Markus Theunert
«Teilzeitmänner gelten als halbe Portionen»
wir eltern: In Ihrem Buch «Männerpolitik. Was Jungen, Männer und Väter stark macht», schreiben Sie, dass Sie jung, romantisch und frisch verliebt beim ersten Kuss dachten, dass Sie jetzt ja keine Erektion bekommen dürften.
Markus Theunerts: Ja, ich dachte, das wäre frauenfeindlich.
Ein paar Jahre später waren Sie nicht mehr ganz so jung und so romantisch. Die Frau dafür schön und wild entschlossen. Und Sie dachten, dass Sie unbedingt eine Erektion bekommen müssten. Alles andere wäre unmännlich.
Mit diesem szenischen Einstieg wollte ich zeigen, dass ich klare Vorstellungen davon hatte, was männlich und was unmännlich ist. Im ersten Fall: Ein Mann hat keine Erektion, weil er lieb und verständnisvoll ist Und im zweiten Fall: Ein Mann hat immer eine Erektion, sonst ist er ein Schlappschwanz.
Wann ist ein Mann nun ein richtiger Mann?
Wenn er sich keine solchen Gedanken mehr macht, sondern sein Mannsein mit Lust und Freude in allen Facetten auslebt. In denen, die gesellschaftlich als männlich akzeptiert sind und auch in denen, die als «weiblich» wahrgenommen werden.
Anscheinend tun sich die Männer damit schwer. Sonst bräuchte es Sie nicht als Männerbeauftragten?
Die gesellschaftlichen Rollenvorstellungen machen nicht nur Frauen das Leben schwer, sondern auch Männer leiden unter fixen Vorgaben.
Der Mann als Ernährer der Familie macht den Männern Kopfweh?
Ja, und nicht nur mit Blick auf sein Dasein in der Familie. Die Leistungserwartungen an einen Mann ziehen sich durch alle Lebensbereiche. Ein Mann hat immer und überall volle Performance zu zeigen und alles im Griff zu haben. Wer vom gesellschaftlichen Ideal abweicht, wird sanktioniert, indem er milde belächelt oder von der Karriereleiter geschupst wird. Ein Teilzeitmann ist noch immer nur eine «halbe Portion».
Dafür hat er mehr Zeit für die Familie. Heute sind Familienväter zu Hause ja eine Rarität. Wieso leisten sie hier nicht die volle Performance?
Teilzeitmänner sind rar, engagierte Väter aber zusehends normal. Aber es ist schon fürso: Im häuslichen Bereich sind keine Lorbeeren
zu holen
Funktionieren Männer nur mit Belohnungsanreizen?
Jedenfalls besser als auf Druck.
Markus Theunert
Wie wollen Sie denn Ihre Geschlechtsgenossen für gleichgestellte Beziehungen begeistern?
Ich will ihre Leidenschaft für das historische «Projekt Gleichstellung» wecken.
Und wie wollen Sie diese wecken dafür, ein schreiendes Kind zu besänftigen, Erbrochenes wegzuwischen oder ein Klo zu putzen?
Indem man Männerbilder gesellschaftlich so weit pluralisiert, dass für alle klar ist: Auch fürsorglich sein oder Haushaltsarbeiten zu erledigen ist männlich.
Warum brauchen Männer dazu erst das Okay der Gesellschaft?
Weil sie sich in erster Linie an anderen Männern orientieren. Sobald ein Wettbewerb entsteht darüber, wer der beste, fürsorglichste Vater ist, kommt die Gleichstellung im Eilzugstempo voran.
Sie selber sind nicht Vater. Wollen Sie es mal noch werden?
Muss nicht sein, darf aber sehr gerne!
Und Sie würden sich Haushalt und Erwerb mit der Partnerin teilen?
Ja, die Verantwortung für Geld und Fürsorge würde ich gerne mehr oder weniger hälftig teilen.
So weit sind viele Paare. Doch sobald ein Kind da ist, fallen sie ins alte Rollenmuster. Selbst Anwältinnen mutieren plötzlich zu Vollzeitmamis. Wie geben Sie da als Männerbeauftragter Gegensteuer?
Mein Auftrag ist es, im Kanton Zürich auf die tatsächliche Gleichstellung von Frau und Mann in allen Lebensbereichen hinzuwirken. Die Massnahmen dazu sind noch auszuarbeiten.
