Spitzensport
Spitzensportlerin und Mutter: geht das?
Sportliche Höchstleistungen erbringen und Mama werden, das bedeutet Knochenarbeit. Spitzensportlerinnen müssen als Mütter die Hürden von Vorurteilen und Doppelbelastung überwinden. Triathletin und Olympiasiegerin Nicola Spirig, Surferin Alena Ehrenbold und Bobfahrerin Rahel Rebsamen erzählen von ihren Erfahrungen.
Sie laufen, surfen und gleiten schnell. Blitzschnell. Auf Weltniveau. Zudem sind sie Mütter. Und nehmen sich damit ein Recht heraus, das bei Sportverbänden und in der Öffentlichkeit nicht selten für Kopfschütteln sorgt. Im besten Fall. Im übleren Fall löst die Nachricht von der Schwangerschaft einer Spitzenathletin einen Shitstorm aus, falls sie mit dem ersten Bäuchlein keinen Vollstopp reisst.
Als die weltbeste Tennisspielerin Serena Williams vor wenigen Jahren im achten Monat schwanger ein Video eines Trainings mit Medizinball ins Netz stellte, wurde sie in einem medialen Flächenbrand als verantwortungslos und egoistisch hingestellt. Die Athletin löschte die Bilder umgehend. Doch auch nach der Geburt ihres Babys musste sich Williams ein Nervenkostüm aus Stahl zulegen. Denn statt wie von aller Welt erwartet, ihr Racket in die Besenkammer zu stellen, wuchtete sich der Tennisprofi wenige Monate später auf dem Court erneut ins Finale.
Verwelkende Unterleibsorgane?
Die Skepsis gegenüber leistungssporttreibenden Müttern reiht sich historisch nahtlos in die männerdominierte Sportwelt ein: Nicht nur in der Antike standen die Frauen aussen vor, auch bei den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit im Jahr 1896 durften sie den männlichen Helden höchstens vom Spielfeldrand aus in bodenlangen Kleidern mit ihren Hüten zuwinken. Zwar erkämpften sie sich in den folgenden Dekaden Disziplin um Disziplin, allerdings stets begleitet von ärztlichen Warnungen. Zum Beispiel jener, dass weibliche Unterleibsorgane bei sportlicher Betätigung zu verwelken drohten. Erst ein Jahrhundert später, 2012, nahmen Frauen in sämtlichen Sportarten an den Olympischen Spielen teil.
Heute wollen Topathletinnen noch etwas mehr Terrain für sich in Anspruch nehmen: Sie wollen Mama werden und dabei Topathletin bleiben. Während Staat und Gesellschaft sie häufig reduzieren auf eine schützende Hülle für den Nachwuchs, möchten Leistungssportlerinnen selbst über ihren Körper bestimmen. Denn es ist ihr Arbeitsinstrument, das sie täglich einsetzen, herausfordern, im Wettkampf entfesseln – und hegen und pflegen. So hat wohl kaum eine andere Berufsgattung ein so fein austariertes Gefühl für ihren Körper wie jene von Sportlerinnen.
Doch beim Thema Mutterschaft tauchen auch bei ihnen Unsicherheiten auf.
Eine, die schwangere Leistungssportlerinnen und solche mit Kinderwunsch vorurteilslos empfängt, ist Sibylle Matter Brügger (47). Die Ärztin leitet die Sportmedizin im Medbase Zentrum in Bern und gilt als Expertin für die Vereinbarkeit von Spitzensport und Schwangerschaft. Als Mitstreiterin der Fachgruppe «Frau und Spitzensport» von Swiss Olympic ist es ihr ein Herzensanliegen, Frauen aus dem Dilemma «Kind oder Karriere» zu befreien. Aus eigener Erfahrung. Denn die ehemalige Olympionikin bestritt als Triathletin nach ihren beiden Schwangerschaften selbst wieder Wettkämpfe und kennt das innere Ringen und die äusseren Hürden.
Bei Sibylle Matter Brügger erkundigten sich schon viele sportlich hochbegabte Frauen und stellten die bisweilen bange Frage: Geht das, schwanger sein, ein Kind gebären – und den geliebten Beruf dennoch nicht aufgeben müssen?
Fehlgeburten sind nicht häufiger
«Ja, klar, das ist möglich», erwidert die Sportärztin dann jeweils. Zahlreiche Studien belegen, dass Fehlgeburten oder Schädigungen des Kindes bei Hochleistungssportlerinnen während einer Schwangerschaft nicht erhöht sind. Grundsätzlich gelte für Schwangerschaften sogar das Gegenteil: «Für Sportlerinnen – wie für jede gesunde Schwangere – ist es besser, aktiv statt passiv zu sein!» Im Minimum fünfmal 30 Minuten pro Woche Bewegung, empfiehlt die Fachfrau.
