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Scheisse, ist das anstrengend!
«Fussball war heute irgendwie kacke» sagt mein Sohn. «So ein Fuck!» schimpft meine Tochter, wenn ihr etwas nicht gelingen will. Ich könnte mich jetzt natürlich aufregen und so tun, als wüsste ich überhaupt nicht, woher meine Kinder ihre Schimpfwörter haben. Oder alles auf die Schule schieben als jenen Ort, wo die reinen Kinderseelen, die in meinem Haushalt aufwachsen, mit Flüchen beschmutzt werden. Letzteres mag sogar stimmen. Das ändert aber nichts daran, dass meine Frau und ich diejenigen sind, die, wenn wir nicht aufpassen, die Messlatte in puncto Fluchen jeden Tag ein bisschen höher legen. Es ist aber auch zu verführerisch. Wenn der Alltag nervt oder die Arbeit stresst ist so ein (un)schönes sprachliches Ventil genau das richtige, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Sogar wenn man sich Sorgen macht oder am Ende seiner Kräfte ist, kann das helfen. So fragte mich meine Tochter nach einem besonders harten Abschnitt unserer sommerlichen Hüttentour in den österreichischen Alpen völlig zu recht: «Papa, warum hast du eigentlich so oft Fuck! gesagt?» Tja, mal sehen. Ich denke: «Während du wie eine Berggämse auf dem Steilhang langgeklettert bist, habe ich alle 3 Sekunden darüber nachgedacht, wohin uns ein falscher Schritt führen wird – nämlich DA runter.» Ich sage: «War ziemlich anstrengend.»
Kein Wunder, dass meine Kinder davon überzeugt sind, Missstimmungen aller Art müssten möglichst deftig verbalisiert werden. Also was tun? Ein befreundetes Paar, das sich in einer ähnlichen Situation wie wir befand, hat mir mal erzählt, wie sie sich behelfen. Immer wenn der Drang, der Welt so richtig die Meinung zu sagen, zu gross wird, benutzen sie vollkommen unverfängliche Wörter. Wenn er (ein veritabler Autocholeriker) also mit den Kindern im Stau steht oder ausgebremst wird, dann wird der andere Verkehrsteilnehmer nicht als «&%!§?!» sondern als «verflixter Zauberer» bezeichnet. Das sei zunächst gewöhnungsbedürftig, aber man wachse da schon rein, meinten sie.
Ich nehme mir vor, das bei nächster Gelegenheit auszuprobieren. Und siehe da, schon am nächsten Tag bietet sich die Gelegenheit. Auf dem Weg nach Hause schleicht vor mir jemand mit 60 km/h über die Landstrasse. Na super! Ich muss die Grossen noch abholen, einkaufen, Hausaufgaben angucken, kochen. Mach schon, du verflixter Zauberer! Du, dessen Name nicht genannt werden darf, fahr schneller! Mein kleiner Lieblingsgeschwindigkeitsschlumpf, ich habe wirklich noch viel zu tun – bitte leg doch einen Zahn zu!
Scheisse, ist das anstrengend!!!
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Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.