Planwagen-Trekking
Lustig ist das Zigeunerleben
Allez Vulcain, hü! Das Pferd steht still wie ein Bock. Mitten auf einer vielbefahrenen Strasse. Es macht gerade mal alle zehn Minuten zehn Schritte. Zureden, befehlen, bitten, kraulen, schmeicheln, ziehen, stossen nützt nichts. Das Pferd streikt. Wir sind absolut machtlos. Und blockieren den Verkehr. Autofahrer hupen und schütteln verärgert den Kopf. Für eine Strecke von 20 Minuten brauchen wir eineinhalb Stunden. Und erst als wir völlig entnervt oben auf dem Hügel ankommen, wissen wir, dass Vulcain nicht einfach schlechte Laune hatte, sondern wahnsinnige Angst vor diesen Riesenwindrädern, von denen es viele gibt auf den Jurahöhen, und die er schon gespürt hatte, als wir sie noch längst nicht haben sehen können.
Am Anfang war die Idee: Mit unseren Mädchen Mikka (8) und Malin (2,5) einen Abenteuerurlaub machen, mit Pferd und Planwagen durch den Jura reisen. Zwar haben wir keine Ahnung von Pferden. Doch auf der Homepage des Veranstalters Eurotrek steht, dass Pferdekenntnisse nicht Bedingung seien. Na also. Die Mädels sind begeistert, Martin, der Mann im Haus, skeptisch. Mit Kollege Mike machen wir uns auf den Weg.
Anspannen und Entspannen
Das Wetter im Mittelland ist an diesem frühen Morgen sonnig, die Temperaturen eher milde. Im Jura aber bläst uns die Bise entgegen. Kalt und neblig ist es, als wir auf dem Reiterhof Sous-la-Voute in La Chaux-des-Breuleux ankommen, einem kleinen Dorf in den Freibergen, auf 1016 Metern. Es riecht nach Pferden und Mist.
Begrüsst werden wir von Jan Streit. Er ist Walliser und unser Instruktor. Mikka hat bereits ein Pferd für uns ausgesucht, ein hübsches, fuchsbraunes, mit langer Mähne und sanften Augen. Doch Streit schüttelt den Kopf, ein Hengst, zu wild, zu temperamentvoll, nichts für die Familie, die von Pferden keine Ahnung hat. Ausgesucht wird nicht. Er führt «unser» Pferd aus dem Stall. Behäbig, breit, dunkelbraun, schwarze, kurze Mähne, Freiberger Wallach. Ein Riese. Auf dem Hals hat er ein Zeichen ins Fell eingebrannt. 68B00. «Er ist ein Ausgemusterter », erklärt Streit, «ehemaliges Armeepferd. Jetzt ist er hier in der Altersresidenz. Er heisst Vulcain.»
Der Instruktor zeigt, wie man mit einem Pferd umgeht, es pflegt, das Geschirr anlegt, den Wagen anspannt. Und während die beiden Männer und Mikka die Anweisungen von Streit zwei Stunden lang interessiert verfolgen, renne ich Malin hinterher, zerre sie weg von Pferdehintern und -hufen, schleppe sie matschverschmiert über den Platz, wechsle im Planwagen in eisiger Kälte Windeln, hülle uns erst mal in weitere Schichten Kleider und höre mir an, wie sie tobt und schreit: «Ich will nach Haaaaause, ich habe kaaaalt.» Ich auch.
Lange Tage und Langeweile
Damit sich der Gaul überhaupt in Bewegung setzt, brauchts ein Codewort. «Aber in Französisch, Deutsch versteht er nicht», so Streit und schnalzt: «Allez Vulcain, hü!» Und prompt zieht der Riese die 450 Kilo Wagen- und Menschengewicht an.
Auf unserer ersten Fahrt am Nachmittag bläst die Bise durch den offenen, kleinen Planwagen. Ich sitze auf dem Bock, friere erbärmlich; die Kleine schläft neben mir, in schwere Armeedecken gehüllt. Ich langweile mich. Und niemals hätte ich zu diesem Zeitpunkt gedacht, dass dies der beste Urlaub werden wird, den wir je erlebt haben.
Die Sonne drückt sich am nächsten Tag durch die Wolken, das Wetter ist milder. Das Gepäck verstauen wir unter dem Wagenbock in einer Holzkiste, packen Heu und Wasser dazu. Die Routen der nächsten drei Tage führen uns über Montfaucon nach Le Bois und wieder zurück nach La Chaux-des- Breuleux. Vier Stunden Fahrt sind pro Tag geplant, zwei Stunden Pause über Mittag. Doch nur gemütlich auf dem Wagen rumsitzen ist nicht, Teamarbeit ist angesagt. Auf rege befahrenen Hauptstrassen und durch Dörfer müssen wir das Pferd führen, den Verkehr regeln, Autos anhalten, wenn wir über eine Kreuzung fahren, und die Kinder im Auge behalten, egal, ob auf oder neben dem Wagen. Manchmal gehts recht hektisch zu und her.
Ruhe und Stille
Doch dann fahren wir wieder durch Wälder, über Hügel, vorbei an abgelegenen Bauernhöfen, dampfenden Miststöcken, wildlebenden Pferden. Die Menschen haben sich in dieser kalten Jahreszeit zurückgezogen in ihre Häuser.
