Corona und Kinder
Maske runter in der Kita bei Pflegehandlungen
Was bedeutet es für Babys und Kleinkinder, wenn Erwachsene in ihrer Gegenwart Hygienemasken tragen? Interview mit Anna von Ditfurth, Familientherapeutin bei der Beratungsstelle Baby-Hilfe in Zürich.
wir eltern: Frau von Ditfurth, was bedeutet es für Babys und Kleinkinder, wenn Erwachsene in ihrer Gegenwart Hygienemasken tragen?
Anna von Ditfurth: Das Gesicht des Gegenübers ist einer von vier Kanälen, über welchen Babys Orientierung und Feedback über ihr eigenes Empfinden erhalten. Dieses Feedback ist für sie wichtig, einerseits um Selbstempfinden zu entwickeln, anderseits um ihren Zustand, ihre Stimmung in Beziehung regulieren und modulieren zu lernen. Tatsächlich haben Babys eine grosse Vorliebe für Gesichter und wenn diese grösstenteils verdeckt sind, fehlt etwas.
Welche sind die anderen drei Kanäle?
Der zweite Kanal ist die Empathie, das Gegenüber spiegelt die gefühlsmässige Verfassung des Babys. Der dritte Kanal ist die Stimme des Gegenübers, die die Emotionalität des Babys im Ton transportiert oder auch durch den Ton Abgrenzung ermöglicht. Und dann sind da noch Positionierung und Berührung, denn Babys können sich nur orientieren, wenn sie uns sehen und hören oder wenn wir sie berühren und Körperkontakt zu ihnen herstellen.
Es geht also darum, die fehlende Mimik mit den anderen drei Kanälen zu kompensieren, wenn wir Maske tragen?
Genau. Wir reden deutlicher, greifen deutlicher die Tönchen der Kinder auf und reden emotional markant, berühren das Kind mehr und versuchen, Mimik auch über Stirn und Augen auszudrücken.
Eine generelle Maskenpflicht wird in Kitas nicht empfohlen. Wann sollten die Betreuenden die Maske abnehmen?
Bei sämtlichen Pflegehandlungen. Also beim Wickeln und Füttern. Aber möglichst auch wenn das Kind untröstlich weint und beruhigt werden muss. Die Kinderärztin Emmi Pikler hat bei ihrer Arbeit mit psychisch versehrten Babys und Kleinkindern erkannt, dass ein grosses Heilungspotenzial in Pflegehandlungen liegt, wenn wir sie sehr sorgfältig und in Beziehung ausführen, das heisst, dabei unsere ganze Aufmerksamkeit feinfühlig auf den Zustand des Kindes lenken und diesen auch benennen. Diese bindungsrelevanten Handlungen müssen deshalb in dieser für die Kinder herausfordernden Zeit unbedingt ohne Maske ausgeführt werden.
Bis zu welchem Alter der Kinder?
Möglichst bis zu zwei Jahren, mindestens bis zwölf Monaten, aus entwicklungspsychologischen Gründen. Ab zwei Jahren wissen Kinder, dass, selbst wenn man etwas nicht sieht, es trotzdem da sein kann. Babys bis zum Alter von zwölf Monaten sollten zudem möglichst immer von der gleichen Person gewickelt und gefüttert werden. Wichtig ist bei den älteren Kindern, das Aus- und Anziehen der Maske spielerisch zu gestalten und die Reaktionen des Kindes dabei einzubeziehen.
Hinterlässt das Maskentragen bei kleinen Kindern längerfristig Spuren?
Das wissen wir noch nicht. Wir können nur präventiv die anderen Kommunikationskanäle kompensatorisch einsetzen, damit sich das Maskentragen nicht gravierend auf die Entwicklung des Selbstempfindens der Kinder auswirkt.
➺ baby-hilfe-zuerich.ch