Social Media
Kinderfotos im Netz
Viele Eltern posten Fotos ihrer Kinder auf Facebook, Instagram und Co. Eltern gehen mit geposteten Kinderfotos im Internet aber Risiken ein und setzen ihr Kind unerwünschten Folgen aus - auch Jahrzehnte später. Was Eltern wissen und beachten müssen.
Ob Facebook, Instagram oder Whatsapp, auf Social-Media-Plattformen finden sich Millionen von Kinderfotos. Kinder, mal beim fröhlichen Kindergeburtstag, mal im Urlaub mit Traumkulisse oder beim ersten Brei und dessen flächendeckenden Folgen (sprich: Albtraumkulisse) tummeln sich im Netz. Besser gesagt: Sie werden getummelt. Denn es sind die Väter – und vor allem Mütter, die besondere Momente ihres Nachwuchses gerne teilen – gerne auch in den sozialen Medien.
Das elterlich-digitale Blitzlichtgewitter hat einen Namen: Sharenting. Zusammengesetzt aus den Worten «share» (teilen) und «parenting» (Elternschaft). «Das Phänomen meint die Praxis, dass Eltern Daten und Fotos ihrer Kinder über soziale Netzwerke teilen», fasst es Nadia Kutscher zusammen.
Die Professorin für Erziehungshilfe hat 2018 eine Studie zum Thema Sharenting veröffentlicht und erklärt: «Eigentlich ist es eine normale Familienpraxis, dass man Fotos von den Kindern macht und diese anderen Leuten zeigt. Nur hat sie mit der Digitalisierung eine qualitative Veränderung erfahren.»
Kinder als Fotosujet
Es stimmt. Denn bereits die Fotoalben aus der einstigen Kindheit zeigten uns einmal vorteilhaft, einmal verträumt oder verschmitzt, bis hin zu verheult und vollgekleckert. Gesehen hat die Fotos aber nur der engste Familienkreis. Oder, wenn es mal hoch herging, die Verwandten bei einem der berüchtigten familieninternen Dia-Abende. Selbst sommerliches «Blüttlen» wurde von unseren Eltern gerne festgehalten mit der alten Nikon – sofern man sie beim Ausflug an den Badesee nicht kurzerhand doch zu Hause liess, da sie beinahe so viel wog wie das Zvieri der ganzen Familie zusammen. Und hatte man das gute Ding erst einmal aus der ledernen Schutzhülle geschält, war der knipswürdige Augenblick meist auch schon wieder vorbei.
Kinderfotos posten: ja oder nein?
Das ist heute anders. Jetzt ist ein Bild schneller auf Social Media gepostet, als man posten buchstabieren kann. Michèle Roten (40), Autorin, Ex-Kolumnistin und Mutter, sagt: «Auch wenn es vielleicht merkwürdig tönt für jemanden, die lange eine sehr persönliche Kolumne geschrieben hat: Ich bin nicht auf Social Media. Mir sind die Vorgänge dort zu schnell.»
Genau darin liegt eines der Probleme beim Sharenting, erklärt Erziehungswissenschaftlerin Nadia Kutscher: «Mit den digitalen Medien wie Smartphones und Apps wie Whatsapp ist es in ganz alltägliche Familiensituationen eingewandert, dass man eben mal schnell ein Foto macht, postet und nicht viel darüber nachdenkt, wer alles dieses Foto zu sehen bekommt.» Das führt dazu, dass bereits 2010 über 80 Prozent der Zweijährigen in westlichen Ländern einen digitalen Fussabdruck durch Posts ihrer Eltern hatten. Tendenz exponentiell steigend. Dabei geht es nicht nur um Fotos. Das Netz ist ein nimmersatter Abnehmer für jeden kleinsten Krümel an Information über seine Nutzer. Und: Es ist ein Abnehmer, den wir nur zu gerne füttern.
