Schwangerschaft
Schwanger auf Umwegen
Die Lage ist so ernst wie paradox: Zuerst tun moderne Paare 15 bis 20 Jahre lang alles, um Kinder zu verhüten. Und wenn sie diese Kunst so richtig im Griff haben, klingelt der biologische Wecker und der Spiess dreht sich um. Nun mutieren die Verhütungsprofis im Nu zu Empfängnisspezialisten. Und fragen sich Monat für Monat banger, warum sie nicht so schnell schwanger werden, wie jahrelang befürchtet und nun so sehnlichst erhofft. Eine Studie aus Kanada belegt, dass 104-mal unverhüteter Geschlechtsverkehr nötig ist, bis ein Paar zu seinem Kind kommt. Dies bedeutet ein Jahr lang ein bis zweimal die Woche Sex. Jedes fünfte Paar in der Schweiz ist trotzdem ungewollt kinderlos. Das steigende Alter der Eltern ist mit ein Grund: Seit 2001 nämlich hat die Zahl der Erstgebärenden über 35 Jahren in der Schweiz um 43% zugenommen.
Klappte es einst bei den Appenzeller Frauen mit dem Schwangerwerden nicht, rieten sie sich, mit nacktem Hintern über den «Chindlistein» ob Heiden zu rutschen. Das helfe garantiert, hiess es sogar bis in die 70er-Jahre, weiss Kulturvermittlerin Chris Novak aus Heiden. Noch heute reisen Paare mit Kinderwunsch zum sagenumwobenen Stein – auch wenn seine Wirkung niemand beweisen kann. Studien gibt es auch zu vielen anderen Methoden nicht, die bei medizinisch unbegründeter Kinderlosigkeit Erfolg versprechen. Trotzdem arbeiten traditionelle Reproduktionsmediziner oft mit Anbietern von alternativen Methoden zusammen, wie unsere Recherche zeigte. Denn entscheidend, so der Tenor, ist letztlich das, womit sich ein Paar identifizieren kann.
Idealgewicht
«Für die Fruchtbarkeit und für eine nachfolgende Schwangerschaft sind Über- (BMI>30) und Untergewicht (BMI<18) ungünstig», sagt Bruno Imthurn, Direktor der Klinik für Reproduktions-Endokrinologie des Universitätsspitals Zürich. Als ideal gilt ein BMI zwischen 19 und 24. Vor allem die Übergewichtigen leiden verstärkt unter menstruellen Unregelmässigkeiten, denn mit zunehmendem BMI erhöhen sich Anzahl Zyklen ohne Eisprünge. Laut einer Studie der medizinischen Fakultät in Freiburg im Breisgau steigert bei Übergewichtigen eine Gewichtsreduktion von 4,3 bis 10,2 Kilogramm innerhalb von sechs Monaten die Chance auf eine Schwangerschaft um gewichtige 80%. Die Gewichtsreduktion führt zur niedrigeren Insulinkonzentration im Blut, was wiederum positiv auf die reproduktiven Hormone wirkt.
