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Hund und Kind
So bereiten Sie Ihren Hund auf das neue Baby vor
Ein Baby kündigt sich an? Wunderbar! Aber ist der schon vorhandene Hund darüber genauso glücklich? Vielleicht. Wie die Familienzusammenführung klappt, weiss Verhaltensbiologin Iris Schöberl.

Iris Schöberl ist promovierte Verhaltensbiologin und Hundeverhaltenstrainerin. Darüber hinaus hat sie eine Ausbildung als Säuglings-, Kinder-, Jugendlichen- und Elternberaterin.
Die 36-jährige Österreicherin lebt – natürlich zusammen mit mehreren Hunden und Katzen – im Burgenland in der Nähe von Wien.
Infos, Webinar-Angebote etc unter: ➺ beratungundtraining.at
wir eltern: «Hinstellen, schnuppern lassen, fertig» das war die übliche Reaktion auf meinen geplanten Artikel «Den Hund aufs Baby vorbereiten». So richtig sexy findet keiner das Thema…
Iris Schöberl: (lacht) Tja, ganz nach dem Motto: «Wird schon gut gehen, mal sehen, wer überlebt?» Das ist natürlich übertrieben ausgedrückt. Aber «Schau’n wir mal, was passiert» ist auch schon schlimm genug. Das Thema ist wichtig.
Auf Youtube gibt es unzählige RiesigerHund-kuschelt-mit-Neugeborenen-Videos. Dabei passieren 85 Prozent der Beissunfälle mit dem Familien-Hund, 80 Prozent der Bisse sind bei Kleinkindern im Kopfereich…
Genau. Es ist selten der böse fremde Hund. Nochmals: Baby hinstellen, abschlabbern lassen, reicht als Eingewöhnung absolut nicht. Abgesehen davon, dass es fürs Baby übergriffig ist, von einem Hund abgeschleckt zu werden.
Was können Eltern denn nun tun, um den Hund auf den Neuankömmling vorzubereiten?
Viel. Und am besten fängt man gleich damit an, sobald man weiss, dass man sich ein Kind wünscht. Spätestens zu Beginn der Schwangerschaft: Also:
♦ Der Hund sollte verlässlich «Sitz» und «Platz» beherrschen und reagieren, wenn man ihn auf seine Decke schickt.
♦ Boxentraining machen: Den Hund daran gewöhnen, dass er ab und an in eine Hundebox geht. Mithilfe von Lob und Motivation: Kaustängel etwa. Anfangs bleibt die Boxen-Tür natürlich offen und niemals muss der Hund zur Strafe hinein oder ist darin unbeaufsichtigt und: nie ganz allein. Er soll sich auf seine Box als Rückzugs- und Ruheraum freuen.
♦ Bereiche vorab zu Tabuzonen erklären. Etwa die Couch, das Bett, das Kinderzimmer… Je nachdem, was auch später tabu sein soll. Das muss man trainieren und den Hund daran gewöhnen.
Apropos gewöhnen. Ich habe im Netz einen höchst unappetitlichen Vorbereitungstipp gelesen: dem Hund vorab eine volle Babywindel bringen…
Bäh. Nein, das ist nicht sinnvoll. Mehr noch: kontraproduktiv. Der Hund wird die Windel fressen wollen…
Igitt!
Hunde fressen nun mal gerne Kot. Um sich Nährstoffe anderer Lebewesen zuzuführen, um die Umgebung sauber zu halten… Jedenfalls lernt der Hund dadurch völlig Falsches, nämlich, dass er mit einer Windel spielen darf. Sieht er also das Baby mit Windel wird er denken: Yeah, eine Windel zum Reinbeissen! Nicht das, was man will…
Okay, buchstäblich ein Sch…tipp. Welcher ist besser?
Den Hund im Vorfeld möglichst oft mit Kindern zusammenbringen und entspanntes Verhalten jedes Mal sofort belohnen. Er hört ein Baby im Kinderwagen kreischen: Leckerlis fallen vom Himmel. Ein Kind zieht den Hund am Ohr und der Hund bleibt halbwegs relaxed? Hund aus der Situation herausnehmen und: Leckerlis fallen vom Himmel. Getümmel auf einem Spielplatz und er bleibt weitestgehend cool: Leckerlis.
Bringt eine Kassette mit Kindergeschrei etwas, um die Hundeohren prophylaktisch abzuhärten?
Muss nicht sein. Es reicht, ab und an eine Freundin mit quengelndem Säugling einzuladen. An den der Hund natürlich nicht dran darf! So werden ihm die merkwürdigen Geräusche ein wenig vertrauter. Man kann auch, um ihn an eine ungewohnte Optik zu gewöhnen, hin und wieder eine Puppe im Snuggli herumtragen… Kurz: Alles was ein Hund nicht kennt, muss er erst lernen.
Gilt da auch der Spruch «Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr»?
Nein. Der Spruch ist auch bei Menschen falsch und neurobiologisch nicht haltbar. Wir lernen bis ins hohe Alter hinein. Für Hunde gilt das Gleiche. Ebenfalls empfehlenswert ist es, einen Spaziergang mit leerem Kinderwagen zu machen.
Wie bitte? Das wirkt aber ein wenig creepy, mit Hund und leerem Kinderwagen spazieren zu gehen.
Ja, tut es. Deshalb macht das leider auch kaum jemand. Dabei wäre es höchst sinnvoll. Es ist wichtig, dass der Hund lernt, entspannt an der Leine neben einem Kinderwagen herzulaufen: nicht rennen, keiner Katze nachjagen, nicht auf den Wagen hopsen, nicht rundherum rennen, sich mit der Leine verheddern und dann in Panik geraten, den Wagen nicht umschmeissen…
Gute Güte, das ist ja eine Wissenschaft für sich.
