Blog
Rabatt für brave Kinder
zvg
Lust auf mehr? Folgen Sie «wir eltern» auf Facebook!
Als ich gestern zum Abschluss der Osterferien mit der ganzen Familie Essen war, musste ich an einen Text denken, den ich letzten Monat gelesen habe. Darin ging es um einen italienischen Restaurantbesitzer, der seinen Gästen einen Preisnachlass bei der Rechnung gewährt, wenn deren Kinder sich bei ihrem Aufenthalt gut benommen haben. Ausgangspunkt der Entscheidung des Gastronomen war ein Abend, an dem sich vier Erwachsene und sechs Kinder im Alter zwischen vier bis sechs so ruhig und wohlerzogen verhielten, dass er spontan entschied, dieses Verhalten zu belohnen. Seitdem hat er dieses Vorgehen in der Presse dutzendfach gerechtfertigt und gibt Erziehungstipps von hier bis in die vereinigten Staaten.
So weit, so klickverdächtig.
Für meine Kinder hätte ich diesen Rabatt gestern mit Sicherheit nicht bekommen. Meine neun Monate alte Tochter speichelt momentan am liebsten Brotkanten ein und verteilt sie möglichst weit. Mein Zweijähriger lebt auch bei höchstens lauwarmem Essen in ständiger Furcht davor, sich den Mund zu verbrennen, und äussert das sehr lautstark. Ausserdem isst er gerne bei allen mit. Mein Neunjähriger kann der Herausforderung, den letzten Tropfen seines Getränks möglichst geräuschvoll durch den Strohhalm zu ziehen, einfach nicht wiederstehen. Meine Elfjährige wird, ohne es zu merken, in Gesprächen schnell laut. Und die Chefin von dem Ganzen versucht mit mir die Situation zu moderieren. Für uns also kein Nachlass.
Damit will ich weder sagen, dass ich das Vorgehen des Restaurantbesitzers verdamme, noch dass ich es feiere. Sicher könnte man das zum Anlass nehmen, um allgemein über fehlende Kinderfreundlichkeit oder über den Mangel an Manieren und Erziehung zu diskutieren. Aber das wäre eine Grundsatzdebatte, die den Rahmen dieses Beispiels völlig sprengt.
Lieber möchte ich einfach festhalten, dass wir an diesem (Rabatt)Punkt gerade nicht sind und auch so schnell nicht sein werden. Wir sind hörbar, wir brauchen Platz, wir laufen herum, wir sind bei einem Restaurantbesuch mindestens so gestresst wie entspannt.
Wir hätten so einen Rabatt nicht verdient und wir wollen ihn auch nicht. Stattdessen freuen wir uns darüber, dass es Orte gibt, an denen wir mit unserem Familienchaos willkommen sind.
Das könnte Sie auch interessieren: Sieben Punkte, die sich im Leben unserer Bloggerin Claudia Joller verändert haben, seit sie Mutter geworden ist. Lesen Sie den Blogbeitrag hier.
Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.