Vaterzeit
«Sind Sie der Vater?»
Wer mit 52 Jahre Vater wird, muss sich mit einigen Klischees und Vorurteilen herumschlagen. Unser Kolumnist findet aber etwas anderes viel schlimmer.
Wenn mir meine Partnerin um 9 Uhr in der Früh meine Medikamente und meinen Stock ans Bett bringt, freue ich mich bereits auf ein erfrischendes Bad und den darau olgenden gemütlichen Spaziergang ins Ka eehaus. Dort verbringe ich den «Blick» lesend meinen Morgen, später um 12.15 Uhr steht zu Hause das Mittagessen auf dem Tisch. Danach spiele ich fünf Minuten mit meiner mittlerweile 7 Monate alten Tochter Luule: Ich beobachte vom Ohrensessel aus, nach welch kurligen Spielzeugen sie da unten auf ihrer Krabbeldecke grei und klammert. Fällt ein Sto würfel aus ihrer Hand, kann ich ihn ihr mit meinem Stock wieder zuschieben.
Genug der Ironie, genügend Klischees vom alten Papi aufgetischt? Ich würde allerdings lügen, wäre der Altersunterschied von 52 Jahren von Luule zu mir nicht ab und zu ein ema (aber ich glaube, dass meine Freunde und Freundinnen der Altersunterschied von mir zu meiner Partnerin viel mehr interessiert). In Luzern etwa trat eine Touristin aus ihrer im Gänsemarsch dem Guide folgenden Gruppe aus, blickte mich erstaunt an und fragte dann, theatral in den Babywagen blickend: «Is there really anything in it»? («Ist da wirklich etwas drin?»).
Sie wurde enttäuscht, lag da doch die lächelnde Luule. Viel lieber hätte die Touristin es gehabt, wenn der alte Knacker mit den grauen Haaren seinen Sto ären ausgefahren hätte, und sie zu Hause Kurioses über die trotteligen Schweizer hätte zum Besten geben können.
Grossvater oder Vater?
In der Rigiblick-Bahn inmitten von Zürich sass ich mit Kinderwagen neben Luules Grossvater, als eine Passagierin ihn, den 3 Jahre älteren Grossvater, fragte, ob er Luules Vater sei. Zugegeben: Er war ferienhalber prächtig ausgeruht und strahlte ob seiner ersten Enkelin, derweil ich unrasiert war und nicht nur verschlafen aussah. Ich war um 2 Uhr und 5.30 Uhr durch das «Ich habe Hunger»-Jömmerle von Luule wach geworden. 30 Minuten später hatte ich mit ihr vom Bett in die Küche gewechselt, damit Mami (und Grosspapi im Nebenzimmer) nochmals zwei Stunden in Ruhe schlafen konnten. Zum Glück war ich schon immer Frühaufsteher.
In diesen Monaten verschafft es mir und Luule nicht nur jeden Morgen zwei, drei schöne gemeinsame Stunden, sondern, falls Luule gut drauf ist, meinen Texten frühmorgendlichen Geist. Nichts Schöneres, als nach einem Ka ee um 6.30 Uhr einen Text zu entwerfen, derweil Luule in der Wiege Abenteuerliches auf babylonisch vor sich hinplaudert oder mit professioneller Inbrunst die Gira e Sophie zerkaut. Um 8.30 Uhr gilt es, die Windeln zu wechseln, Frühstück aufzutischen und Luule für ihr Frühstück zu Mami ans Bett zu bringen.
Was ist so anderes?
Sehe ich im Zug oder im Tram die bisweilen erstaunten Blicke mit der Frage «Sind Sie der Vater?!»? Frage ich mich, ob bei mir so viel anders ist, als wenn man 25 Jahre früher Papi wird. Diese Väter sind beim ersten Kind genauso unerfahren wie ich und schlafen wohl auch nicht besser. Aber ist die Beziehung zum Baby anders als bei den halb so alten Vätern?
Im Gegensatz zu mir widerstanden die Jungväter vielleicht nicht dem Druck, einen Geburtsvorbereitungskurs zu besuchen. Ich verdrängte diesen Gang neun Monate lang erfolgreich, weil ich vielleicht tatsächlich nicht mit 25-Jährigen in einem Kreis sitzen und nicht zusammen lernen wollte, wie man ein Kind in den Armen hält. Selber schuld! Nun habe ich eine Sehnenentzündung und muss Handgelenkgymnastik machen: Altersgebrechen – voilà! Aber keine Sorge, bis zum Beginn der Hechtsaison war alles wieder gut – und das frühe Aufstehen im Winter erleichterte es mir ab Mai, um 5.30 Uhr am Wasser zu stehen. Wenn ich um 9 nach Hause kam, stand manchmal sogar das Frühstück auf dem Tisch.
P.S.: Apropos (alter) Papi gibt es allerdings ein grosses Problem. Einerseits warte ich sehnlichst auf nichts anderes, als dass ich dieses «Papi» bald von Luule höre. Andererseits sehe dessen auch mit Schrecken entgegen. In Luules zweiter Heimat in Estland, wo wir im Juli ihre Gross- und Urgrosseltern besuchen, bedeutet «papi» alter Knacker.