(lacht) Ja. Überhaupt das Spazierengehen: werdende Eltern sollten sich vorher überlegen, wer sich wie in der Phase, wenn sie sehr vom Baby absorbiert sind, um den Hund kümmern soll: Wer macht dann die langen Spaziergänge, wie bekommt er genügend Zuwendung, wie lassen sich Spielzeiten organisieren? Wer achtet auf ihn und schmust mit ihm, wenn die Mutter zu müde für alles ist?
Erleidet er sonst ein Entthronungstrauma wie das ältere Geschwisterkind?
Entthronungstrauma ist vielleicht ein bisschen viel gesagt, denn ein Hund will keinen Thron erobern. Aber klar, ein Hund wird eifersüchtig, wenn er plötzlich weniger beachtet wird. Und er verknüpft, schlau wie er ist, all das, was er auf einmal nicht mehr darf, mit diesem neuen Baby. Er merkt ganz genau, dass seine Hauptbezugspersonen sich anders verhalten als üblich, vielleicht reizbarer, weil belasteter oder aufgeregter. Und je mehr er das merkt, desto mehr wird er den Kontakt suchen, sich aufdrängen und dann vielleicht zurückgewiesen… Er fühlt sich bestraft, wenn Herrchen und Frauchen sich nicht mehr so viel mit ihm beschäftigen, ihn wegschicken, wegsperren oder er sogar ausgeschimpft wird.
Dann rächt er sich…
Jedenfalls sind Hunde da genau wie Menschen: Frustration führt zu Aggression. Und die lassen sie schon mal gern an Schwächeren aus. Und in beiden Fällen gilt: Gewalt erzeugt Gewalt. Hunde, die angeschrien oder körperlich bestraft werden, werden wahrscheinlich auch aggressiver zu einem Baby sein.
Ich bin keine Hundehalterin, aber sollte man denn nicht mit dem Hund schimpfen, wenn er das Kind anknurrt?
Damit er lernt «Ich darf nicht knurren»? Und beim nächsten Mal ohne vorwarnendes Knurren sofort schnappt? Keine gute Idee.
Keine gute Idee wie Kampfhunderassen mit Säuglingen zusammenzubringen?
Es gibt keine Kampfhunde, nur willkürlich gewählte Listenhunde. Klar, gibt es einzelne Tiere, die bewusst scharfgemacht werden und es gibt problematische Zuchtlinien. Aber entscheidend ist weniger die Rasse als vielmehr wie der Hund sozialisiert worden ist, was er für Erfahrungen gemacht hat… Doch auch der allerliebste und allerkleinste Hund darf keine einzige Minute unbeaufsichtigt mit einem Kind allein bleiben. Aufmerksam, nicht nebenbei, beaufsichtigt! Sie müssen aufs Klo? Das Baby kommt im MaxiCosi mit. Es klingelt an der Tür, wenn das Baby auf der Spieldecke liegt? Der Hund geht in die Box…
Erst ein Kind im Alter von ungefähr 12 Jahren kann mit einem unproblematischen Hund kurze Zeit allein gelassen werden. Vorher nicht! Kleine Kinder etwa behandeln den geliebten Hund wie ein Geschwister. Sprich: Sie werfen ihm vielleicht Legosteine an den Kopf, wenn er ihnen eine gerade damit gebaute Burg kaputtgemacht hat. Der Hund findet das nicht witzig, und wehren kann er sich halt nur mit dem Maul.
Und weil er das Kind als schwächstes Glied im Rudel betrachtet…
Nein, das mit dem Rudel ist nicht ganz richtig. Wir sind kein echtes hierarchisches Rudel für einen Hund. Wir sind andere Lebewesen für ihn, gehen mit ihm nicht jagen oder so etwas. Aber die Tiere merken sofort, bei wem sie sich etwas herausnehmen können. Bei Kindern meist mehr als bei Erwachsenden. Ausserdem rennen und spielen Kinder dauernd, der Hund will da mittun und das führt zu Missverständnissen.
Ist das alles kompliziert! Da ist eine Katze doch einfacher.
Das kann man so und so sehen. Katzen lassen sich viel schlechter trainieren und auch schlechter vom Kind fernhalten, weil sie einfach über alles drüber klettern. Dennoch darf sich eine Katze halt auch nicht auf Babys Kopf im Kinderbettchen oder neben das Gesicht legen. Schon allein damit das Baby frei atmen kann.
Aber durch Hund und Katze im Haus sollen Kinder sozialer und empathischer werden, einen wunderbaren Freund gewinnen…
Ja, das stimmt alles. Tiere, vor allem Hunde, sind eine grosse Bereicherung für Kinder. Aber ein Tier sollte man sich nur gut überlegt anschaffen, nicht lediglich aus solchen Erwägungen heraus, sondern nur dann, wenn man es selber wirklich will. Ist der Hund ein Geschenk fürs Kind, ohne, dass man ihn selber wirklich möchte, kann das nur schief gehen. Das ist als wenn eine Mutter sagen würde: «Ich wollte zwar kein Kind, aber meinem Mann zuliebe haben wir uns eins angeschafft.» Das käme auch nicht gut. Ganz und gar nicht.
Caren Battaglia hat Germanistik, Pädagogik und Publizistik studiert. Und genau das interessiert sie bis heute: Literatur, Geschichten, wie Menschen und Gesellschaften funktionieren – und wie man am besten davon erzählt. Für «wir eltern» schreibt sie über Partnerschaft und Patchwork, Bildung, Bindung, Erziehung, Erziehungsversuche und alles andere, was mit Familie zu tun hat. Mit ihrer eigenen lebt sie in der Nähe von Zürich.