Reise | Kroatien
Paradies im Visier
Wir sind keine Kitschkinder. Ausdrücke wie Paradies tummeln sich nicht in unserem Wortschatz. Das ist was für Romantiker, bestenfalls was für Glaubensaffine, finden wir. Aber jetzt tanzt genau dieser Ausdruck im meinem Kopf Salsa. Die Weite des Meeres, der breite Strand, die Wellen klatschen quasi vor der Wohnmobiltüre auf die Steine, klares Wasser, Krebse krabbeln zwischen den Felsen, Ruhe, Sonne, ein angenehmer Wind. Nix mit überfülltem Badestrand, nur da und dort ein Schwimmer. Wir sind angekommen.
Freezone nennen die Betreiber des Camping Village Simuni auf der Insel Pag in Kroatien den etwa dreihundert Meter langen Strandstreifen. Hier kann der Camper hingestellt werden, wo gerade Platz ist. Mein Götterfastgatte ist erst mal etwas skeptisch: Freezone? Klingt nach Party und Jungvolk, Lärm und Alkoholexzessen, praller Sonne, Auflauf von badenden Touristen vor der Campertür. Aber wir drei Mädels bestehen auf Freezone. Denn das, was wir hier vor uns haben, ist schlicht der fleischgewordene Abenteuertraum. Die Kinder planschen in Sichtweite am Strand, lassen sich auf Luftmatratzen treiben und krabbeln mit Krabben um die Wette, forschen mit der Taucherbrille nach Muscheln und Fischen im klaren Wasser, und wir schlürfen gemütlich den Hauswein, den wir in einer Fünfliter-Petflasche in der campingplatzeigenen Vinothek erstanden haben, oder wir trinken Karlovacko, kroatisches Bier. Auf dem Grill am Strand brutzeln Kobasice, kroatische Bratwürstchen. Paradiesische Zustände, für unseren Geschmack.
Es ist purer Zufall, dass wir hier gestrandet sind. Weil wir beide im Planen wirklich schlecht sind, wussten wir zwei Tage vor Abfahrt noch nicht, wohin wir reisen wollten. Und hätten wir nicht von Freunden einen Camper mieten können, wäre wohl aus Sommerferien wieder mal nix geworden. Dieses Mal konnten wir uns solche Planungsschlampereien leisten. Wir wollten einfach mal drauflos fahren, ein bisschen Abenteuer haben. Schweden wäre eigentlich auf der Bestenliste ganz oben gestanden, nur schon, weil man auf dem Weg dorthin laut Auskünften im Internet in jedem Land «wild wohnmobilen» kann. Doch wegen dem miesen Sommerwetter zogen wir dann Richtung Süden los. Ziel: Kroatien. Wildes Campieren ist dort zwar überall verboten, aber das war jetzt auch egal.
Vom Schwager bekommen wir eine CD mit Balkanmusik mit auf den Weg. Reinschieben und los gehts. Keine Ahnung, ob das gesetzeskonform ist, aber ich setze mich mal nach hinten in den Wohnmobilwohnbereich zu den Kindern. Die sind festgezurrt auf ihren Autositzen, eng aneinander auf die schmale Bank gepfercht, auf Gedeih und Verderb aneinander gepatscht. Auf dem Tisch vor sich Malzeugs und Stifte, die schon in der ersten Kurve auf den Boden schlittern. Wir tuckern also einher, der Mann an Bord für einmal einer völlig ungewohnten Situation ausgeliefert. Denn fährt er normalerweise ziemlich sportlich durchs Land, wird er hinter dem Steuer des Campers zum Asphaltcowboy auf einem ziemlich lahmen Gaul. Wir lassen die Schweiz und den Regen hinter uns.
Wir übernachten auf einer italienischen Autobahnraststätte, putzen die Zähne und waschen uns im Freien mit Wasser aus Wasserflaschen, das Abendessen besteht aus Chips, Eistee und Bier. Wir lassen uns in der gestauten Hitze im Camper vom monotonen Rhythmus der Autobahn in den Schlaf wiegen, wachen auf, die Kinder missmutig von der ungewohnten Hitze, wir mit Rückenschmerzen von den harten Matratzen. Weiter gehts weg von der Autobahn, durch italienische Dörfer. Ich streiche Brote im Akkord, weil die kurvigen Strassen gemütliches Streichen verunmöglichen, hechte rutschender Salami und Butter hinterher, Saft und Sirup werden ausschliesslich in verschliessbaren Flaschen rausgegeben. Wir irren durch Dörfer und enge Kurven mit diesem riesigen Gefährt, auf der Suche nach nem Bancomaten, Benzin und kühler Aranciata und müssen merken, dass in der Zeit der Siesta hier gar nichts geht. Kindergequengel: «Ich hab Durst.» Männergequengel: «Ich kenn mich hier nicht aus, wo müssen wir langfahren?» Na bravo. Aber ich, oder was? «Gopferdoori, du blöds Ar…., verpi… di doch, Himmua… nomau seit me imfau nid, Papi.» Als Malin dem Papa alle Schimpfwörter aufzählt, die er gerade wegen hupend überholenden italienischen Autofahrern geflucht hatte und Mikka zum 23. Mal «gell, mir bade hüt scho no im Meer» sagt, droht die Stimmung zu eskalieren. Ich stopfe die Mäulchen mit Gummibärchen.
