Reisen
Sternen gucken mit Kindern
Auf der Winklmoos-Alm in Oberbayern, knapp fünf Stunden Autofahrt von Zürich entfernt, liegt ein international anerkannter Sternenpark. In wolkenlosen Nächten kann man dort bis zu 6000 Sterne bestaunen. Auch tagsüber wird es nicht langweilig.
Sternenführung
Mit Leib und Seele bringt Manuel Philipp Besuchern das Weltall näher und erklärt live den Sternenhimmel über der Winklmoos-Alm. Öffentliche Führungen finden üblicherweise mittwochs und freitags statt (ab und zu sonntags). Ideal für Eltern und Kinder ab 12 Jahren (oder solche, die im Sommer auch nach 22 Uhr noch wach und aufnahmefähig sind).
Eintritt Erwachsene: 15 Euro, Kinder bis 15 Jahre: 10 Euro. Für die Auffahrt zur Winklmoos-Alm bezahlt man abends eine Mautgebühr von 5 Euro pro Fahrzeug.
Auf eigene Faust
Der Sternenpark-Rundweg ist mit fluoreszierenden Beschilderungen gut zu finden. Das Infozentrum ist jedem zugänglich. Ob jung oder alt oder mit eingeschränkter Mobilität. Beste und ruhigste Reisezeit: Mitte April bis Juni sowie September bis November.
Das brauchts
♦ Taschenlampe oder Stirnlampe mit Rotlichtoption
♦ Wer hat: Drehbare Sternkarte und Fernglas
♦ Warme Kleider, Mütze (auch im Sommer)
♦ Wolldecke und Picknickdecke
♦ Wer mag: Thermoskanne mit warmem Tee oder Kaffee
Da stehen wir vier also in Merino-Unterwäsche, dünnen Daunenjacken und mit Mütze in der Dämmerung und starren in den Himmel. Die gefühlte Temperatur ist etwa 10 Grad kälter, als das Thermometer anzeigt. Unsere Stirnlampen sind aus. Es ist halb zehn. Die Siebenjährige ist ganz aufgeregt und auch die Elfjährige hofft, dass es nun endlich, endlich klappt. Tagsüber trugen wir noch Sommerkleider und erfrischten uns mit Rhabarberschorle. Wir folgen der fluoreszierenden Beschilderung des Sternenpark-Rundwegs auf der Winklmoos-Alm. Seit Tagen befassen wir uns mit dem Sternenhimmel. Aber bisher nur in Form von Bilderbüchern, denn das Sternegucken hat sich zu einer Zitterpartie entwickelt.
Was, wenn wir extra hierher gereist sind und keine Sterne sehen werden, fragt die Kleine schon traurig. Das Wetter ist unbeständig, wie wir das auch von den Schweizer Bergen kennen. Die ersten zwei Nächte blieb es bei einer Handvoll Sterne. Die Wolken klauten uns das Spektakel. Zum Glück wurde es uns auf dem 1200 Meter über Meer gelegenen Hochplateau der Winklmoos-Alm in Oberbayern auch tagsüber nicht langweilig. Für vier Tage haben wir uns direkt an der österreichischen Grenze im Hotel Sonnenalm, mitten im Sternenpark einquartiert.
Wer sich nun eine Art Astro-Disneyland mit Geschenkshop und Imbissständen vorstellt, liegt falsch. Es geht sehr gemütlich zu und her. Wer das Infozentrum beim Parkplatz vorne verpasst, kommt nicht unbedingt auf die Idee, sich in einem offiziell von der international Dark Sky Association (IDA) zertifizierten Sternenpark zu befinden.
Zurück in die kalte Nacht. Wir entscheiden uns, erst einmal eine der je fünf Liegen des Sternenpark-Rundwegs in Beschlag zu nehmen. Wir kuscheln uns in unsere Decke, lassen uns nach hinten auf die Liege sinken und legen unsere Köpfe zurück. Unser Blick schweift auf die schillernden Sterne, die wie ein riesiger Diamantenhaufen um die Wette schimmern. Endlich sehen wir sie, die 5000 Sterne, mit denen der Park wirbt. Ohne Fernglas, ohne Teleskop, es ist überwältigend schön.