«Manchmal bricht bei mir einfach der Mamistolz durch», beschreibt es die Stylistin und dreifache Mutter Bianca C. aus Zürich. Tatsächlich ist Stolz einer der meistgenannten Gründe, weshalb Eltern Kinderfotos posten. Andere möchten Studien zufolge auch ein wenig neidisch machen auf das eigene Familienleben; möglichst viele Likes ergattern oder schlicht und einfach die Beziehung zu Freunden und Verwandten pflegen.
iStock.com
Ein Foto, wie man mit offenem Mund schläft oder auf dem Klo sitzt, würde man niemals posten? «Dein Kind auch nicht», meint Instagrammerin Toyah Diebel, die mit ihrer gleichnamigen Fotoarbeit für mehr Aufmerksamkeit plädiert beim Hochladen peinlicher Schnappschüsse im Internet. Zusammen mit Wilson Gonzalez Ochsenknecht stellt sie problematische Kinderfotos nach.
➺ Siehe Instagram @toyahgurl und Fotografin @delibaum
«Unsere Familie lebt rund um die Welt verstreut», erzählt auch Bianca. «Darum poste ich ab und zu Bilder aus den Ferien, damit sie alle Anteil daran haben können, so, wie man früher einen Rundbrief geschrieben hat.» Die 36-Jährige erzählt: «Ich war ganz perplex, als ein Foto unserer Kinder von Facebook blockiert wurde.» Der Grund? Die beiden Buben (9 und 2) sowie das Mädchen (6) waren am Strand mit nacktem Oberkörper zu sehen. «Ich finde es schlimm, schon im Vornherein davon auszugehen, was alles Schreckliches passieren könnte», findet Bianca.
Risiken beim Posten von Kinderbildern
Tatsächlich sind Fälle bekannt, wo ursprünglich unproblematische Bilder von Dritten heruntergeladen, verändert und verbreitet wurden. Rund die Hälfte des Materials in gewissen Pädophilen-Foren entstammt gemäss der Zeitung «The Independent» Social-Media-Plattformen wie Facebook, wo sie ursprünglich als unschuldige Familienfotos von Eltern hochgeladen wurden. Ebenfalls können anhand geposteter Bilder falsche Profile erstellt werden oder Kinder Cyber-Mobbing erleben. Auch die retuschierte Welt von Instagram und Co. hat also ihre Schattenseiten.
Nur bleiben diese oft unsichtbar für die Nutzer. Dafür sehen wir umso mehr die Likes und Herzchen, die uns auch mal die eigene Vorsicht vergessen lassen. «Achtung», warnt Nadia Kutscher. Denn: «Die angenehmen Features, die man in den sozialen Netzwerken hat, sind nicht ihr primärer Zweck. Vielmehr dienen sie dazu, dass User ihre Daten hergeben. Das führt zu einer zunehmenden Befreiung unseres Handelns von moralischen Skrupeln.» Man tut also Dinge schlicht und einfach, weil die Technik sie so nahelegt – eine Technik, der wir wortwörtlich blindlings vertrauen. Die meisten Eltern geben nämlich an, sich unsicher und überfordert zu fühlen, was Datensicherheit im Netz angeht. Eigentlich wollen sie die Daten ihrer Kinder schützen, aber: «Sie sind oftmals nicht in der Lage, die Konsequenzen einer Publikation von Bildern abzuschätzen beziehungsweise die Bilder angemessen zu bewerten», erklärt die Basler Kinderanwältin Rita Jedelhauser und führt aus: «Teilen heisst, die Kontrolle über das Schicksal und die Verwendung aus der Hand geben – für immer.»