Trotzdem sei jetzt nicht die Zeit, Hochleistungssport zu betreiben. Insbesondere Risikosportarten mit Körperkontakt, die die Gefahr für Schläge oder Stürze auf den Bauch bergen, lässt man besser bleiben. Vielleicht sogar für immer. Bei Sportarten mit extrem hohen Risiken wie Skirennfahren, Rugby, Mixed Martial Arts oder Fussball steigen laut Sibylle Matter Brügger tatsächlich viele ganz aus, denn sie möchten auch nach der Geburt nicht das Risiko von schwersten Verletzungen oder gar einem tödlichen Unfall eingehen.
Allzu intensives Training vermeiden
Doch die meisten Sportdisziplinen lassen sich sanfter betreiben. Wichtig ist für alle – auch ambitionierte Hobbysportlerinnen –, während der Schwangerschaft eine Körpertemperatur von über 39 Grad Celsius zu vermeiden. Ein allzu intensives Training kann die Durchblutung in der Plazenta vermindern. Hat eine Mutter Sauerstoffmangel, leidet auch das Baby darunter.
Möglicherweise hat es die Natur halt doch so eingerichtet, dass eine Schwangere ihr Kind hütet wie ein rohes Ei. «Das Verantwortungsgefühl und die Selbstbeobachtung sind bei Spitzenathletinnen enorm», erzählt Sibylle Matter Brügger. Die Frauen erkennen intuitiv, dass der Körper nun das «Kommando» übernommen hat und weiss, was richtig und wichtig ist. Da braucht die Ärztin ihre Klientinnen selten vor Überehrgeiz zu schützen.
Nicola Spirig
Nach der Geburt hingegen schon. Die Frauen sind jetzt zwar wieder Chefin im eigenen Körper und es zieht sie mit jeder Faser zurück auf die Rennbahn. Aber es ist eine heikle Phase für Verletzungen. Jetzt muss die Ärztin «ihre» Sportlerinnen manchmal ausbremsen und mit ihnen die Trainingspläne besprechen. Denn es ist wichtig, nicht zu schnell einzusteigen und das Aufbautraining gut zu planen.
Neben dem medizinischen fordert aber auch der monetäre Aspekt die Profisportlerinnen. Weil der Sport ihr Beruf ist. Doch irgendwie scheint es in der professionellen Sportwelt nicht vorgesehen, dass eine Sportlerin nach Schwangerschaft und Geburt weiter ihrer Arbeit nachgehen möchte. Und aus finanziellen Gründen auch muss. Sportkarriere, Rücktritt, Kind– das ist die Reihenfolge, die in den Köpfen verankert ist und der sich die Sportfrau beugen soll.
Finanzielle Einbussen während Schwangerschaft
Zwar erhalten auch Hochleistungssportlerinnen 14 Wochen Mutterschaftsgeld – wie jede andere Selbstständigerwerbende auch. Doch die finanziellen Einbussen sind bei einer Sportlerin schon während der Schwangerschaft hoch: In dieser Zeit kann eine Schwimmerin, Stabhochspringerin oder OL-Läuferin weder an Wettkämpfen teilnehmen noch Preisgelder gewinnen.
«Eigentlich müsste in einem Sponsoring-Vertrag auch eine Schwangerschaft als Passus aufgeführt sein», sagt Sibylle Matter Brügger. Selbst wenn die Sportlerin noch lange nicht daran denkt, Mutter zu werden! Bisher fehlt ein solcher Eintrag in den Profisportverträgen für Frauen meistens. Auch dafür setzt sich die Sportmedizinerin ein.
Bis es aber so weit ist, muss vorerst jede Spitzenathletin, die schon Mama ist oder bald werden möchte, weiterhin gegen die Lücken im System und für sich selbst kämpfen.
➺ Auf swissolympic.ch ➺ «Frau und -Spitzensport» findet man Fokusthemen, Beratungsangebote und Podcasts für Leistungs- und ambitionierte Hobbysportlerinnen.
Erfahrungen von drei Spitzensportlerinnen
«Die Dicke surft ganz ordentlich»
Alena Ehrenbold (37), Surferin, Filmregisseurin, Gymnasiallehrerin, ein Kind. Foto zuoberst im Artikel.
«Bis 35 stellte ich mir aufgrund meines Lebensstils gar nie die Frage, ob ich Mama werden möchte. Dann lernte ich Thomas kennen und uns war beiden schnell klar, dass wir uns gut vorstellen konnten, Kinder zu haben. In das Dilemma «Kind oder Spitzensport» fiel ich nie – denn ich wurde dann einfach ungeplant schwanger.
