Aus dem Vaterland
«Papa, bin ich später mal wie du?»
Kürzlich trat mein Vierjähriger an mein Bett, setzte eine besorgte Miene auf und fragte: «Papa, bin ich später mal wie du?» Es war Samstag um fünf Uhr früh, aber ich war sofort wach. Was meinte er damit: Ob er eines Tages gross und stark sein wird? Auto fahren darf? Oder ob er sich dereinst jeden Morgen müde ins Büro schleppt, weil ihn in der Nacht diffuse Existenzängste wach gehalten haben, die erst mit dem ersten Feierabendbier verschwinden würden? War das die Frage?
Ja, was sieht mein Sohn in mir eigentlich? Ich war ein bisschen überfordert. Also gab ich das belustigte Kichern von mir, das Eltern einsetzen, wenn sie auf eine gute Frage keine Antwort parat haben. Mein Sohn liess sich aber nicht ins Bockshorn jagen und schaute mich erwartungsvoll an. Es war offenbar Zeit für unser erstes Mann-zu- Mann-Gespräch, das dann so ablief:
Ich: «Willst du denn mal so sein wie ich?»
Er: «Ja.»
Ich: (erleichtert) «Wieso?»
Er: «Dann können wir zusammen Sachen machen.»
Ich: (wieder verunsichert) «Aber das tun wir doch schon.»
Er: «Ja, aber nicht so wie du und Götti.»
Ich: «Du meinst Pingpong spielen?»
Er: «Nein, Freunde sein.»
Ich wollte ihm schon sagen, dass das später selbstverständlich der Fall sei. Doch dann kamen mir Zweifel. Kann man mit jemandem, den man geschätzte 50 000-mal ermahnt und dessen Po jahrelang geputzt hat, befreundet sein? Es ist mit Vätern und Söhnen doch wie mit ehemaligen Lehrern, die man wieder trifft. Obwohl man sie vielleicht beruflich übertrumpft hat, bleiben sie Autoritätsfiguren, denen gegenüber man sich trotz angebotenem Duzis nur schwer öffnet.
Und natürlich sind Väter ihren Söhnen immer einen Schritt voraus. Hört der Nachwuchs Punk, ist der Vater beim Jazz angelangt. Spielt man endlich passabel Tennis, plagen den Erzeuger die ersten Rheuma-Attacken. Eine temporale Tragödie. Wie reizvoll wäre es, den eigenen Vater als Gleichaltrigen, auf Augenhöhe, zu erleben! (Oder auch nicht: Im Film «Back to the Future» reist die Hauptfigur in die Vergangenheit und trifft dort auf seinen gleichaltrigen Vater – der sich als totaler Loser entpuppt).
Bei den Frauen ist das offenbar einfacher. Jedenfalls hört man immer wieder den Satz «Meine Mutter ist meine beste Freundin!» Aber «Mein Vater ist mein bester Freund»? Gibts nicht. Wir sind und bleiben dubiose Respektspersonen, manchmal Rivalen, im besten Fall Verbündete oder «Vorbilder» (wofür genau weiss zwar niemand). Was für eine undefinierte Rolle. Haben Evolutionsbiologen und Feministinnen, die unsere Existenzberechtigung infrage stellen, am Ende Recht?
Diesen dunklen Gedanken nachhängend, hörte ich meinen Sohn ungeduldig «Paaaaaapa!» reklamieren. Genau, ich schuldete ihm ja noch eine Antwort auf die Freunde-Frage. Ich sagte: «Geh wieder ins Bett, ich will jetzt schlafen!» – was er mit «Ach Papa, du bist blöd!» quittierte. Dann stapfte er davon. Ich drehte mich lächelnd um und dachte: Wieso Freunde werden? Vater sein ist das Beste auf der Welt.