Aber im Grossen und Ganzen sind Männer doch ganz zufrieden damit, wie es heute läuft. Die meisten sind doch froh, an den Arbeitsplatz flüchten zu können. Sie sourcen die Fürsorge lieber aus.
Ja, die familienexterne Tagesbetreuung birgt die Gefahr, dass Väter aus der Verantwortung entlassen werden. Aber dass die Männer keine Veränderungswünsche hätten, stimmt nicht. Der Wunsch nach Teilzeitarbeit ist beispielsweise weit verbreitet.
Und wie wollen Sie den Männern das Kinderhüten schmackhaft machen?
Indem ich sie mit ihren Gleichstellungsanliegen ernst nehme – und sie ermutige, ihren ganz eigenen Stil des Bevaterns zu entwickeln. Die Frage ist, wie es gelingt, dass der Wunsch nach gleichberechtigter Partnerschaft und Familie zu einem eigenen Wunsch der Männer wird. Sobald das so ist, organisiert sich das von alleine.
Markus Theunert, 39, ist der erste Männerbeauftragte des Kantons Zürich. Er ist Präsident des Dachverbands Schweizer Männerorganisationen maenner.ch, Gründer der Männerzeitung.ch und Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen. Daneben ist er Inhaber der Beratungsfirma Social Affaires GmbH und bietet unter dem Namen Quellpunkt psychologische Beratungen und «Seminare für wache Erwachsene» an. Theunert hat eine Lebensgefährtin und lebt in der Stadt Zürich.
Heute sitzen Männer an den Schalthebeln der Macht und verdienen deutlich mehr. Sie können doch nur verlieren.
In den klassisch männlichen Wertkategorien – Macht, Sex, Geld – gibt es für sie zwei Dinge zu verlieren: Macht und Geld. Aber es gibt vieles zu gewinnen in gleichberechtigten Partnerschaften. Unter anderem besseren Sex, wie Untersuchungen zeigen. Und mehr Gesundheit, schöpferische Entfaltung und Bezug.
Immer mehr Männer kommen auf den Geschmack. Und ein Kulturwandel zeichnet sich bereits ab. Väter von kleinen Kindern engagieren sich heute acht Stunden mehr daheim pro Woche als noch vor zehn Jahren.
Woran leiden Männer eigentlich heute am meisten?
An der Vielfalt, Widersprüchlichkeit und der Strenge der Ansprüche. Es wird völlig ausgeblendet, was sie alles leisten, zum Beispiel zwei Drittel der Erwerbsarbeit. Und wie bemüht sie sind, den Ansprüchen von Frauen gerecht zu werden, wonach sie fürsorgliche Väter sein sollen und einfühlsame Partner.
Sind die Männer die Opfer der bisherigen Gleichstellungspolitik?
Nein, aber sie sind herausgefordert durch die gesellschaftlichen Veränderungen, die durch die Emanzipationsbewegung der Frauen angestossen worden sind. Und was ich feststelle, ist, dass sie sich bisher weitgehend davor drücken.
Wie wollen Sie die Männer aus der Reserve kitzeln?
Ich möchte Männer darin unterstützen, sich gegenseitig zu ermutigen und zu ermächtigen, das zu tun, was sie wirklich wollen. Sie sollen weniger äusseren Ansprüchen folgen und mehr dem inneren Kompass.
Heute wächst ein kleiner Bub aber doch genau mit den tradierten Rollenbildern auf. Die meisten Mütter sind zu Hause und der Papa arbeitet.
Ja, klar, das reproduziert sich. Es beginnt noch früher. Untersuchungen zeigen, dass Eltern mit neugeborenen Buben lauter sprechen als mit Mädchen, unbewusst. Jungs kann man härter anpacken. Das sind Prägungen, die ganz tief sitzen. Auch die aufgeklärtesten Mütter und Väter geben ihren Kindern Rollenstereotypen weiter. Und in der klassischen Bildungskarriere heutiger Kinder taucht mit einiger Wahrscheinlichkeit bis zur Oberstufe kein Mann auf. Kinder lernen, dass die Männer irgendwo in einer fernen Arbeitswelt tätig sind. Und dass Frauen die sind, die für den Alltag und die Fürsorge zuständig sind. Extrem ungünstig. Und drum braucht es Männerpolitik. Als Appell an die gesellschaftlichen Verantwortungsträger, Rahmenbedingungen zu schaffen, die effektiv die Pluralität von männlichen und weiblichen Lebensentwürfen zulässt. Darauf arbeite ich hin. Wenn wir soweit sind, ist mein Job erledigt.