Blog
In der Hurensohnzone
zvg
Lust auf mehr? Folgen Sie «wir eltern» auf Facebook!
Zehn Jahre ist echt zu früh. Ich meine Z E H N. Da sagt man Papa vielleicht sogar noch, dass man ich lieb hat, wenn man sehr müde und sonst niemand im Raum ist. Offenbar ist Zehn aber auch das Alter, in dem man noch ganz andere Sachen sagt. Grobe Richtung Hurensohn/Schlampen Bereich. Damit habe ich wirklich nicht gerechnet. Trotz weiterführender Schule und dem Abfeiern von berufsjugendlichen YouTube-Taugenichtsen, die sich nachts – hihihahahöhö – in einer IKEA Filiale einschliessen lassen oder Clips veröffentlichen, in denen sie weinerlich bekunden, ihre minderjährigen Fans gar nicht soooo doll auszubeuten, dachte ich wirklich, das würde noch eine Weile dauern. Ich nahm an, dass es bis auf weiteres bei einem in den nicht vorhandenen Bart gemurmelten Arschloch oder Blödmann bleiben würde, aber inzwischen sind wir schon bei einem gezischelten Wichser, bevor die Türen knallen. Hurra aber auch. Sexualisierte, abwertende Schimpfwörter, bei denen der Nachwuchs nicht mal so genau weiss, was sie eigentlich bedeuten. Irgendwas total Krasses halt.
Nicht, dass wir uns missverstehen. Fluchen und beschimpfen muss möglich sein. Auch in Bezug auf die eigenen Eltern. Die Gedanken sind frei und die Gespräche meiner Kinder privat. Wie die mich untereinander nennen und was die von mir denken, wenn wir mal wieder so richtig aneinandergeraten, geht mich überhaupt nichts an. Selbstverständlich bemühen wir uns alle um einen möglichst freundlichen, gewaltfreien Umgang miteinander. Genauso selbstverständlich rasten wir gelegentlich nacheinander oder sogar gleichzeitig aus. Sich dabei aber sprachlich aus der Hurensohnzone zu bedienen, ist nicht ok. Um kurz bei dem Begriff zu bleiben: Die Fixierung darauf, männliche «Ehre» an weibliches Verhalten zu koppeln, ist ebenso wenig in Ordnung wie dieser grassierende Hurenhass. Hure sein ist immer das schlimmste. Auch wenn ein bekannter Sportkommentator die Kommerzialisierung des Fussballs kritisiert.
Aber wie erkläre ich das einem Zehnjährigen, dem ich weder komplett den Mund verbieten, noch ihn überfordern will? Vielleicht tragen wir ja einen sonntäglichen Beschimpfungswettstreit aus, den derjenige gewinnt, der am kreativsten beleidigen kann, ohne dass andere gleich mit dran glauben müssen. Statt also jemanden als behindert zu verunglimpfen und damit Behinderte als etwas grundsätzlich Schlechtes gleich mit, nennen wir den anderen einen dödeligen Tischbeinstreichler. Eine Nachtjacke. Ein rhetorisches Aussenklo.
Klingt eigentlich ganz lustig. Mal sehen, was mein Zehnjähriger dazu sagt.
Dieser verflixte Zauberer!
Das könnte Sie auch noch interessieren: Die Fotografin Julia Erz hat sich zum Ziel gesetzt keine gestellten Familienbilder zu knipsen, sondern das echte, unzensierte und manchmal turbulente Familienleben zu zeigen. Dies gelingt ihr perfekt, schauen Sie selbst.
Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.