück. Das war nicht ganz einfach. Gwen fand es nicht gut, dass sie während der Ferien alleine lernen musste und fühlte sich ungerecht behandelt, weil Fannie keine Hausaufgaben hatte. Wir haben dann jeweils auch eine kleine Aufgabe für die kleine Schwester erfunden und so gings.
Der schönste Auftrag der Schule bestand darin, drei Mal während der ganzen Reise ein kleines Video aus Japan an Kindergarten und Schulklasse zu schicken. Einmal filmten wir die grosse Strassenkreuzung in Shibuya und die Mädchen erklärten, was sie da beobachtet hatten. Ein anderes Mal stellten sie einen Getränkeautomaten vor. Sie sind typisch für Japan und an jeder Ecke mit heissen und kalten Getränken anzutreffen. Das dritte Mal erklärten sie, wie man in Japan übernachtet. Man schläft dort nämlich auf Tatamis – Matten aus Reisstroh. Es kamen viele Fragen von den Kindern aus der Schweiz und wir haben uns alle sehr über diesen Austausch gefreut.
Die Sorgfalt in Japan hat uns beeindruckt
Was wir von Japan gelernt haben? Aufeinander achtzugeben. Anderen Personen gegenüber respektvoll und aufmerksam zu sein. Wir haben mit vielen alten Menschen gesprochen, die sehr fit und vital waren. Sie sind voll integriert in das soziale Leben. Das würden wir hier gerne mehr umsetzen. Der Gemeinschaftssinn fehlt uns zum Teil in der Schweiz. Wenn in Japan jemand etwas kreiert oder einer Arbeit nachgeht, sei sie noch so banal, dann immer mit sehr viel Sorgfalt, Stolz und Freude. Es sind zum Teil kleine Dinge, wie einen Donut zu backen oder den Shinkansen (Hochgeschwindigkeitszug) zu putzen. In Japan merkt man die Liebe zum Detail dem meist perfekten Resultat einfach an. Das fasziniert uns endlos.
Wir haben auch gemerkt, dass Gwen und Fannie durch das Reisen auf ihre Art mutiger und selbstständiger geworden sind. Das fiel auch den Lehrpersonen und ihren Freund:innen auf, als wir wieder in der Schweiz waren. Wir wollten den Mädchen auf unserer Reise durch Japan eine andere Art von Gesellschaft und Kultur zeigen. Die Kinder haben zum ersten Mal Fernweh entwickelt, was uns sehr gefreut hat. Es ist eigentlich das schönste Kompliment, wenn sie von sich aus sagen, wie sehr es ihnen gefallen hat und dass sie so gerne mal wieder zurück nach Japan möchten. Unser Tipp? Keine Angst haben, dass etwas nicht funktioniert. Eine Auszeit ist immer das, was man daraus macht. Klar braucht es manchmal Geduld und Selbstreflexion, aber man erweitert damit den eigenen Horizont. Es ist ein Erlebnis, von dem man noch ganz lange zehren kann.»
Fünf Wochen Costa Rica: Auszeit für alle
Fünf Wochen Costa Rica: Auszeit für alle
«Wir wählten Costa Rica, damit wir uns frei bewegen konnten. Wir sind mit einem grossen Offroad-Jeep mit Dachzelt gereist. Eine ungefähre Route, wo wir hin wollten, hatten wir. Aber die war nicht punktgenau. Wir haben viel im Fahrzeug geschlafen, zwischendurch aber auch im Hotel. Wir haben es sehr geschätzt, zwischen den Bulletpoints zu reisen und alles, was dazwischen war, offenzulassen. Das hat uns auch gezeigt, dass es die Art von Reisen ist, die wir mögen. Früher, als die Kinder kleiner waren, mieteten wir jeweils ein Haus mit Pool. Jetzt wollen wir nur noch rein in die Natur und möglichst weg von der Zivilisation.
Anfangs dachten wir, wir müssten konsequent sein und einmal am Tag Schule machen. Je länger wir unterwegs waren, desto weniger haben wir es durchgezogen. Wir haben die Kinder einfach daran erinnert, dass sie mal wieder Hausaufgaben machen könnten. Während der Reise haben wir erfahren, dass wir die Reise um eine Woche verkürzen mussten, um eine Woche in Quarantäne zu gehen. So haben wir die meisten Hausaufgaben auf diese Woche verschoben und das ging am Ende ganz gut auf.
Familie Deiss
Laurin hatte es vor den Ferien nicht einfach in der Schule. Während der Reise verflogen seine Kopfschmerzen und Schlafprobleme und wir begriffen, dass wir dringend etwas ändern mussten. Unterwegs haben wir zusammen angeschaut, was es für Alternativen geben könnte. Die Entscheidung, dass Laurin auf eine Privatschule wechseln würde, fiel erst nach den Ferien. Die Entschleunigung des Reisens war ein bisschen wie eine Familientherapie. Wir hatten genügend Ruhe, um uns mit uns als Familie und als Individuen auseinanderzusetzen und unsere Bedürfnisse wahrzunehmen. Die Auszeit schaffte eine Art Reset-Situation.
Nicht abschrecken lassen
Wir würden die Kinder jederzeit wieder aus der Schule nehmen und würden sogar noch länger gehen. Unser Tipp? Einfach machen! Sich nicht von der Bürokratie abschrecken lassen und offen mit der Schule kommunizieren. Man muss es tun, um die eigene Familie in den Vordergrund zu stellen.
Wir können nicht konkret sagen, was die Kinder mitgenommen haben. Aber bestimmt sehr viele Eindrücke. Sie sagen immer wieder, dass sie wieder gehen wollen. Wir denken, es ist das Freiheitsgefühl, einfach mal ohne Druck zu sein. Wir als Eltern waren darüber verblüfft, dass sich die Kinder nach der Reise praktisch nicht mehr gezofft haben. Ob es daran lag, dass sie fünf Wochen zusammen im Dachzelt geschlafen haben, wissen wir nicht. Aber für das Geschwister-Bonding war diese Reise extrem gut. Eine andere Erkenntnis ist, dass wir unsere Wochenenden viel weniger vollpacken, als vorher. Wir halten uns das Wochenende bewusst frei. Das hatten wir davor nicht gemacht. Wir sitzen nicht einfach rum, aber wir machen mehr für uns. Hauptsache raus aus dem Hamsterradmodus.»