Es gab andere Frauen in seinem Leben – vorher. Kein Problem, eigentlich. Es sei denn, der «emotionale Haken» ist noch nicht ganz gelöst.
Die Fotos zeigen es: Schon vor Jessy gab es jemanden an seiner Seite. Wenn Jessy die Bilder anschaut, die ihren Mann mit einer hübschen, ernsthaften Frau zeigen, ist sie jedes Mal etwas irritiert. Nicht dass sie eifersüchtig wäre, schliesslich sind die Fotos Jahre alt. Und trotzdem ist es für sie merkwürdig, sich vorzustellen, dass Martin mit einer anderen Frau in die Skiferien fuhr, eine gemeinsame Wohnung einrichtete, für sie kochte. «Warum stellst du dir das denn überhaupt vor?», fragt Martin, wenn sie ihn nach Einzelheiten fragt. Für ihn ist das Vergangenheit. Er will nicht darüber reden. Dass genau diese Frau seit Kurzem in der gleichen Firma wie Martin arbeitet – ja und? «Wir sind halt jetzt Kollegen, was ist schon dabei?», sagt Martin. Jessy beunruhigt genau dieses Ausweichen, wenn sie nachfragt. Ob sie ihm vielleicht immer noch gefällt, seine «Kollegin»? Werden da nicht alte Gefühle wach, wenn man sich regelmässig sieht? Sie versteht selbst nicht, was für ein giftiger Stachel plötzlich ihr Herz piekst. Natürlich gab es vor ihr andere Frauen in seinem Leben. Schliesslich war er bereits dreiunddreissig, als sie sich trafen. Wäre doch komisch, wenn er bis dahin wie ein Mönch gelebt hätte. Soll er nun alle Fotos verbrennen, die ihn mit Verflossenen zeigen? Die Erinnerungen im Kopf löschen wie eine Festplatte?
Liebe will Ausschliesslichkeit
Ja, doch: Die Vorstellung, der geliebte Mann habe einzig auf mich gewartet und keine andere hätte ihn je interessiert, ist wunderbar romantisch. Dass eine andere das in der Vergangenheit genau so gesehen haben könnte, zerstört dieses Bild. Denn wenn jener Verbindung ein Ende beschieden war – könnte das unserer nicht auch drohen?
Liebe will Ausschliesslichkeit. Wir wollen der Mittelpunkt im Leben des Partners sein. Gerade Frauen entwickeln deshalb ein besonders feines Gespür dafür, wenn alte Geschichten noch nicht wirklich abgelegt sind. «Es klingt lächerlich», sagt der Psychologe und Autor Stephan B. Poulter, «aber wir alle kennen Menschen, die viele Jahre nach der Trennung immer noch emotional ihre Expartner mit sich herumschleppen.» Diesen «Ex-Faktor» (sein gleichnamiges Buch ist im Beltz Verlag erschienen) bestimmt er als «Akkumulation verlorener Träume, gebrochener Versprechungen, Desillusion, Reue, emotionale Rückschläge, Verdrossenheit über ehemalige Liebespartner und unrealistische Erwartungen». Die «Exen» können ganz schön lange als Stolpersteine im Weg liegen und ein neues Liebesglück behindern.
Wäre Theo jetzt mit Britta zusammen, wenn Tanja ihn nicht auf so perfide Art abserviert hätte? War Britta damals nur zweite Wahl? Hätte er nicht viel lieber mit Tanja eine Familie gegründet? Oder Jan und Nina: Ständig streiten sie sich, weil Jans Kinder von seiner Ex instrumentalisiert werden, um ihm eins auszuwischen. Und jedes Mal kuscht Jan und macht, was sie will. Nina hat mittlerweile das Gefühl, eine «Ehe zu dritt» zu führen. Der Ballast der Vergangenheit macht ihre Liebe erdenschwer.
«Lassen Sie ihren Ex los», rät Stephan Poulter, «Ihr Leben entwickelt sich in dem Moment ohne Behinderungen, Angst und Spannungen weiter, wenn Sie Ihren emotionalen Haken von Ihrem Expartner gelöst haben. Eine fixe Beschäftigung mit dem Expartner ist oft nur ein bequemer Weg, in seinem eigenen Leben keinen Schritt nach vorn zu tun.» Auch Wut ist ein emotionales Band – manchmal haltbarer als jede Zuneigung. Solange die Expartnerin so viel Einfluss hat, dass in der neuen Beziehung immer wieder ihretwegen gestritten wird, hat die Geschichte noch keinen sauberen Abschluss gefunden. Und das spürt die neue Partnerin.
Dankeschön an den «Ex»
Dass vergangene Lieben Spuren in ein Leben eingekerbt haben, heisst noch lange nicht, dass man in ihnen weiterstapfen muss. Im Gegenteil: Für die Trennung damals gab es ja wohl gute Gründe. Britta war nicht «zweite Wahl», sondern Theo hat nach der aufregenden, aber letztlich aufreibenden Liebe zu Tanja erkannt, dass ihm Geborgenheit und Sicherheit wichtiger sind als Spontaneität und Risikofreude. Genau das hat er bei Britta gefunden. Er ist glücklich mit ihr. Aber ohne die Erfahrung mit Tanja hätte er diese Kurve in seinem Leben vielleicht nie genommen und Britta nicht als die Partnerin erkannt, die perfekt zu ihm passt. Also: Eigentlich haben Expartner ein Dankeschön verdient dafür, dass sie vorgearbeitet und die richtigen Weichenstellungen erst ermöglicht haben.