In unsere Körper dringt jetzt nicht mehr die Kälte; es ist die Ruhe, diese absolute Stille, die sich breit macht, ausdehnt, zufrieden macht. Nichts tun, keine Termine, keine Verpflichtungen. Einfach Zeit. Wir sitzen auf dem Bock oder gehen hinter dem Wagen und neben dem Pferd her. Der raue, schleppende Groove von Vulcains Hufen, das kratzige Klatschen auf der Strasse, klack, klack, geben den Rhythmus, den Sound. Es ist die Langsamkeit, die Unaufgeregtheit, die uns erfasst, uns still macht. Wir diskutieren oder reden nichts. Wir sind. Entschleunigt. Selbst Malin ist still und zufrieden. Trotz der Tatsache, dass sie die gesamte Fahrzeit auf dem Wagen verbringen muss. Denn zu Fuss hätte sie nicht mithalten können, das Pferd läuft relativ schnell. Nun sitzt sie mal vorne bei Mike auf dem Bock, die Zügel in den Händen und spielt Kutscherin, oder sie lässt sich hinten im Wagen auf einem der schmalen Holzbänke von Papa Geschichten erzählen. Die Kinder freuen sich über die Zeit, die wir Eltern für sie haben.
Mittags sammeln wir Holz fürs Feuer, braten Würste und essen aus dem Rucksack. Mikka sitzt bei Vulcain, füttert ihn mit Heu, hält den Wasserkessel hin, krault ihn, flüstert ihm ins Ohr und isst ihre Wurst. Wir anderen machen es uns um das Feuer gemütlich. Bei den Herbergen, wo wir übernachten, steht jeweils eine Pferdebox für Vulcain bereit. Und auch hier müssen wir als Team funktionieren, wir arbeiten Hand in Hand: Die Männer spannen das Pferd vom Wagen, reiben Vulcain den Schweiss vom Rücken und kratzen den Dreck aus den Hufen; Mikka striegelt und füttert ihn, und Malin und ich streuen frisches Stroh in die Box. Obwohl wir alle mitarbeiten, dauern diese Arbeiten jedesmal rund eineinhalb Stunden, morgens und abends. Erst wenn sich Vulcain in seiner Box breit macht, ist auch für uns Feierabend.
Wir mögen dieses Pferd, tätscheln Vulcain, verwöhnen ihn mit Äpfeln, sprechen mit ihm, und er schaut uns an mit seinen schönen, unergründlichen Augen, und wir reden uns ein, dass er uns auch mag. Mikka geht meist Seite an Seite mit ihm, weil er es mag, wenn ihn jemand begleitet und sie es geniesst, Vulcain zu führen, in seiner Nähe zu gehen, ihm nahe zu kommen. Er ist ein feinfühliges Pferd, eines mit viel Geduld für Kinder.
Adieu und Tränen
Der letzte Tag bricht an. Wir sind wehmütig. 79 Stunden, vier Tage, drei Nächte, waren wir unterwegs mit Vulcain, dem Freibergerpferd, das nur Französisch versteht. In diesen 79 Stunden ist er ein Freund geworden. Und als wir unsere Sachen ins Auto packen und wieder zurückfahren müssen, ins Mittelland, zurück in den Alltag, kommt das Pferd noch einmal zum Lattenzaun und verabschiedet sich von jedem einzeln, stubst uns mit seiner weichen Nase an. Malin gibt ihm einen feuchten Schmatz auf die Nase und Mikka flüstert ihm ins Ohr. Und weint. Adieu, Vulcain. Adieu.
Tipps für Zigeuner
- Der Preis für die Planwagentour ist nicht gerade günstig, variiert jedoch je nach Arrangement und Teilnehmer. Unser Beispiel: 4-Tages-Tour, drei Erwachsene, zwei Kinder, drei Übernachtungen im Mehrbettzimmer und Frühstück inklusive: 2095 Franken. Günstiger ist die Schlafenim- Stroh-Variante, die kostet 1637 Franken, wird aber von Eurotrek in den kalten Jahreszeiten nicht empfohlen.
- Ab welchem Alter? Ideal ist die Tour mit Kindern ab 6 Jahren. Nimmt man jüngere Kinder mit, sind pro Kind zwei Erwachsene Bedingung. Was wir erst als übertrieben empfanden, ist berechtigt. Denn in vielen Situationen sind zwei Leute voll und ganz mit Pferd und Wagen beschäftigt. Noch zusätzlich ein kleines Kind beaufsichtigen, geht nicht.
- Für Pferdeflüsterer? Auch wenn es keine Pferdekenntnisse braucht, Respekt und Einfühlungsvermögen sind ein Muss. Dazu gehört, dass man das Pferd entlastet und schont. Das heisst: An steilen Strassen aussteigen und zu Fuss gehen und das Gespann so wenig wie möglich stoppen. Denn das Pferd muss die über 400 Kilo jedesmal wieder neu anziehen, was Schwerstarbeit bedeutet.
- Gut einpacken Warme Kleider und Schuhe unbedingt einpacken. Vor allem bei den Frühlings- und Herbsttouren. Doch auch im Sommer sollte man auf schlechtes Wetter vorbereitet sein. Denn die kleinen Planwagen bieten zwar Schutz vor Regen, vor Kälte jedoch kaum.
Planwagenferien buchen:
www.eurotrek.ch, per Mail: eurotrek@eurotrek.ch, Tel. 044 316 10 00. Die Planwagensaison beginnt am 5. Mai und dauert bis Ende Oktober.