Mittagessen in Kita, Hort oder Tagesschulen
Kostprobe
Die Bilder schwappen übers Internet wie die Suppe über den Tellerrand. Weil Martha Payne das Schulessen im schottischen Lochgilphead nicht schmeckte, fotografierte die 9-Jährige kurzerhand die knauserigen und ungesunden Menüs aus der Schulkantine und stellte sie ins Netz: Ein paar Erbsen, ein Stück abgehangene Fertigpizza, drei Gurkenscheibchen. Unter die Fotos schrieb Martha kleine Kommentare und fasste die kulinarischen Schäbigkeiten in einem «Food-o-Meter» in Zahlen. Inklusive Anzahl Haare, die sie im Essen fand.
Innerhalb weniger Monate verzeichnete der Blog neverseconds.blogspot.com über 8 Millionen Klicks. Rund um den Globus kommentierten Jungen und Mädchen die Einträge und stellten eigene Bilder dazu. Ein optischer Schlag in den Magen jeder gesundheitsbewussten Mutter, jedes kochfreudigen Vaters.
Auch in der Schweiz rümpfen Kinder mitunter über Mittagstische und Hortessen die Nasen, beschweren sich über «gruusige Salate» oder «labberige Fischstäbchen». Deswegen gleich von «Schulfrass» zu sprechen, wäre aber eine forsche Behauptung. Denn nicht alle kleinen Stänkerer und Meckerliesen vermögen objektiv zu urteilen, erklärt die Ernährungswissenschaftlerin Marianne Botta Diener: «Jenen Mädchen und Jungen, denen daheim bloss Fertigmenüs und Junk Food aufgetischt wird, wissen oft nicht, wie gutes, selbstgekochtes Essen schmeckt.» Brutzelt ein frischer Fisch anstelle von Fischstäbchen, oder Pouletbrüstchen statt brasilianischen Chicken Nuggets in der Pfanne, heisst es schnell «wääk!». Kinder, sagt Botta, würden sich aber nur an jene Lebensmittel gewöhnen, die sie 10- bis 15-mal ausprobiert haben.
Kinder mögen es knackig
Mindestens eine Meckerausnahme gesteht die Ernährungsexpertin kleinen Nörglern jedoch zu: Wenn ein Mittagshort von einem Altersheim beliefert wird – was in einigen Gemeinden üblich ist – befriedigt das Essen die hungrigen Kindermäuler oft nicht. Weil es nicht kindgerecht zubereitet wurde. «Alte Menschen mögen es weich gekocht, Kinder knackig und roh.»
Obwohl verbindliche Ernährungsrichtlinien für Schulen in der Schweiz fehlen, kann den Schulküchen im Grossen und Ganzen ein gutes Zeugnis ausgestellt wer- den. Zum einen erhalten Lehrpersonen und Eltern bei der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE) umfassenden Input, zum andern führen die Kantone strenge Lebensmittelkontrollen durch. Fakt ist: So hochwertig wie hierzulande wird sonst kaum irgendwo gekocht. Von aussen besehen herrschen fast schon orthorektische Zustände. Kein Wunder, wo doch die Gesundheitsprävention politische Priorität geniesst und jedes Kind blind die Ernährungspyramide zeichnen kann. Gerade bildungs- bürgerliche Eltern orientieren sich an den neusten ernährungswissenschaftlichen Massstäben und wollen diese auch an den Schulen angewendet wissen. Angesichts zunehmenden Übergewichts bei Kindern wohl zu Recht.
Als Ernährungsimperativ gilt noch immer die Dreifaltigkeit «Protein», «Kohlenhydrate», «Fett», zuzüglich Mikronährstoffe in Form von Vitaminen und Mineralstoffen. Was aber heisst das genau? Wer sagt, dass ein Stück Fleisch die richtigen Proteine in der richtigen Menge und richtigen Zusammensetzung enthält? Eine gute Grundlage für Empfehlungen bietet die Schweizer Nährwertdatenbank. Die vom Bundesamt für Gesundheit (BAG), der ETH Zürich und SGE herausgegebene Datenbank umfasst rund 700 typisch schweizerische Lebensmittel, jedes einzelne aufgeschlüsselt nach Energiegehalt und 32 Nährstoffen. 100 Gramm Fleischkäse etwa besteht aus 22,7 Gramm gesättigten und ungesättigten Fettsäuren, 2,2 Milligramm Niacin, 169 Milligramm Kalium und unzähligen weiteren Haupt- und Mikronährstoffen.
Auf die Analyse der Nährwertdatenbank stützt sich zum Beispiel auch menuandmore, die grösste Anbieterin von Mahlzeiten für Mittagstische von Schulen, Horten und Krippen. Die Firma – vormals Zürcher Stadtküche – verköstigt heute jeden Tag über 10 000 Kinder und Jugendliche in der Deutschschweiz.