Zwei Tage, und wir sind da. Kroatien. Laut TCS-Campingführer, den wir uns kurz vor der Abfahrt in Solothurn noch schnell besorgt hatten, haben wir in Kroatien im Juli ohne vorherige Reservation keine Chancen auf einen freien Platz. Doch als wir in Selce einen Campingplatz anfahren, geht die Barriere sofort hoch. «Klar haben wir freie Plätze. Suchen Sie sich einen aus.» Er war nicht top, dieser Platz, steil, schräg, in den Hang gebaut, verbetonierter, kleiner, enger Strand. Die sanitären Anlagen sind nicht mal mehr Geschmackssache, Duschwasser gibts in kalt und das Klo kippt beim Poputzen nach links weg. Doch wer will Luxus, wenn er Abenteuer sucht. Und die Kinder hätten wir beim Anblick des Meeres keinen Fahrmeter mehr weiter gebracht. Sie schnappen sich die Luftmatratzen und erobern das Meer.
Wir wollen noch mehr Meer, aber auch Mensch und Kultur. Darum machen wir uns auf den Weg weg von touristischen Stränden ins Landesinnere. Doch was wir da zu sehen bekommen, bringt uns, wenn auch nur ein kleines bisschen, dem näher, was wir primär aus Zeitungsberichten und Nachrichten zu wissen glauben. Es sind Mahnmale des Balkankrieges, zerschossene Fassaden von öffentlichen Gebäuden, in denen schon lange wieder kommunale Politik gemacht wird. Ruinen von zerbombten Gebäuden, die neben den neu gebauten Einfamilienhäusern stehen gelassen worden sind. Weil der Wille oder das Geld fehlen, die Ruinen zu entfernen? Weil nie in Vergessenheit geraten soll, was war, noch vor wenigen Jahren, als Nachbarn und Freunde zu Todfeinden wurden und die ganze Welt zuschaute? Wir wissen es nicht, denn wir sprechen die Landessprache nicht. Und ja, wahrscheinlich hätten wir uns nicht getraut anzuhalten, die Menschen, die in den Gärten die Erde locker hacken und die Kühe auf die Weide treiben zu fragen, wie es war, hier, das Leben, in diesem Krieg, damals. Und wir merken, dass wir zu wenig wissen, um unseren Kindern zu erklären, worum es eigentlich genau gegangen war. Und irgendwie fühlen wir uns nicht gut dabei.
Wir sind schon viel rumgereist, in unserem gemeinsamen und in unseren vorherigen Leben. Diese Camperferien aber sind anders, entschleunigt, speziell. Wir haben alle Zeit der Welt, müssen nie irgendwann wo sein. Wir können einfach sein, abschalten, geniessen. Wir sind in den Nationalpark an den Plitvicer Seen gefahren, in dem mein Mann seine Kindheitsträume von Winnetou und Old Shatterhand und dem Schatz am Silbersee wiederfinden will, nur um dann in Touristenbussen rumgekarrt und zwei Stunden zur Wanderung an silberblauen Seen entlang verdammt zu werden und zu erfahren, dass der Schatz am Silbersee grossmehrheitlich an einem ganz anderen Ort in Kroatien gedreht worden war. Wir schauen durch die Scheiben dem Regen zu, der an einem Tag über das Land fegt und manchen Camper im Schlamm versinken lässt. Und ja: Als wir eben an diesem Strand auf der Insel Pag ankommen, dort, wo sich der Ausdruck Paradies in meinen Kopf einschleicht und sich genüsslich breit macht, kann uns eh nichts mehr was. Wir baden, essen leckerste kroatische Köstlichkeiten wie Pljeskavica gefüllt mit Schafskäse vom Grill oder Dolma, gefülltes Gemüse. Wir erleben Menschen, die lachend und tröstend auf brüllende Kinder reagieren und nicht befremdet gucken. Wir sehen bunte Märkte, lebende Kraken in Verkaufstheken. Und wir machen uns auf den Weg weg vom Paradies, als die Zeit zu drängen beginnt, der Job auf uns wartet, auf eine lange, triste Heimfahrt, zurück in den Regen, aus dem wir gekommen waren. Wir werden wieder losfahren mit dem Camper, solange er es noch macht, mit seinen stolzen 17 Jahren. Vielleicht diesmal gegen Schweden. Und vielleicht sehen wir dort Bären.
Tipps für Ferien im Wohnmobil
Zeithaben: Wer schnell am Ziel ankommen will, nimmt vielleicht doch lieber den PW. Das Reisen im Wohnwagen setzt Zeit und Flexibilität voraus.
**Kosten: **In der Hauptsaison kostet ein Wohnmobil für 4 Personen pro Woche ca. 1400 bis 1900 Franken. Diverse Anbieter im Internet.
Teuer: Vor der italienischen Grenze tanken: Satte 2.30 Franken pro Liter bezahlt man in Italien für einen Liter Diesel. In Kroatien kostet ein Liter 1.65 Franken, Bleifrei 1.76 Franken. Nicht vergessen Mautgebühren. Je nach Land nicht ganz billig. Im Internet informieren.
Campieren: Wir haben in der Vorsaison im Camping Simuni auf der Insel Pag pro Tag 49 Euro bezahlt für Camper mit Strom und Wasser, zwei Kinder, 4 und 10 Jahre, und zwei Erwachsene. In der Hauptsaison (ab 12. Juli) kostets rund 61 Euro.