Die IDA
Seit 2018 ist die Winklmoos-Alm von der IDA (international Dark Sky Association) als Sternenpark anerkannt. Die IDA wurde 1988 zum Kampf gegen die zunehmende Lichtverschmutzung gegründet. Bisher wurden über 100 Lichtschutzgebiete zertifiziert. Weltweit gibt es knapp 80 Dark Sky Parks, die alle öffentlich zugänglich sind und eine aussergewöhnliche oder herausragende Qualität sternenklarer Nächte aufweisen.
Aktivitäten für Familien
Die Tagesaktivitäten auf der WinklmoosAlm und in Reit im Winkl sind vielseitig: Wandern entlang des Moors und Insekten und Vögel beobachten. Mit E-Mountainbikes durch schönste Fichtenwälder pedalen. Rafting durch deutsch-österreichische Flusstäler (➺ ack-koessen.at) oder auf dem Barfuss-Parcours zur Ruhe kommen. Alle Aktivitäten und Infos:
Buchtipp
Professor Astrokatz erklärt Primarschulkindern dank erfrischender und zugänglicher Illustrationen anschaulich das Weltall. Er erzählt unter anderem, wie Sterne entstehen oder welche Sternbilder am Firmament zu erkennen sind.
Dominic Wallimann/Ben Newman: Professor Astrokatz – Universum ohne Grenzen, NordSüd Verlag, 72 Seiten, Fr. 34.–
Sternenkino hat begonnen
Zum Glück lässt sich die Liege im 360°-Winkel drehen und so erleben wir liegend die Rundumsicht auf die Himmelspracht. Ganz deutlich erkennen wir den Grossen Wagen und den Polarstern. Unsere jüngere Tochter entdeckt mithilfe einer Sternkarte ihr eigenes Tierkreiszeichen Skorpion und ist entsprechend stolz. Sie hat gelernt, dass man sein Tierkreiszeichen immer erst rund sechs Monate nach dem Geburtstag sieht. Perfektes Timing also.
Plötzlich holt uns eine Stimme zurück auf den Boden. Es ist unser Sternführer Manuel Philipp. Der Physiker und Astronom ist heute extra für uns auf die Winklmoos-Alm gereist. Er hat den Sternenpark initiiert und wird uns einen Bruchteil seines enormen Wissens über das Universum näher bringen. Wir schälen uns aus unseren Wolldecken und folgen ihm. Er erklärt, dass das Licht der Sterne unserer Nachbargalaxie Andromeda rund 2,5 Millionen Jahre benötigt, bis wir es auf der Erde sehen. Die Andromeda-Galaxie ist 25 Trillionen Kilometer entfernt. Das ist eine 25 mit 18 Nullen. Der Laserpointer des Astronomen schweift auf einen nebligen Flecken.
Tadah: Das ist sie! Die Galaxie ist das am weitesten entfernte Himmelsobjekt, das mit blossem Auge sichtbar ist. «Wow», sagen wir im Chor. Und schon erzählt er weiter: «Schaut mal dort, das ist ein Sternhaufen.» Und er ergänzt, dass dies eine Ansammlung von einigen hundert Sternen sei, die gemeinsam in einer kosmischen Gas-Wolke entstanden sind. Die Riesensterne produzieren zu Lebzeiten in ihren Bäuchen chemische Elemente. Am Lebensende explodiert der Stern und verteilt die Elemente in den Raum. Dadurch reichern sich kosmische Gas-Wolken mit den Elementen an.