Wir freuten uns riesig aufs Elternwerden. Gleichzeitig wusste ich, dass ich weiterhin intensiv surfen werde. Surfen ist meine Passion, die werde ich vermutlich nicht mehr los. Ob es immer noch an der Schweizer Spitze sein soll, inklusive internationaler Wettkämpfe, sehen wir dann. Im zweiten Monat der Schwangerschaft surfte ich noch an den Schweizer Meisterschaften und wurde zweifache VizeSchweizer-Meisterin.
Danach bestritt ich keine Wettkämpfe mehr, ritt aber bis im siebten Monat mit dem Longboard ganz gemütlich kleine Wellen. Hätte uns Covid-19 nicht in der Schweiz stranden lassen, wäre ich vielleicht noch länger gesurft. Stattdessen spazierte ich und machte Gymnastik und Yoga. Mit Joggen hingegen hörte ich ab dem fünften Monat auf, es fühlte sich nicht mehr gut an.
Trotzdem wurde ich kritisiert. Und zwar ausschliesslich von Männern. Als ich im sechsten Monat auf den Kanaren longboardete, sagte ein Surfer auf Spanisch zu seinem Kollegen im Wasser: «Schau mal, die Dicke kann ganz ordentlich surfen.» Als ich ihm erklärte, dass ich schwanger sei, meinte er, ich sei doch völlig verrückt! Seine Frau hätte sogar auf Yoga verzichtet, um jedes Risiko zu vermeiden, dass das Kind zwischen ihren Beinen rausfällt.
Zum Glück hat mich mein Frauenarzt ermutigt, weiterhin Sport zu treiben, solange es für mich stimmt. So paddelte ich einfach langsamer, blieb weniger lang im Wasser und habe mehr geschlafen. Für den Wiederaufbau nach der Geburt nahm ich mir viel Zeit und trainierte erst nach ein paar Monaten wieder richtig. Zugegeben, ich musste etwas mit mir kämpfen, denn eigentlich wäre ich am liebsten wieder voll losgesurft.
Grundsätzlich habe ich mich immer auf meinen Körper verlassen und nicht viel auf die Meinung anderer gegeben. Ein guter Freund meinte einmal zu mir: Weisst du, wenn bei einer Schwangerschaft – unabhängig ob mit oder ohne Sport – etwas schiefgeht, dann ist es einfach zu sagen: «Siehst du, hättest du doch…». Wenn alles glatt läuft, sagt niemand: «Hast du gut gemacht!».»
«Sport half gegen die Übelkeit»
Nicola Spirig (39), Triathletin, Siegerin Olympische Spiele 2012, Juristin, drei Kinder (9, 4, 2)
«Ich war mir immer sicher, dass ich Enkelkinder haben möchte. Somit war klar, dass ich zuvor Mutter sein werde. Dennoch wollte ich mit der Familiengründung bis nach den Olympischen Spielen in London 2012 warten. Es war ja nicht sicher, ob ich nach einer Geburt physisch und psychisch fähig sein würde, weiter auf einem solch hohen Niveau zu trainieren und Wettkämpfe zu bestreiten. Nach der Goldmedaille in London war ich überglücklich – und bereit, meine Spitzensportkarriere zu beenden. So konnte ich mich ohne grosse Erwartungen und Bedenken auf unser erstes Kind freuen.
Knapp ein Jahr nach der Geburt von Yannis spürte ich, dass die WettkampfMotivation und die körperliche Leistungsfähigkeit noch da waren. Aber es hatte sich in den vergangenen Monaten gezeigt, dass es für die Familie nicht das Beste war, wenn mein Mann eine 100-Prozent-Anstellung als Chef Sport im Triathlonverband innehatte und ich gleichzeitig wieder ernsthaft und professionell zu trainieren versuchte.
Reto und ich führten Gespräche, und ich wäre auch bereit gewesen, meine Karriere zu beenden. Doch wir entschieden uns für eine andere Lösung. Mein Mann gab seinen Job auf und übernahm die Hauptverantwortung für Yannis und später für die weiteren Kinder. So konnte ich wieder als Spitzenathletin arbeiten.
Auch unser zweites Kind, Malea, haben wir bewusst nach den Olympischen Spielen 2016 in Rio geplant. Und bei unserem dritten Kinderwunsch wollten wir den Abstand nicht allzu gross werden lassen. Alexis kam zwei Jahre nach Malea zur Welt. Vielleicht nicht ideal für die sportlichen Grossereignisse, aber ideal für unsere Familie.
Über meinen Kinderwunsch habe ich weder mit dem Verband noch mit den Sponsoren gesprochen. Für mich war dies eine persönliche Entscheidung. Zum Glück reagierten praktisch alle positiv und verlängerten ihre Partnerschaft ohne Bedingungen.