Dass viele Köche nicht unbedingt den Brei verderben, stellt das Unternehmen täglich erneut unter Beweis. Bevor Geschäftsführer Markus Daniel die Sicherheitsschleuse durch die Grossküche von menuandmore passiert, wirft er einen weissen Schutzkittel über, stülpt sich ein Plastikhäubchen übers Haar, wäscht und desinfiziert die Hände gleich doppelt. Auch Besucher dürfen nur in Schutzmontur eintreten und mit einer Unterschrift bezeugen, dass sie weder einen Grippevirus noch sonst ansteckende Krankheiten einschleppen. «Wir entsprechen im ganzen Produktionsprozess den höchsten internationalen Qualitätsnormen», sagt Markus Daniel. Um die Vitalstoffe im Essen zu erhalten, werden die Speisen bei menuandmore im Cook-and-chill-Verfahren zubereitet – will heissen, nach dem Kochen und vor dem Einschweissen in Lebensmittelfolien auf 4 Grad Celsius schockgekühlt. Um innerhalb von vier Tagen in den Schul- und Krippenküchen im Steamer, Wasserbad oder Backofen wieder aufgewärmt zu werden.
«Schnitz und Drunder»
Menüs aus dem Beutel also? Ja. Aber was nach Massenabfertigung klingt, muss nicht ungesund sein. Denn bei der Zubereitung wird Zucker, Fett und Salz nur sparsam verwendet. Auf Konservierungs- oder sonstige Zusatzstoffe verzichtet menuandmore ganz, Früchte und Gemüse stammen meist aus Bioproduktion, Wildfische tragen das MSC-Label. Paradiesische Zustände. Wo es früher «Iss, was auf den Tisch kommt!» hiess, nimmt die Schulverpflegung heute Rücksicht auf religiöse Minderheiten, vegetarische Sprösslinge, Kinder mit Allergien und Lebensmittelunverträglichkeiten. Und als Sahnehäubchen können sich Krippen, Kitas und Mittagstische von «Schnitz und Drunder» auszeichnen lassen. Das von der Schweizerischen Gesundheitsförderung unterstützte Zertifikat erhält, wer nicht nur gesundes Essen bietet, sondern die Kinder zum Beispiel beim Aufbereiten der Mahlzeiten miteinbezieht, sie als soziale und sinnliche Erfahrung erleben lässt.
Natürlich: Noch paradiesischer wäre es, wenn unser Nachwuchs statt aus Beuteln vor Ort frisch bekocht würde. Dazu aber braucht es Ressourcen, die meist nur mit idealistischen Schul- und Verpflegungskonzepten in Einklang zu bringen sind. Wie beispielsweise in der Rudolf Steiner Schule in Adliswil (ZH). Hier helfen neben einer Schulköchin die Eltern beim Kochen, Servieren, Aufräumen – freiwillig – mit. Die Produkte sind meist biologisch und saisongerecht aus der Region und aus fairem Handel. Auf Dosen und Tiefkühlprodukte verzichtet die Steiner Schule weitgehend. Stattdessen ziehen die Schüler Kohl und Karotten, Bohnen und Blattsalat im Fach «Gartenbauunterricht» selber. Nach der Ernährungslehre und der praktischen Einführung ins Kochen und Backen in der 7. Klasse, bekochen die Schüler zur Krönung die ganze Schule.
Der schottischen Bloggerin Martha Payne würde beim Anblick der leckeren Kost in Schweizer Schulküchen jedenfalls das Wasser im Mund zusammenlaufen. Immerhin: Auf ihrem eigenen Mittagsteller liegen inzwischen zwei statt nur eine Krokette, und auf den öffentlichen Druck hin wurden die Früchte- und Gemüseportionen kulanter. Den schönsten Erfolg aber feiert das clevere Mädchen anderweitig. Mit dem Spenden-Projekt, das sie auf ihrem Blog aufgezogen hat, sammelt sie Geld für jene Kinder, bei denen meist überhaupt nichts auf dem Teller liegt. Bis jetzt kamen für das Ernährungsprogramm für Schüler in Malawi 180 000 Franken zusammen. Das Zwanzigfache von Marthas ursprünglichem Sammelziel.
Ich esse auswärts!
Vor 126 Jahren wurde in der Stadt Zürich der erste Hort gegründet – für Kinder aus armengenössigen Familien. 2001 nutzten 3 von 10 Haushalten in der Schweiz familienergänzende Betreuungsangebote, 2009 waren es 4 von 10, welche die Mittagstische in Kinderkrippen, Tagesschulen und Mittagstischen besuchten. Da immer mehr Kantone ihre Gemeinden dazu verpflichten, ausserhäusliche Verpflegung und Betreuungsangebote anzubieten, sind heute viele Horte und Mittagstische den Schulen angegliedert.
Wie zufrieden sind Sie mit dem Schul- und Krippenessen Ihres Kindes?
Schreiben Sie einen Kommentar und gewinnen Sie «Kochen mit Cocolino 4 – das Dessertbuch» aus dem AT-Verlag!