Geburt
Spontangeburt nach Kaiserschnitt?
Einmal Kaiserschnitt, immer Kaiserschnitt? Das gilt heute längst nicht mehr. Allerdings gibt es nach wie vor Einschränkungen für Schwangere, die nach einer Sectio spontan gebären wollen.
Ein Klick ins Inhaltsverzeichnis führt direkt auf ein spannendes Unterthema im Text:
1. Washalb kommt es zum Kaiserschnitt?
2. Die Kaiserschnitt-Narbe: Was hält sie aus?
3. Ist zweimal zu viel?
4. Das OP-Team ist bereit
5. Spontangeburt nach Kaiserschnitt – nur im Spital?
Weshalb kommt es zum Kaiserschnitt?
Als Kathrin Gerber ihr Kind nach der Spontangeburt im Arm hielt, spürte sie ein nie dagewesenes Glücksgefühl: «Ich hatte es geschafft. Endlich konnte ich mit den vorherigen Geburten abschliessen.» Kathrin Gerber hat vier Kinder zur Welt gebracht. Die ersten beiden per Kaiserschnitt, die anderen zwei vaginal.
In der Schweiz ist jede dritte Geburt ein Kaiserschnitt. Manche sind geplant, andere eine böse Überraschung. Kathrin Gerber hat beides erlebt. 11 Wochen vor dem errechneten Termin zur Geburt ihres ersten Sohnes bekam sie Wehen. Im Spital stellten die Ärzte fest, dass das Baby kein Fruchtwasser mehr hatte. Und dann lag es auch noch in Beckenendlage, mit dem Po nach unten und dem Kopf nach oben: eine besonders risikoreiche Ausgangslage bei einer Frühgeburt. Die Ärztin entschied sich in dieser Situation für einen Kaiserschnitt. Drei Tage nach der Geburt starb das Baby. Es hatte zu lange ohne
Fruchtwasser auskommen müssen.
Laut der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) erlebt eine von vier Frauen nach einem Kaiserschnitt erneut eine Schnittgeburt.
Zum Vergleich: Bei Frauen, die noch nie einen Kaiserschnitt hatten, ist es jede sechste. Etwa die Hälfte der Schwangeren mit vorangegangenem Kaiserschnitt entscheiden sich bei der nächsten Geburt für einen geplanten Kaiserschnitt, schätzt Monya Todesco Bernasconi, Chefärztin für Geburtshilfe
und Perinatalmedizin am Kantonsspital Aarau. Die andere Hälfte wünsche sich eine natürliche Geburt.
In Kathrin Gerbers zweiter Schwangerschaft wurde eine Auffälligkeit in einer Blutprobe festgestellt. Das Baby sollte deshalb ein wenig früher operativ auf die Welt kommen. «Die Ärzte im Spital wollten die Geburt nicht einleiten, weil ich schon einen Kaiserschnitt gehabt hatte», erklärt Gerber. «Und ich wollte einfach nur ein lebendiges Kind im Arm halten.» Das gelang. Und dennoch: Kathrin Gerber wünschte sich weitere Kinder, aber bitte keinen Kaiserschnitt mehr.
Die Kaiserschnitt-Narbe: Was hält sie aus?
Nach einem Kaiserschnitt bleibt in der Gebärmutter eine Narbe zurück. Lange zweifelten Mediziner daran, dass sie eine natürliche Geburt aushalten kann. Laut dem Leitlinienprogramm der SGGG zum Thema Sectio Caesarea (Kaiserschnitt) hat sich erst in den 1980er-Jahren die Auffassung verbreitet, dass es nach einem Kaiserschnitt prinzipiell möglich ist, weitere Kinder vaginal zu gebären.
Heute zeigen die Statistiken: Bei etwa sieben von 1000 Frauen (0,7 Prozent) kommt es laut SGGG während einer natürlichen Geburt nach Sectio zu Rissen der Narbe. Doch nur bei ein oder zwei von 1000 Frauen (0,1-0,2 Prozent) ist der Riss so schwerwiegend, dass er für Mutter und Kind lebensbedrohlich wird. Das Baby muss in diesem Fall innerhalb weniger Minuten per Kaiserschnitt geboren werden. Weil dies so selten vorkommt, raten Mediziner in der Folgeschwangerschaft heute nicht mehr pauschal zu einem Kaiserschnitt.
Ist zweimal zu viel?
«Das Spital, in dem ich mein drittes Kind zur Welt bringen wollte, hat meinen Wunsch nach einer natürlichen Geburt abgelehnt, weil ich schon zwei Kaiserschnitte hatte», erzählt Kathrin Gerber. Letztlich durfte sie ihr Baby im Kantonsspital Aarau natürlich gebären. Die dortige Chefärztin Monya Todesco Bernasconi sagt: «Wir haben pro Jahr ungefähr zwei oder drei Frauen, die nach zwei Kaiserschnitten eine Spontangeburt wünschen und erleben.» Das Risiko, dass die Narbe reisst, sei nach
zwei Kaiserschnitten in etwa so hoch wie nach einem, erklärt sie.
