Wann ist ein Mann ein Mann
PAPA wird Macho
Eine Motocrossmaschine. Eine, nach der sich Frauen auf der Strasse umdrehen, sei es auch nur, um mir den Stinkefinger zu zeigen, weil ihr Baby aus dem Kinderwagen hochschoss, als ich an ihnen vorbeiröhrte. Eine Bultaco aus den 70ern. Das wärs. Oder Tickets für ein Spiel der Queens Park Rangers. Nur mit Freunden – wie damals. Oder was ganz Verwegenes: Einen Samstag ohne Plan und Kindergeburtstag; bis Mittag ausschlafen, dann DVD schauen, dazwischen im Stehen pinkelnd Kebab essen und abends ins Kino...
Schon komisch: Je tiefer ich in mich gehe, desto oberflächlicher werden meine Wünsche. Und desto mehr fällt mir auf: Was ich mir als moderner Vater wünsche, passt so gar nicht zu dem, was andere von mir als moderner Vater fordern: Sicherheit, Verlässlichkeit, Seriosität, den Abwasch und Aufwisch. Was zum Anlehnen, Drunterkriechen, Nacheifern oder Draufsteigen. Je nach Familienmitglied. Aber sicher keinen ungehobelten Heini. Und je länger ich so darüber nachdenke, desto mehr wird mir klar: Was ich mir im Grunde wünsche, ist endlich ein Männerbild, mit dem ich mich identifizieren kann – und das trotzdem familientauglich ist. Denn wer sich ernsthaft etwas wünschen soll, müsste ja erst mal wissen, wer er denn nun eigentlich ist.
Wann ist ein Mann ein Mann?
Früher war das simpel: Noch kein Härchen im Schritt, da wusste ich genau, was Mann zum Mann macht. Dabei hatte ich Herbert Grönemeyer wohl einfach nur falsch verstanden. «Wann ist ein Mann ein Mann» war nicht Antwort, sondern Frage. Und «Männer» nicht die Hymne der maskulinen Selbstdefinition, für die ich das Lied hielt, als ich es im Skilager auswendig lernte. Der Song war eher Ausdruck des Rollendilemmas, in das der Mann damals gerade geraten war, und aus dem er bis heute offenbar nicht mehr herausgefunden hat.
Dabei war der Mann und ja, auch der Vater, in den vergangenen Jahren durchaus bemüht, sich neu einzuleben, nachdem ihm der Feminismus die Selbstherrlichkeit aus- und den Macho miesgeredet hatte und er nicht mehr wusste, wo der Hammer hängt. Er griff pionierhaft zum Kochlöffel und versuchte sich als Hausmann. Zum Beispiel. Vergeblich. Wieso auch hätte es ihm am Herd besser gefallen sollen als seiner emanzipierten Frau?
Also probierte er es auf die metrosexuelle Tour, wurde ein konsumgesteuertes Weichei, das sich das Nasenhaar zupft und sich auf dem Fussballplatz den Klunker im Ohr mit Klebeband abdeckt. Doch Mann merkte schnell: In der Realität mag keine Frau einen Kerl mit von hinten nach vorne gelecktem Haar, der länger im Bad braucht als sie selber.
Dann doch lieber retrosexuell. Der neue Männer-Mann sollte sein: reflektiert wie Bertrand Piccard und zugleich charmant und maskulin wie George Clooney. Und möglichst so reich und erfolgreich wie die beiden zusammen. Klingt toll. Aber auch ziemlich ambitiös. Und sehr anstrengend. Bleibt noch das «easy» Gegenmodell dazu: Der «Boy-Man». So nennen die Soziologen neuerdings das Bubi, das nie erwachsen werden will und momentan Frau mit Kinderwunsch allenthalben Schweissperlen auf die Stirn treiben soll, weil er bei Worten wie Verantwortung sofort die Flucht ergreife.
An Mannsbildern mangelt es also nicht. Das Problem ist: Meine bescheidene Gattung, die des Vaters und Ehemanns, spielt in all diesen Drehbüchern keine Rolle. Zum Hausmann fehlt den allermeisten der Ansporn und die Qualität, zum Clooney das Aussehen und der Reiz des noch nicht domestizierten Hengstes, zum Beckham das Geld und die weibliche Attitüde, und mit dem Bubi in mir will ich zumindest meine Frau nicht über Gebühr belästigen, weil ich selber als Erzieher miterlebe, wie anstrengend der Umgang mit «Chindschöpf» zuweilen ist.
