Lust&Frust
Schau mir in die Augen, Baby!
Lasst beim Sex die Augen offen, rät unsere Sex-Expertin. Es braucht ein bisschen Mut, bringt aber ungeahnte Innigkeit.
Ich erinnere mich an eine Fortbildung mit dem renommierten Sexual- und Paartherapeuten David Schnarch. Er erzählte von einem Kongress, bei dem er einen Vortrag zur Intimität hielt und in den Saal fragte: «Wer von Ihnen hat beim Sex die Augen oen?» Eine Hand ging nach oben: seine!
Viele Menschen haben beim Sex die Augen zu. Mit geschlossenen Augen fällt es leichter, in den Genuss zu kommen – und vielleicht auch «zu kommen», also einen Orgasmus zu haben.
Augen zu, aus Scham
Der wahre Grund für die geschlossenen Augen ist wohl eher ein anderer. Wir schämen und verstecken uns. Das tun wir manchmal auch angezogen. Scham ist ein uraltes, soziales Gefühl, welches in uns aufsteigt, wenn wir das eigene Verhalten etwa als unpassend oder ungenügend bewerten. Gerade beim Sex sind wir in mehrerlei Hinsicht nackt. Sehen wir sexy aus? Liegen wir heiss in der Kurve? Nicht ohne Grund wird Frau in Ratgebern dazu angehalten, die «S-Kurve» im Bett einzunehmen, um optimal auszusehen. Er dagegen präsentiert bitte einen prächtigen, strammstehenden Penis. Auch mit dem erotischen Können sind wir beschäftigt. «Bin ich ein toller Liebhaber?» oder «Bin ich eine gute Bläserin?» Er «besorgt es ihr» und sie belohnt ihn stöhnend und leckend mit ihrer Geilheit.
Die berühmten Sexualforscher Masters und Johnson nannten all diese Gedanken beim Sex «Spectatoring» – locker übersetzt, «dem Geschehen wertend zuschauen».
Augen zu und durch
Vielleicht beherrscht aber auch schlichte Routine den Beziehungssex. Wir liegen da, mit der Einkaufliste oder Tante Ellas bevorstehendem Geburtstag im Kopf. Oder, die Motorradtour mit den Kumpels lenkt uns gedanklich ab. In diesen Fällen empfiehlt sich in der Tat: Augen zu und durch. Das verhindert das «gelesen Werden», Blossstellung und unangenehme Spannung.
Ebendiese Spannung kann aber auch den umgekehrten Eekt haben: Sie kann uns – positiv gesehen – reizen. Unser Gehirn, das sich oft energiesparend faul zeigt, wird auf einmal wach. Darum ging es dem Sexualund Paartherapeuten David Schnarch, der den Zusammenhang zwischen Intimität und sexuellem Verlangen erforschte. In deutschsprachigen Ländern wird Intimität meist mit Sexualität gleichgesetzt, auf Englisch meint es tiefe Vertrautheit, die es erlaubt, dass uns jemand in all unserer Verletzlichkeit sieht. Das kann den Sex geradezu beflügeln.
Mehr Tiefe, mehr Gefühl
Der tiefe Augenkontakt lässt Hüllen fallen und sendet Kaskaden von anregenden Neurotransmittern und Hormonen durch den Körper. Zum Schaudern schön: Das Gefühl von Liebe und Vertrautheit wird im Gehirn neu vernetzt – und das, mit purer Geilheit verbunden.
Viele von uns müssen dafür erst üben. Damals, als aus Verliebtheit Liebe wurde, hörten die meisten von uns mit den tiefen Augenblicken auf. Es dreht sich nun darum, den Mut zu haben, sich anschauen zu lassen. Probieren Sie es gleich Morgen beim Frühstück aus, halten Sie den Augenkontakt länger als üblich. Später versuchen Sie es beim Sex. «Schau mir in die Augen, Kleines ...» Sobald sich die erste Verunsicherung legt, kann es mit dem innigen Genießen zu zweit losgehen. So fühlt sich guter Sex an – mit offenen Augen!