Auch für die Geburt ihres vierten Kindes wollte Kathrin Gerber den Anfahrtsweg von etwa einer Stunde nach Aarau auf sich nehmen. Doch sie merkte: Es reicht nicht. Ihre Hebamme meldete sie im nächstgelegenen Spital an. «Dort wollte man einen
Kaiserschnitt machen, weil ich ja schon zwei gehabt hatte», erzählt sie. Doch dann: «Ätsch-bätsch», sagt sie und lacht. Vor der Notaufnahme des Spitals ist das Baby spontan auf die Welt gekommen.
Kathrin Gerbers Geburtsreisen zeigen: Frauen mit vorausgegangenem Kaiserschnitt müssen sich eine natürliche Geburt zum Teil erkämpfen und sind immer wieder mit Unsicherheiten konfrontiert. Darf die
Geburt bei vorangegangener Sectio wirklich nicht eingeleitet werden, weil das Risiko, dass die Narbe reisst, mit jeder medikamentösen Einleitung steigt? Was, wenn das Baby in Beckenendlage liegt? Oder die
Frau Zwillinge erwartet? Anfragen beim Unispital Zürich, in dessen Geburtsklinik im Jahr 2019 knapp 3000 Babys auf die Welt kamen, und beim Regionalspital Surselva in Ilanz GR, in dem jährlich rund 170 Kinder geboren werden, zeigen, wie unterschiedlich Geburtshelfer mit dem Thema natürliche Geburt nach Kaiserschnitt umgehen: Roland Zimmermann, Direktor der Klinik für Geburtshilfe des Unispitals Zürich nutzt das Medikament Oxytocin, um
die Geburt bei Frauen einzuleiten, die bereits einen Kaiserschnitt hatten. Zwischen natürlichen und mit Oxytocin unterstützten Wehen gebe es nur einen kleinen Unterschied im sogenannten Rupturrisiko. «Deshalb nehmen wir dieses Risiko in Kauf. Mit viel Geduld und indem wir Frau und Kind überwachen», sagt er. In anderen Fällen will er weniger Risiken eingehen: «Wenn eine Frau drei Kaiserschnitte hatte und unbedingt spontan gebären möchte, soll sie das in einer anderen Klinik tun.» Genauso hält es der Klinikdirektor, wenn das Baby in Beckenendlage liegt und die Mutter bereits einen Kaiserschnitt hatte.
Das OP-Team ist bereit
Im Regionalspital Surselva in Ilanz GR sind solche risikoreichen Geburten möglich. Die Leitende Ärztin Jana Vorbachova betont: «Ich brauche in solchen Fällen eine zu 100 Prozent motivierte Mama, die Schwangerschaft muss problemlos verlaufen und das Baby gesund sein.» Selbst wenn alle Voraussetzungen stimmen, führt sie solche Geburten nur unter Sectio-Bereitschaft durch: Das OP-Team ist parat, um im Notfall schnell einen Kaiserschnitt durchzuführen.
Jana Vorbachova ist es wichtig, die Frau als Ganzes zu erfassen. Auch sie sagt zwar: «Ich möchte nichts unterstützen, was gefährlich sein kann.» Deshalb lehnt sie allzu risikoreiche natürliche Geburtsversuche ab. Aber sie betont: «Ich muss die Frau sehen, die vor mir sitzt: Was ist in ihrem Herzen? Ich habe oft erlebt, dass eine geglückte Spontangeburt nach Kaiserschnitt
heilend sein kann.»
Spontangeburt nach Kaiserschnitt – nur im Spital?
- Die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe empfiehlt Frauen mit vorausgegangenem Kaiserschnitt, alle weiteren Kinder in einem Spital zur Welt zu bringen.
- Während diese Frauen in Zürich nicht im Geburtshaus entbinden dürfen, ist dies in Basel seit Mai 2019 möglich: «Ich habe viele Argumente gebracht und eine klare Leitlinie erstellt», sagt Magdalena Brigger, fachliche Leiterin des damals neu eröffneten Geburtshauses Matthea. Im Notfall sei die Frau innerhalb kürzester Zeit im Basler Unispital.
- Wer sich während der Geburt eine 1:1 Betreuung durch eine Hebamme wünscht, aber im Spital gebären will oder muss, kann mit einer Beleghebamme in die Geburt gehen. Sie betreut Frauen während der Schwangerschaft, der Geburt im Spital und im Wochenbett. Beleghebamme Lucia Mikeler aus Binningen (BL) sagt: «Ich kenne die Frau, ihre Ängste und Wünsche und kann so während der Geburt gut mit ihr kommunizieren.» Das sei besonders wichtig, wenn es ungeplant zu einem weiteren Kaiserschnitt kommen sollte.
- Nach einer individuellen Risikoeinschätzung ist es nach einem Kaiserschnitt sogar möglich, eine Hausgeburt zu planen.
Eva Mell hat Theologie, Germanistik und Geschichte studiert. Nach ihrem journalistischen Volontariat bei einer Tageszeitung hat sie mehrere Jahre als Redaktorin in verschiedenen Redaktionen gearbeitet. Derzeit ist sie freischaffende Journalistin. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Basel.