In erster Linie bin ich nämlich Vater. Einer, der nicht nur Gute-Nacht-Küsse verteilt. Und ich bin Ehemann. Einer, der sich als Partner seiner Frau und nicht nur als deren Versorger versteht. Und ich bin Geldbeschaffer. Einer, der berufliche Ambitionen hat, der der Lohntüte trotzdem nicht alles unterordnet. Tja, und dann steckt in mir eben auch noch je ein Schuss Bubi, Chauvi, Muttersöhnchen, Karrierist, Wyberschmöcker, Beckham, Clooney und Frauenversteher – die Mischung variiert. Und nun sagen Sie mir: Bei so vielen Duftnoten im Wald, wer soll sich da noch orientieren können? Und warum eigentlich wurde der Vater im Mann stets so sträflich vernachlässigt?
Doch Rettung naht! In Amerika wurde die Männerpalette nämlich erst gerade um ein weiteres Modell erweitert. Er heisst – Trara!: «New Macho.» Um es vorwegzunehmen: Der Typ ist sympathischer als sein Name. Und glaubt man dem New Yorker Magazin «Newsweek», das den Macho reloaded kürzlich aus dem Hut gezaubert und damit auch in unseren Breitengraden die Debatte um uns Mannsbilder wieder losgetreten hat, dann ist der neueste neue Mann nicht weniger als DAS Erfolgsmodell, das die westlichen Gesellschaften im 21. Jahrhundert wettbewerbsfähig hält. Und das Beste: Diesmal sind ausgerechnet wir Väter von heute den Männern von morgen eine Nasenlänge voraus! Der New Macho nämlich ist in erster Linie mal Vater.
Väter in Zahlen
- 7,3 Prozent der Schweizer Väter arbeiten Teilzeit
- 2 Tage Vaterurlaub bekommt Papa
- 62 Überstunden im Jahr machen Männer im Schnitt
- 4 Prozent der Väter haben das alleinige Sorgerecht
- 73 Stunden pro Woche arbeiten Väter in Büro und Haushalt
- 31,5 Stunden Hausarbeit erledigen Väter von Kleinkindern in der Woche
- 60 Prozent der Schweizer Väter glauben bei einer Scheidung den kürzeren zu ziehen
- 300 um 300 Prozent ist die Zahl der alleinerziehenden Väter seit 1970 gewachsen
Väter haben Konjunktur
Ohne Grund kommen wir Väter natürlich nicht zu solchen Ehren. Da ist einmal die Tatsache, dass Frauen kindertränentrocknende Männer irgendwie sexy finden. Und Männer gemerkt haben, das der ewige Junggeselle in der globalisierten Welt nicht mehr Konjunktur hat. Die Sache geht aber noch sehr viel tiefer. Die These nämlich, die hinter dem Heilsbringer «New Macho» steckt, ist provokant, aber plausibel: Der Mann in seiner jetzigen Version ist ein Auslaufmodell: zu unflexibel, zu selbstsüchtig, zu dekadent, zu wenig kreativ und sozialkompetent. Das ist nicht etwa einfach nur eine Behauptung, sondern lässt sich in sämtlichen westlichen Ländern dieser Welt mit Zahlen belegen: In der Schule wird er abgehängt. Im Job schiebt er Krise an Krise. Sein Lebenswandel ist lebensgefährlich. Im Vergleich zu seiner besseren Hälfte stirbt der Mann heute zweimal häufiger an Leberzirrhose, mehr als zweimal häufiger an Herzinfarkten, dreimal häufiger an Lungenkrebs, drei- bis viermal häufiger an Selbsttötungen und viermal häufiger bei Verkehrsunfällen. Und das, noch bevor er das Pensionsalter erreicht. Ja, und dann hockt er auch noch beruflich auf dem absteigenden Ast in Industriezweigen aus der Vergangenheit und labert was von: «Männer sind biologisch eben nicht gestrickt für Jobs wie Kleinkindererzieher oder Krankenpfleger.»
Während dessen bricht Frau in immer mehr Männerdomänen ein und macht sich breit in den Branchen der Zukunft. Sie hat längst begriffen, dass es zwar geschlechterspezifische Unterschiede gibt, diese aber nicht bestimmen, was zu tun und zu lassen ist. So arbeiten Frauen zwar nach wie vor bei der Spitex. Sie sind aber auch CEOs, Soldatinnen und ja, auch Bundesräte.
Nun könnte man sagen: Was solls? Doch wenn Männer durchs Band verlieren, verlieren eben auch Frau, Kinder und letztlich die ganze Gesellschaft. Deshalb fragt «Newsweek» zu Recht: Wie bringt man den entgleisten Mann zurück auf die Schiene? Die Antwort lautet, zugespitzt: Indem er das Lebensmodell Familie, und zwar die moderne Variante davon, ins neue Männerbild integriert. Wie hat Schweden mustergültig aufgezeigt: Dort darf Mann nicht nur wie Frau in den Mutterschaftsurlaub. Er muss, will das Paar nicht zwei Monate der bezahlten Elternzeit verlieren. «Us-it-or-loose-it» lautet das Motto. Die Folge: Innert zehn Jahren hat sich die Zahl der Männer, die nach der Geburt eines Kindes vier Monate Vaterschaftsurlaub bezogen, von 4 auf über 80 Prozent erhöht.
