Unsere Kinder essen zu viel und bewegen sich zu wenig. Was aber ist mit jenen, die zu wenig wiegen? Die Ärztin Frauke Hartmann gibt Auskunft.
wir eltern: Frau Hartmann, wie kommt es dazu, dass ein kleines Kind in unserer westlichen, wohlgenährten Welt überhaupt zu wenig wiegen kann?
Dr. Frauke Hartmann: Sowohl die gesellschaftliche als auch die familiäre Dynamik haben einen wesentlichen Einfluss auf das Essverhalten von Kindern. Dies kann bei gewissen Kindern nicht nur zu Übergewicht, sondern auch zu Nahrungsverweigerung mit der möglichen Folge von Untergewicht führen.
Was können Eltern dagegen tun, wenn der Sohn oder die Tochter nur im Essen herumstochert oder es gar ganz verweigert?
Eine wichtige Rolle spielen die Gestaltung der Mahlzeiten, die Regelmässigkeit und Verbindlichkeit sowie der elterliche Umgang mit dem Essen. Bei jüngeren Kindern spielt sich rund um das Thema Essen – ähnlich wie beim Zubettgehen und Einschlafen – ein wichtiger Teil der Autonomie-Entwicklung ab. Wenn es den Eltern zu wenig gelingt, einen Rahmen mit klaren Regeln und Grenzen zu schaffen, der aber auch ein gesundes Mass an Selbstständigkeit zulässt, ist die Verweigerung eine gute Möglichkeit, Auseinandersetzungen zu provozieren. Man kann das als einen Test verstehen, bei dem es dem Kind darum geht, sich zu versichern, dass die Eltern wissen, was sie wollen, und ob seine Bedürfnisse dabei auch berücksichtigt werden.
Haben Sie konkrete Tipps, wie Eltern dieses Suppenkasper-Verhalten beeinflussen können?
Verzichten sollte man während der Mahlzeiten auf gleichzeitiges Spielen, Fernsehen oder sonstige Ablenkungen, damit das Kind wenigstens etwas isst. Aber auch zu viel Druck, Zwang oder Strenge sind kontraproduktiv. Das führt dazu, dass die Kinder die Mahlzeiten als etwas Negatives erleben. Hilfreich sind die «5 Ws»: Die Eltern bestimmen, was (Zusammenstellung der Speisen, nicht zu viele Extrawünsche!), wann (Essenszeiten und Dauer der Mahlzeiten) und wie gegessen wird (nur am Tisch, nicht zwischendurch, klare Vereinbarungen betreffend Selbstbedienung). Die Kinder bestimmen, wovon sie wie viel essen. Brot sollte immer auf dem Tisch stehen, Zwischenmahlzeiten (z.B. Früchte, ungesalzene Nüsse, rohes Gemüse, Joghurt) aber nur zu definierten Zeiten angeboten werden. Generell empfehle ich eine Haltung der «simplen Selbstverständlichkeit» mit klaren Regeln im Sinne von: «Kein gesundes Kind verhungert freiwillig!»
Zur Person
Frauke Hartmann ist Oberärztin der Kinderstationen der Universitären Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in Bern.