Elternkolumne
Verhütungspanne? Nein, Wunschkind!
Echt jetzt! Eine Frechheit, wie unverfroren junge Mütter im Internet angegangen werden, findet die Journalistin Nadja Brenneisen. Ein Aufruf zu mehr Anstand.
Nadja Brenneisen (27) ist freischaffende Journalistin und Doula. Auf ihrem Instagram-Kanal nadjaandthe_pixie bloggt sie über Frauenthemen. Sie lebt mit ihrem Mann und Sohn (18 Monate) in Zürich.
Fragen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, gelegentlich fremde Menschen, ob deren Kinder Unfälle sind? Und regen sich dann fürchterlich auf, wenn die gefragte Person verschlossen, ja gar abweisend reagiert? Schliesslich wird man wohl noch fragen dürfen, oder nicht? Wenn Sie nun denken, dass solches Verhalten unter aller Sau ist und Sie sich niemals so indiskret benehmen würden, sei Ihnen gesagt: Im Netz wimmelt es von taktlosen Mitmenschen.
Meine Instagram-Inbox gleicht einer Depotstelle für intime Fragen. Ich blogge nämlich über Weiblichkeit und Mama-Themen, und gebe dementsprechend auch jede Menge Intimität preis. Meinen kleinen Sohn sieht man gelegentlich durch ein grinsendes Herz-Emoticon anonymisiert durch die Insta-Storys zotteln. Dass ich meine Follower an meinem Mama-Alltag teilhaben lasse, scheint in gewisser Weise ein Freifahrtschein zu sein, den gesunden Menschenverstand beim Login auszuschalten und Fragen in die Tastatur zu hauen, die jegliche Intimsphäre verletzen.
Meine Lieblingsfrage ist derzeit: Hattest du eine Verhütungspanne? Sie begegnet mir in meinem Sammelsurium der indiskreten Fragen am häufigsten. Teilweise wird sie anders formuliert – es wird sich fürsorglich danach erkundigt, ob ich mich denn schon bereit gefühlt habe, Mama zu werden – , aber im Grossen und Ganzen scheint es die Leute im Schutze ihrer vermeintlichen Anonymität des Netzes besonders zu interessieren, wie ich mit 27 Jahren zum Kind komme.
Auch ich folge auf Instagram diversen Mamabloggern. Sehe ihnen während meines ersten Kaffees dabei zu, wie sie ihre Kinder zum Kindergarten bringen, was sie mit ihnen basteln und welche Kosmetika sie promoten. Über die Zeit hinweg sehe ich auch Schwangerschaftsbäuche wachsen und Familien durch intensivste Phasen gehen. Und das verursacht eine zwar gefühlte aber illusorische Nähe: Man meint, die Insta-Mamas besser zu kennen, als die eigenen Nachbarn. Man meint, eine Beziehung zu diesen Müttern zu haben. Fast schon befreundet zu sein. Und Freundinnen wird man wohl noch fragen dürfen.
Obwohl ein Follower das Gefühl der Nähe empfinden mag, ist diese erstens nicht echt und vor allem nicht gegenseitig. Der eine zeigt, der andere schaut zu. Und so sind Fragen, die im Gewand des Mitgefühls daherkommen, nicht wirklich mitfühlend sondern vor allem voyeuristisch. Man sucht nach Dingen, über die man sich das Maul zerreissen kann. Nach Punkten, die beweisen, dass man selber eben doch die bessere Mutter ist. Nach Umständen, für die man den anderen bemitleiden kann und sich besser fühlen kann. Da kommt das Unfallbaby gelegen. Der voyeuristische Teil der werten Followerschaft scheint davon auszugehen, dass kein Kind einer jungen Mutter gewollt sein kann. Das bekomme ich auch offline zu spüren, wenn ich die Mamas auf dem Spielplatz darüber aufkläre, nicht die Nanny zu sein und man mich dann mitfühlend fragt, ob es denn noch einen «Kindsvater» gebe.
Selbstverständlich muss ich mich nicht rechtfertigen, vor allem dann nicht, wenn gewisse Fragen und die damit einhergehenden Implikationen jede Form des Anstands und des guten Tons verletzen. Den Typen, der mich kürzlich fragte, ob ich eine Verhütungspanne gehabt hätte, habe ich darüber im Dunkeln gelassen, dass mein Kind geplant war und ein absolutes Wunschkind ist. Stattdessen habe ich ihm erklärt, dass er seine neugierige Nase woanders reinstecken soll, womit für ihn der Beweis erbracht war, dass nur eine frustrierte Mama mit Unfallbaby so allergisch reagiere. Unter anderem tat er auch kund, dass ich mich sehr unhöflich verhalte.
Vielleicht gilt das, was meine Kinderstube mir in Sachen Anstand beigebracht hat in der digital-anonymisierten Gesellschaft nicht mehr. Trotzdem halte ich mich weiterhin an meine vielleicht etwas konservativen und auf die analoge Welt ausgerichteten Prinzipien und lege sie jedem online wie offline ans Herz: Fragen Sie sich, ist die Frage notwendig? Ist sie wohlwollend? Und wenn Sie diese Fragen guten Gewissens mit Ja beantworten können, freut sich der Mensch auf der anderen Seite des Smartphones vermutlich genauso aufrichtig über Ihre Anteilnahme.