Kinderfotos im Internet bleiben auffindbar
So schnell Bilder nämlich geteilt sind, so langlebig verbleiben sie im Netz: Noch 10, 20 Jahre später sind Schnappschüsse online auffindbar. Ohne Unterschied, ob darauf stolz die erste Medaille beim Sport präsentiert wird oder das Gestilltwerden samt entblösster Mutterbrust – ein Sujet also mit kurzer Halbwertszeit, das Kindern schon wenige Jahre danach peinlich sein kann. «Bilder im digitalen Raum sind grundsätzlich ewig verfügbar», sagt Jedelhauser. Es gibt Menschen mit fotografischem Gedächtnis. Das Internet ist ein fotografisches Gedächtnis.
Dabei müssen die Fotos die Kinder weder in unangenehmen Situationen zeigen noch muss etwas Illegales passieren, damit Sharenting für die Kinder problematisch werden kann, erklärt die Kinderanwältin: «Die Verwendung der Kinderdaten im Rahmen von ‹Big Data› ist keine Utopie mehr. Eltern, die freigiebig Informationen zu Namen, Wohnort, Gesundheitszustand, Lebensumständen, Eigenschaften und Entwicklung des Kindes teilen, setzen ihren Nachwuchs dem latenten Risiko aus, zu einem späteren Zeitpunkt in Bewerbungsprozessen für Ausbildungen oder gar Arbeitsstellen benachteiligt zu werden.»
Fotos auf Whatsapp gehören Facebook
Als Nutzer zahlen wir für die Benutzung von Facebook und Co. nämlich mit unseren Daten. «Diese verkaufen Social-Media-Plattformen an Dritte. Versicherungen, Krankenkassen und sogar die Polizei greifen regelmässig auf solche Metadaten zurück», führt Kutscher aus. Selbst wenn wir meinen, vorsichtig zu sein, liegt das Problem im Kleingedruckten: «Wenn wir Whatsapp als privat wahrnehmen, Facebook und Instagram dagegen als öffentlich, müssen wir uns bewusst werden, dass alle drei Plattformen zu Facebook gehören. Schlussendlich landen die Daten trotzdem dort», stellt Kutscher fest. Oft sind die Voreinstellungen beim Anlegen eines Profils auf möglichst freizügig gesetzt: Bei Instagram sind etwa Fotos standardmässig öffentlich, Twitter und Youtube handhaben Inhalte für alle einsehbar. Und «alle» heisst in diesem Zusammenhang: Für sämtliche 3,9 Milliarden Internetnutzer weltweit (Stand 2018).
Darum gibt es Eltern, die Facebook und Co. vehement ablehnen. «Ich finde es erschreckend, wie viele Informationen über einen gesammelt werden. Aus diesem Grund bin ich weder auf Facebook noch auf Instagram», erzählt Hang Chu, 37, Kauffrau und Mutter von zwei Kindern. Und seit der 36-jährige Michael Koch (Name geändert), Wirtschaftsinformatiker und Vater eines Sohnes, eine Weiterbildung zu Datensicherheit im Internet gemacht hat, versendet er Kinderfotos kaum mehr über Whatsapp, sondern nur noch über Airdrop.
Kinderfotos im Netz: Kinder haben Rechte
Andere Eltern stellen die Perspektive ihrer Kinder in den Vordergrund: «Mittlerweile ist mein Sohn acht Jahre alt. Er ist eine eigenständige Person und hat seine Kollegen, die Posts sehen und Sachen lesen können. Als Baby konnte ich problemlos über ihn schreiben. Heute finde ich den Gedanken, ihn für meine Interessen zu exponieren, sehr unangenehm. Deshalb möchte ich auch nichts von ihm posten», sagt Autorin Michèle Roten (40).
Auch Katrin Messerli (29), die auf Instagram regelmässig Einblicke in ihr Leben als dreifache Mutter und Studentin postet, findet: «Ich hätte mich als Kind nicht darüber gefreut, wenn meine Schulkameraden auf dem Instagram-Profil meiner Mutter Babyfotos von mir gefunden hätten. Noch schlimmer wären peinliche Bilder gewesen. Damit dies nicht geschieht, zeige ich die Gesichter meiner Kids auf meinem Instagram-Profil nicht.»