Die kritische Einstellung gegenüber Sport in der Schwangerschaft ist zwar bei einigen bis heute geblieben, direkt angesprochen haben mich aber vor allem Menschen, die es super fanden, dass ich auch als Schwangere einen aktiven, gesunden Lebensstil führte.
Bei allen drei Schwangerschaften half der Sport in den ersten drei Monaten gegen die Übelkeit und Müdigkeit. Ich trainierte jedoch nur noch halb so viel, so blieb meinem Körper genügend Energie, um seine viel wichtigere Aufgabe zu erfüllen. Das Training diente nicht dem Ziel, die Leistung zu steigern. Auf intensive Einheiten verzichtete ich und fuhr schon früh nur noch Indoor auf der Fahrradrolle, um Stürze zu vermeiden.
Nach der Geburt machte ich schon in der ersten Woche Spaziergänge mit dem Baby und verlängerte diese allmählich. Neben Krafttraining für die Arme begann ich langsam, immer auf meinen Körper achtend, mit kurzen Einheiten auf dem Stepper. Mit Schwimmen wartete ich zu, bis keine Infektionsgefahr mehr bestand. Dank Unterstützung, Planung, gezieltem Training und Geduld gelang es mir, den Anschluss zur Weltspitze wieder zu erreichen.
Spitzensportlerinnen rate ich: Schiebt die Familienplanung nicht zu lange auf! Egal, ob man die Karriere danach fortsetzt oder nicht – die Familie wird immer das Wichtigste sein im Leben. Darum gibt es keinen schlechten Zeitpunkt, ein Kind zu bekommen.»
«Meine Tochter kommt mit an die Bobbahn»
Rahel Rebsamen (27), Bobfahrerin, ein Kind (1), Olympia-Teilnahme 2018
«Einen Schwangerschaftstest machte ich nur zur Bestätigung, die körperliche Veränderung spürte ich bereits vorher. Es war trotzdem ein Schock. Nach einigen Tagen konnte ich mich aber sehr auf unser kleines Wunder freuen.
Als ich bekanntgab, dass ich Mutter werde, war für alle klar: Nun tritt sie zurück. Nicht nur der Verband erwartete das, auch Bekannte. Viele haben Mühe mit der Vorstellung, dass ein Mami auch eine Spitzensportlerin sein kann. Offene Feindseligkeiten musste ich mir zum Glück nicht anhören, aber hinter meinem Rücken wurde bestimmt getuschelt.
Für mich und meinen Partner war von Anfang an klar, dass ich nach der Geburt in den Spitzensport zurückkehre. Wir möchten Maliyah ein modernes Familienbild vorleben und ihr zeigen, dass der Papi genauso wichtig ist wie das Mami. Nun begleiten mich die beiden, wenn ich an der Bobbahn trainiere und im Winter unterwegs bin.
Unterstützung erhalte ich auch von den Grossmamis und meiner Zwillingsschwester. Sie wurde gleichzeitig schwanger wie ich! Als ich ihr mitteilte, dass ich ein Kind erwarte, war sie selbst erst seit zwei Tagen schwanger und wusste noch nichts von ihrem Glück. Es ist ein schöner Zufall. Unsere Kinder wachsen nun nahezu wie Geschwister auf, sie sehen sich fast täglich.
Rahel Rebsamen
Anstrengend ist die Doppelbelastung natürlich trotzdem. Letzten Winter, in der ersten Saison nach der Mutterschaftspause, wog ich zu wenig – eine Bobfahrerin muss Gewicht auf die Waage bringen! Es war mir aber wichtiger, meine Tochter stillen zu können, als Kilos zuzulegen. Jetzt, nach dem Abstillen, nehme ich langsam wieder zu.
Sportkarriere zu machen und gleichzeitig Mutter zu sein, bietet auch Vorteile. Ich habe meine Tochter in den Trainings, so oft es geht, dabei. Ich sehe mein Kind öfters als Mütter, die anderweitig arbeiten gehen. Der Vorteil für meine Kleine ist, dass sie den Tagesrhythmus mitbestimmen kann, denn ich kann meine Trainingszeiten meist flexibel gestalten.
Die grösste Herausforderung ist die Regeneration. Für Spitzensportler ist der Schlaf essenziell für die Erholung, aber unsere Tochter schlief im ersten Jahr sehr schlecht. Ich bin deswegen im letzten Dezember in ein «Übertraining» geraten, wo gar nichts mehr ging und die körperliche Leistung schwand.
Mittlerweile läuft es aber wieder gut und ich bin auf dem besten Weg, an meine Leistungen von vor der Schwangerschaft anknüpfen zu können. Mein grosses Ziel für den nächsten Winter ist die Olympia-Teilnahme in Beijing 2022.»