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Papa, sind wir eigentlich reich?
zvg
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Die Chefin von dem Ganzen und ich, wir sind mittel. Mittelalt, mitteleuropäisch, mittelschichtig. Mit mittelguten finanziellen Möglichkeiten. Das heisst, dass wir über ausreichend Geld verfügen, um gemütlich und sicher zu leben, dabei aber keine grossen Sprünge drin sind. Wir können unseren Alltag plus ein paar kleine Extras problemlos finanzieren, aber keine wirklichen Reserven anlegen. Wir schaffen es meistens, zwei-, dreimal im Jahr in den Urlaub zu fahren, aber ob wir dafür als sechsköpfige Familie Flüge buchen, müssen wir uns sehr genau überlegen und ausrechnen. Alles in allem funktioniert unser Lebensmodell recht gut. Das liegt vor allem daran, dass wir sehr entschieden so leben. Die Entscheidungen, die wir dabei treffen, sind nicht immer leicht nachzuvollziehen. Früher waren es vor allem unsere Freunde und Verwandten, die sich wahlweise erkundigt haben, wie wir uns das leisten können oder warum wir uns das nicht leisten können. Inzwischen sind es oft unsere grossen Kinder.
So geben wir zum Beispiel viel Geld für hochwertige Lebensmittel und Platz zum Wohnen aus, aber kaum etwas für Bekleidung. Für meine modebegeisterte Tochter ist es nur schwer nachvollziehbar, dass ich mich in gebrauchten Sachen am wohlsten fühle. Sie liebt Shoppen, während sich mir schon vom Geruch in Klamottenläden der Magen umdreht. Wir versuchen, alles zu reparieren anstatt es wegzuschmeissen, und verschenken viel. Mein kaufmännisch interessierter Kerl findet das absurd. Er ist immer auf der Suche nach dem besten Deal, nach (s)einem finanziellen Vorteil. Dass die Sachen in einem 1€ Shop (Habt ihr so etwas in der Schweiz?) selbst diesen niedrigen Preis nicht wert sind und dass das neue, geile Handy beim Telefonanbieter nicht wirklich so günstig ist, sondern an einen hochpreisigen Vertrag gekoppelt, will ihm nicht in den Kopf. Er ist zwar gerne grosszügig und lädt andere ein.
Aber dass man Sachen verschenkt, die man verkaufen könnte, macht für ihn keinen Sinn.
Und beide meine Kinder interessieren sich sehr für Reichtum. Sie fragen beständig, ob wir reich sind, und bekunden zugleich, reich werden zu wollen. Denn zum einen sind wir bei weitem nicht so reich wie ihre YouTube Idole. Wir reisen nicht so weit, wir können uns nicht so viele Sachen leisten, wir arbeiten viel mehr. Zum anderen sind wir ziemlich glücklich und zufrieden. Das passt in ihren Köpfen (noch) nicht ganz zusammen. Ich bin gespannt, ob und wenn ja wann sich das dreht. Wann aus haben wollen machen wollen wird.
Schauen wir mal.
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Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.