Persönlich
Norbert Trüeb
Ich stehe relativ früh auf. Damit ich richtig wach bin, wenn die ersten Patienten kommen. In der Praxis trinke ich zuerst in Ruhe einen Kaffee und lese «20 Minuten». Dann ist meist schon die erste Mutter mit ihrem Baby da. Vielleicht schläft das Kleine schlecht oder es schreit viel. Bevor ich mit der Behandlung beginne, versuche ich möglichst viel über die Geburt und die Lebensumstände des Kindes zu erfahren.
Für mich als Osteopathen gibt es Kriterien, die auf gewisse Probleme hinweisen können. Wir gehen zum Beispiel davon aus, dass der Druck, der während einer Geburt auf den Schädel des Kindes einwirkt, wichtig ist. Fehlt dieser wie etwa bei einem Kaiserschnitt, kann das zu Problemen führen. Aber auch sehr lange, schwierige Geburten oder wenn Hilfsmittel wie Glocke oder Zange eingesetzt wurden, können Schwierigkeiten verursachen. Können, sage ich – nicht müssen.
In meiner Behandlung geht es oft darum, die Verbindung zwischen Mutter und Kind zu stärken. Babys sind sehr empfänglich für Stimmungen. Darum frage ich die Mütter immer, wie es ihnen selber geht, ob der Mann mithilft und wie sie es zusammen haben. Man merkt dann schnell, ob dort ein Teil des Problems liegt.
Zu erklären, was ich in der Osteopathie genau mache, ist nicht einfach. Wir Osteopathen unterscheiden uns voneinander. Ich rede zum Beispiel nicht gerne von Energien und Energieflüssen. Das kommt mir zu ätherisch rüber. Als ursprünglich gelernter Automechaniker schaue ich zuerst, wie sich ein Kind bewegt und wie flexibel es ist. Stosse ich auf Blockaden, versuche ich diese zu lösen. Man darf sich jetzt nicht vorstellen, dass ich da wahnsinnig manipuliere an so einem kleinen Kind. Das sind kleine Bewegungen, leichter Druck an der richtigen Stelle, Dehnungen. Je kleiner das Kind, desto sanfter gehe ich vor. Wobei jeder, der einmal bei einer Geburt dabei war, zugeben muss, dass Babys viel mehr aushalten, als man gemeinhin annimmt.
Kleine Kinder sprechen in der Regel sehr gut auf die Behandlungen an. Es ist schön zu hören, wenn Eltern sagen, dass sie wieder durchschlafen können oder dass ein Neugeborenes plötzlich gut trinkt. Die meisten Kinder sind nach der Behandlung sehr müde und schlafen viel. Die Eltern können so zumindest wieder einmal einen ruhigen Abend miteinander verbringen, der Teufelskreis «schreiendes Kind – genervte Eltern» wird durchbrochen.
Meine Arbeitstage sind recht lang, meistens komme ich nicht vor halb sieben aus der Praxis. Früher spielte ich regelmässig American Football, heute bleibt mir neben der Arbeit und meiner Familie wenig Zeit für Hobbys. Wenn ich daheim bin, koche ich gerne. Meine Frau liebt meine Küche. Sie sagt, ich werde immer besser. Wahrscheinlich nur, weil ich ihr beim ersten Date Riz Casimir aufgetischt habe. Erst viel später hat sie mir verraten, dass es ein Menü gibt, das sie wirklich hasst: Riz Casimir...
Wenn mich Leute fragen, was ich genau mache, bin ich immer etwas überfordert. Ich versuche es dann so zu erklären: Wenn ein Patient mit Nackenschmerzen zu mir kommt, taste ich die Halswirbelsäule ab und suche nach Blockaden. Finde ich eine, überlege ich mir, welcher Nerv dadurch behindert wird. Es kann also sein, dass ein blockierter Halswirbel eine Relation zum Magen-Darm-Trakt hat. Ist das jetzt schon zu kompliziert? Ich lasse also Nackenschmerzen Nackenschmerzen sein und behandle den Magen, weil der wiederum mit der Speiseröhre verbunden ist und diese einen Zug auf den Nacken auslöst. Der Nacken ist dann vereinfacht gesagt bloss ein Opfer des Magens.
Weil das alles so unfassbar ist, sehe ich manchmal alt aus, wenn mir ein Arzt einen Patienten mit Nackenproblemen überweist und der ihm nachher erzählt, ich hätte am Bauch rumgedrückt. Ich sage dann, was die meisten meiner Patienten sagen: Hauptsache, es nützt!