Anthroposophische Medizin
«Wie viele Menschen braucht es, damit ein Mensch auf die Welt kommt?», zitiert Angela Kuck, Chefärztin Gynäkologie vom Paracelsus Spital in Richterswil, ein chinesisches Sprichwort am Anfang jeder Therapie. Die Antwort lautet meist zwei. «Nein», korrigiert die Ärztin dann, «es braucht drei.» Dann beginne das Rätseln: Die Hebamme, ein Arzt? Angela Kuck lächelt ihr feines Lächeln: «Das Kind ist die dritte Person. Elternsein bedeutet offen sein, ein Kind ist ein Geschenk. Es setzt aber auch voraus, dass dem Kind Raum gelassen wird. Es kommt, wenn es bereit dazu ist.» Mit diesem Einstieg will sie auch, dass die künftigen Eltern den Druck verlieren. Der ganzheitliche Ansatz der anthroposophischen Therapie richtet sich an die Psyche wie auch an die Physis. Kommt ein Paar mit unerfülltem Kinderwunsch in ihre Praxis, werden zunächst spezifische Merkmale wie Händedruck, Körperhaltung, Körperbau und Sprache mit einbezogen. Anschliessend wird die Temperatur gemessen, was einerseits Aufschluss über den Stoffwechsel gibt, aber auch allfällige Schwächen im Zyklus aufzeigt. Das Ziel der Therapie ist es, immer den Gesamtzustand des Menschen zu verbessern. Dazu verwenden die Anthroposophen pflanzliche Medikamente zur Unterstützung. Beim einen kann beispielsweise Apis Regina – etwas von der Kraft der Bienenkönigin – eine Verbesserung bringen, beim anderen können Wirkstoffe von Silber oder Melissen unterstützend wirken. «Kein Paar ist wie das andere», sagt Kuck und spricht damit einen weiteren wichtigen Aspekt der Anthroposophie an. Manchmal sei es auch hilfreich und wichtig, dass das Paar aus seinem alltäglichen Trott ausbricht: vielleicht eine Reise mache, mit einer Maltherapie beginne. Bei kopflastigen Menschen wird die Gefühlsebene stimuliert, bei zu gefühlsbetonten wird die Rationalität gestützt. Immerhin verhalf diese Therapie im Jahr 2010 10 der 401 Elternpaare, die im Paracelsus Spital geboren haben, zu ihrem Wunschkind.
Vereinigung anthroposophisch orientierter Ärzte /Komplementärmediziner: www.vaoas.ch
Traditionelle chinesische Medizin (TCM)
«Am liebsten arbeite ich mit Schulmedizinern zusammen. Da weiss ich, dass Schwächen wie Endometriose, PCO-Syndrom (Polizystische Ovarien) oder auch eine schlechte Spermaqualität abgeklärt sind. Das verhindert auch, dass Erwartungen aufgebaut werden, die wir gar nicht erfüllen können», sagt Esther Denz. Die Zürcher TCM-Ärztin hat sich vor zehn Jahren darauf spezialisiert, Paaren zur Schwangerschaft zu helfen. Um die richtige Therapie zu bestimmen, versucht die TCM zuerst körperliche Ungleichgewichte auszumachen. Aufschluss geben dabei etwa Pulsdiagnose, Körpertemperatur, Zykluslänge und Blutqualität. Massgebend ist die ganzheitliche Betrachtungsweise: «Wir erkennen Energieunregelmässigkeiten und versuchen diese auszugleichen.» Zusätzlich zur Akupunktur werden Kräutermischungen verabreicht, denn die individuell zusammengestellten Kräuter unterstützen die Wirkung der Nadeln. Auch Ernährung und Essgewohnheiten werden unter die Lupe genommen und allenfalls umgestellt. «Wir holen die Frauen immer da ab, wo sie stehen. Wir nehmen uns die nötige Zeit und hören ihnen zu.» Doch Esther Denz betont, dass eine Schwangerschaft mit zunehmendem Alter immer schwieriger wird: «Ab 35 nimmt die Fruchtbarkeit rapide ab, das kann auch die chinesische Medizin nicht ändern.» Trotzdem zeigt der Trend ungebrochen nach oben. In den letzten eineinhalb Jahren sind mithilfe der TCM-Ärztin und ihrem Team mehr als 300 Kinder zur Welt gekommen. «Manchmal braucht es schon sehr viel Geduld. Etwa bei der Patientin, die 16 Jahre lang erfolglos versuchte, schwanger zu werden. Heute ist sie eine glückliche Mutter.» Darauf ist Esther Denz stolz.