Und diese schwedischen Männer werden künftig wahrscheinlich nicht mehr nach acht Stunden Arbeit im ruhigen Büro mit netten Kollegen nach Hause kommen und sich mit dem Argument: «Ich hab den ganzen Tag geschuftet », für den Rest des Abends aufs Sofa legen. Es sei denn sie sind kinderlos und hatten nie hungrige, quenglige und zahnende Babys um die Ohren. Nicht, weil ihm die Emanze sonst den Hintern versohlt, wie beim Modell «Softie». Sondern schlicht, weil Mann erkannt hat, dass der Job im Haushalt, die Beschäftigung mit Kindern so anstrengend, aber auch so bereichernd, verantwortungsvoll und respektabel ist wie die Arbeit im Büro. A real Job eben.
Dieser Mann sieht seinen Sinn und Zweck nicht mehr einzig in der Rolle als Geldbeschaffer, die ihm Frau ohnehin zunehmend streitig macht, sondern auch als Vater, Ehemann und Familienmensch. Das starke Geschlecht versöhnt sich also quasi mit der «schwachen» Seite des Lebens. Und wagt sich vermehrt auch in weibliche Berufs- und Tätigkeitsfelder, wo man Mann heute so schmerzlich vermisst: als Lehrer, Pfleger oder einfach als Vorbild für die Söhne und Töcher von heute und Männer und Frauen von morgen. Statt in der Kampfzone Leben unterzugehen oder als Auslaufmodell in der Mottenkiste der Geschichte zu landen, wird er endlich wieder, ja… nützlich.
Der Macho mit der Extraportion Milch
Nun stellt sich natürlich noch die Frage: Wie viel Macho steckt eigentlich noch in diesem «New Macho»? Wie setzt man die schöne Theorie in funktionierende Praxis um? Und was könnte sich der Papa als neuer Macho denn wünschen? Nun: Eine Motocrossmaschine läge durchaus drin. Wie betonen doch die beiden «Newsweek»-Autoren, Andrew Romano und Tony Dokoupil: Es gehe ihnen nicht darum, eine geschlechterlose Gesellschaft zu kreieren, eine Welt, in der Männer «just like woman» sind: War der Retrosexuelle der Metrosexuelle von gestern mit einem Schuss Testosteron, so ist der New Macho der Macho von gestern mit der Extraportion Milch. Oder eben: Der Papi von morgen auf der Bultaco von gestern.
Soll dieser «New Macho» aber – mit dem ich mich durchaus identifizieren könnte – tatsächlich zum Erfolgsmodell avancieren, ist des neuen Mannes Pflicht, dass er seinen Testosteronspiegel im Alltag gegen einen allzu erdrückenden Östrogeneinfluss verteidigt. Und das wiederum bedeutet nichts anderes, als dass sich letztlich auch das schwache Geschlecht im Alltag endlich mit der starken Seite des Lebens versöhnen muss: Frau muss etwa mehr Verantwortung fürs Heimleben abgeben und sich dafür mehr Verantwortung fürs Familienbudget aufbürden. Ja, genau das wünsche ich mir.
Was das konkret heissen könnte, möchte ich an folgendem, im Grunde völlig unschuldigen Beispiel aus meinem ganz privaten Familienalltag erläutern: Wenn ich meine Tochter morgens ankleide, damit meine Frau sich ausgiebig um die eigene Garderobe kümmern kann, muss es nicht ständig was Frisches sein: Die geringelten Leggins lagen also gerade bereit. Ebenso der Pulli mit den süssen Blumen. Mann denkt schliesslich praktisch, und praktischimmer anders als Frau. Aber wenn Papa schon waschen und bügeln soll, soll er auch mitbestimmen dürfen, was sauber aus dem Schrank und was schmutzig in den Wäschekorb kommt. Über den Pulli zog ich meiner Tochter also eine braune Jacke, ein grünes Halstuch und zum Abschluss die gelbe Regenjacke. Sodeli – schickte ich die Kleine mit einem liebevollen Klaps in den Tag. Das ging ja flott heute.
Drei Minuten später kommt sie zurück – in Socken und Unterhosen. Offensichtlich war sie – beziehungsweise ich bis auf die Basics – beim Style- Check durchgefallen. Nicht das erste Mal. Aber das letzte Mal, sagte ich mir und schritt selbstbewusst zu meiner Frau ins Badezimmer. «So nicht», meinte ich, faselte was von «neuem Wind» und so – und erklärte ihr dann, was ab jetzt Sache ist: Papa wird gerade zum neuen Macho.