Tatsächlich ist Sharenting stets ein Fall für zwei: Für die Postende und den oder die Gepostete. Doch viel zu oft blenden Eltern den Willen der Kinder aus, befindet Kinderanwältin Rita Jedelhauser. Dabei äusserten Kinder «bereits im Alter von sechs bis sieben Jahren, was sie gegenüber einer Aufnahme empfinden. Sie nehmen Bilder als ‹peinlich› wahr (Mutter küsst ihren Sohn), als ‹schön› (Mädchen in Rückenansicht schaut auf See) oder ‹cool› (Junge füttert Riesenschildkröte)».
Auch wenn Kindeswille und Kindeswohl bekanntlich nicht ganz dasselbe sind, sonst hätten sich Generationen von Kindern von Gummibärchen und Schokolade ernährt: «Mit Eintritt in die Primarschule ist von der Urteilsfähigkeit der Kinder auszugehen und die Kinder damit aktiv mit einzubeziehen, wenn Informationen über sie veröffentlicht werden sollen.»
Dabei gilt: Keiner zu klein, nicht im Recht zu sein: «Jeder Mensch, egal wie alt, hat ein Recht am eigenen Bild. Sogar schon Babys», erklärt Nadia Kutscher. Es gelte also, die Persönlichkeitsrechte und Privatsphäre der Kinder zu schützen, zumal Kinder in der Regel viel zurückhaltender seien als ihre Eltern, was das Posten ihrer Bilder angeht. Dies sogar ohne eine Vorstellung davon zu haben, welche Dimensionen die digitale Öffentlichkeit hat. Für viele Kinder meint der Begriff «alle»: ihre Schulkameraden und Lehrer, die Grosseltern sowie die Frau an der Ladenkasse – nicht aber 3,9 Milliarden Internetnutzer.
«Es geht darum, die Würde der Fotografierten zu schützen», gibt Fotografin Mara Truog (42) zu bedenken: «Und solange sie nicht fähig sind, selber entscheiden zu können, trage ich für sie die Verantwortung.» Zur Geschichte der Fotografie gehöre auch das Unbehagen, dass beim Fotografieren einem Menschen die Seele geraubt werden könnte, weil man ein Abbild der Realität herstellt. «Auch wenn Fotos heute manipuliert werden können, sodass sich das langsam auflöst, nehmen wir sie im Grunde noch immer als real wahr», sagt die Fotografin und zweifache Mutter. Sie hat trotzdem entscheiden, sich und Bilder ihrer Familie Social Media nicht zu entziehen: «Weil die sozialen Medien für unsere Gesellschaft relevant sind.»
Welche Kinderfotos sind unproblematisch im Netz?
Posten oder nicht posten, das ist hier also die Frage. Eine Frage, auf die es keine einfache und auch keine einzig richtige Antwort gibt. Kinderanwältin Rita Jedelhauser empfiehlt, grundsätzlich von identifizierbaren Fotos abzusehen, während der Kinderschutz Schweiz die Frage etwas weniger streng handhabt: «Ferienfotos oder Fotos vom Geburtstag sind in Ordnung, solange die Eltern damit nicht übertreiben und unzählige Fotos posten.»
Grundsätzlich muss jeder und jede die Frage nach dem Umgang mit Kinderfotos für sich beantworten. Und mehr noch: Auch für sein Kind.
Das kann durchaus ein wenig unangenehm werden – spätestens wenn es bei der nächsten Unterhose-über-den-Kopf-Aktion heisst: Das bleibt in der Familie. Schliesslich gibt es Netteres, als 200 Facebook-Likes. Zum Beispiel? Etwa den einen Daumen, der statt dessen nach oben zeigt. Es mag ein ziemlich kleiner Daumen sein. Aber er ist ganz real. Und: Es ist der des eigenen Kindes.