Aus dem Sternenstaub sind so nicht nur die Sonne, sondern auch alle Planeten entstanden. Letztlich basiere das gesamte Leben darauf, erklärt Philipp. «Wir waren also mal Sternenstaub?, flüstern die Kinder. Eine seltsame Vorstellung.
Verbunden fühlen
Früher diente der Himmel weltweit in vielen Kulturen als wichtigste Orientierungshilfe und wurde verehrt. Heute lassen wir ihn durch das viele Kunstlicht verschwinden. Nicht nur wir Menschen sind dadurch beeinträchtigt, auch die Tiere. Über den Ballungszentren ist der Nachthimmel bereits um 40 Mal heller. Dieses sinnlose in den Himmel Leuchten sei wie die Heizung aufdrehen bei offenem Fenster. Ein Wohlstandsproblem. Die Nächte werden jedes Jahr um fünf Prozent heller und dadurch verenden an Deutschlands Strassenlaternen eine Milliarde Insekten – pro Nacht. Deshalb engagiert sich der Physiker Manuel Philipp bei der von ihm gegründeten gemeinnützigen Organisation Paten der Nacht. Deren Ziel: weniger Lichtverschmutzung, mehr Dunkelheit.
Wünsch dir was
In diesem Moment saust eine riesige Sternschnuppe direkt in unser Blickfeld und zieht einen langen Schweif hinterher. Der Experte kommentiert unser «Wow» pragmatisch mit: «Das war jetzt Kometendreck.» Die Kinder kichern und ich vergesse mir etwas zu wünschen. Ein lautes Gähnen gefolgt von einem etwas quengeligen Ichmag-nicht-Mehr, unterbricht unseren Staunmoment. Unsere jüngste Sternenguckerin möchte nur noch ins Bett. Es ist schon 23 Uhr. Als wir uns von unserem Himmelsexperten verabschieden, fallen unserer Kleinsten fast die Augen zu. Trotzdem setzen wir uns nochmals auf unsere Bank und legen uns zum letzten Sternenhimmel tanken hin. Und da kommt sie: unsere Familien-Sternschnuppe. Und dieses Mal haben wir uns auch alle etwas gewünscht. Alle bis auf eine, die ist beim Sternetauchen eingeschlafen. Als wir zurück zum Hotel spazieren, fallen auch schon die ersten Regentropfen. Die Sterne sind hinter den Wolken verschwunden. Glück gehabt!
Wieder zu Hause, schaue ich mit anderem Blick in den Nachthimmel. Und die Kinder machen nun unsere Solar-Lampions im Garten über Nacht aus, damit die Insekten ihre Dunkelheit haben.
Berggasthof Sonnenalm
Der Berggasthof auf der Winklmoos-Alm bringt einem den Sternen mit himmlischer Küche und kosmischer Atmosphäre etwas näher. Familien schätzen die gemütlichen Zimmer, den Spielplatz und die mit Blumen geschmückte Sonnenterrasse genauso wie die vielen Möglichkeiten, die Sonnenalm als Ausgangspunkt für verschiedene Aktivitäten zu nutzen. Tipp: Wer sich später am Abend den Sternenhimmel anschauen möchte, bleibt am besten gleich zum Nachtessen auf der Terrasse sitzen, geniesst den Sonnenuntergang und die blaue Stunde und lässt sich beim Warten auf die Sterne bei hausgemachten Spezialitäten nach traditionell bayrischer Art verwöhnen. ➺ sonnenalm.de
Nach dem Studium der Visuellen Kommunikation in Luzern machte Claudia Jucker einen Abstecher in die Filmbranche und folgte dann, als sie Mutter wurde, ihrer Leidenschaft fürs Schreiben und Gestalten. Heute arbeitet sie als freie Journalistin und Content Creator für Print- und Onlinemedien mit Fokus Reisen, Familie und Lifestyle. Wenn sie nicht schreibt, badet sie im Wald, streichelt Ponys oder schmökert durch Magazine. Sie lebt mit Mann und Kindern in Zürich. claudiajucker.com