www.tcm-estherdenz.ch
Fruchtbarkeitsmassage
«Die Massage wirkt für sich allein», sagt Birgit Zart, deutsche Heilpraktikerin und Homöopathin, die die Methode in ihrer Kinderwunschpraxis bei Berlin anbietet, «unterstützt aber auch andere Therapien, naturheilkundliche wie auch die künstliche Befruchtung.» Entwickelt wurde die Massage ursprünglich in den 1920er-Jahren vom englischen Heiler Joseph B. Stephenson. Die Gynäkologin Dr. Gowri Motha in London, die unzufrieden mit den Resultaten herkömmlicher Methoden bei Fruchtbarkeitsproblemen war, entdeckte Stephensons Massage und integrierte sie erfolgreich in ihr Programm «The Gentle Birth Method ». Schliesslich brachte Birgit Zart die Methode 1995 von einem Kongress in London nach Deutschland mit und entwickelte sie weiter. «Diese Methode besteht aus einem Entgiftungsteil und einer Massage des Bauchraums», erklärt Birigt Zart. «Sie wirkt wie ein kleines Training auf die Fortpflanzungsorgane, sie werden richtig gehend tonisiert. Der Körper reagiert mit einem Muskelkater, aber auch mit verstärkter Aktivität.» Das gezielte Arbeiten an Gebärmutter und Eileitern stärke also die Fortpflanzungsorgane und löse Verschliessungen der Eileiter. Zudem reguliere die Massage den Hormonhaushalt und helfe zusätzlich beim Loslassen und Entspannen. Auch lahme Spermien werden hier auf Zack gebracht: eine langfristige und regelmässige Massage beim Mann hilft die Spermaqualität zu steigern. Trotz individueller Abweichung, je nach Diagnose, kann mit zwei Einheiten pro Jahr zu sechs Massagen, im Abstand von je einer Woche, viel erreicht werden. Beweisen kann Zart das allerdings nicht. Denn es gibt weder Erfolgsquoten noch Studien zur Fruchtbarkeitsmassage: «Wir sind Heiler, da gibts keine Studien.»
Weiterführende Links auch zu Schweizer Therapieangeboten: www.kinderwunschhilfe.de
Luna Yoga
In den 70er-Jahren entdeckte die israelische Tänzerin und Körpertherapeutin Aviva Steiner, dass bestimmte Beckenbewegungen den weiblichen Zyklus beeinflussen und somit die Fruchtbarkeit steigern. Die deutsche Yoga-Lehrerin Adelheid Ohlig liess sich bei ihr ausbilden, erweiterte diese Methode mit Fruchtbarkeitstänzen verschiedener Naturstämme und Yoga-Übungen und begründete in den 1980er-Jahren das Luna Yoga: Die bewusste Haltung im Sitzen, Stehen und Liegen soll die Aufmerksamkeit auf die Beckenregion und Körpermitte lenken. Die Nasenatmung stimuliert die Hypophyse an, die mitverantwortlich für die Regulierung des Hormonhaushaltes ist. Die vertiefte Bauchatmung regt die Durchblutung der Beckenorgane an. Diese wird zusätzlich durch die kraftvollen Beckenbewegungen der Fruchtbarkeitstänze gefördert und aktiviert gleichzeitig die innere wie die äussere Muskulatur der Beckenregion. Schliesslich runden die Meditationen und Entspannungsübungen die Wirkungen dieser Übungen ab. Fruchtbarkeitstänze kommen dann zum Ein satz, wenn das bewusste Atmen nicht fruchtet: «Der Tanz ist starke Medizin mit grossem Einfluss auf den Menstruationszyklus der Frau. Er wird nur angewandt, wenn der Zyklus der Frau weder Eisprung noch Blutung aufweist», erklärt Adelheid Ohlig. Für sie ist es selbstverständlich, dass ein Paar mit Kinderwunsch gemeinsam einen Kurs besucht: «Denn die Luna-Yoga-Übungen fördern sowohl Samenqualität als auch -quantität.» In den 25 Jahren, die Ohlig Luna Yoga unterrichtet, gelangen im Durchschnitt ein Drittel aller Klientinnen mit Kinderwunsch zu ihrem Ziel. Die Methode ist seit den 70er-Jahren von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anerkannt.
Weiterführende Links zu Schweizer Therapieangeboten: www.luna-yoga.com