Aus dem Vaterland
Im Schatten des Erzeugers
Papi ist ein Superlativ: der Beste, der Stärkste, der Klügste. Daran lässt «mein» 7-jähriger Ben keinen Zweifel. Und es ist ja auch ein ganz schönes Bild, das der Kleine da von seinem Vater malt. Ein Bild, auf das man stolz sein darf. Ein Vorbild. Der Haken ist nur: Ich bin nicht Papi. Es gibt nicht mal einen eigenen Ausdruck für das, was ich bin. Stiefpapi stimmt nicht, denn meine Freundin und ich sind nicht verheiratet. Ersatzpapi auch nicht, denn wir wohnen nicht zusammen und eigentlich bin ich für Ben ein zu wenig etablierter Wert, um erzieherische Funktionen auszuüben. Ich bin «nur» der neue Freund von Mami, ein gern gesehener Gast zwar, manchmal gar ein Kumpel. Aber in der Liga des Vaters spiele ich sicher nicht mit. Das spüre ich Tag für Tag.
Wer könnte Ben vor Einbrechern beschützen wenn er Angst hat? Papi. Nur Papi. Wer würde ihm ein Motorrad kaufen? Papi. Wer liesse ihn die ganze Nacht fernsehen? Papi.
Papi macht alles, was Mami und ich nicht zulassen. Papi ist der Superheld, der Übermensch. Mit ihm war Ben in Südafrika, wo sie Wale und Killerhaie gesehen haben, aber Angst, nöö!, hatten sie bestimmt keine, stattdessen haben sie am Strand (wie ganz zufällig die Familie Barbapapa im Fernsehen) Algen gebrätelt und das war imfall mega fein.
Meine Freundin und ich hingegen sind die Spiesser und Langeweiler. Denn: Wir sind Ben’s Alltag.
Als Nicht-Papi, der immer wieder mal da ist, geniesse ich etwa so viel Respekt wie seine Chindsgi-Kameraden. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich anfangs zu sehr bemüht habe, Ben zu gefallen. Ich habe mit ihm Einbrecherlis gespielt, Grimassen geschnitten und rumgeblödelt – auf Augenhöhe. Das funktionierte: Wir verstanden uns auf Anhieb. Meinen Erwachsenenstatus habe ich mir mit diesem kumpelhaften Verhalten aber verspielt. Ich bin für ihn keine Autorität, sondern ein Spielkamerad. Wenn Ben ins Bett muss, heisst es schnell: Reto muss auch noch nicht. Oder am Tisch: Warum hat Reto einen grossen Teller und ich nicht?
Ich passe schlicht nicht in das Mami-Papi-heile-Welt-Schema, das auch Scheidungskinder von einer Familie haben. Wenn Ben könnte, würde er seine Eltern wieder zusammenbringen. Ich könne ja immer noch zum Spielen kommen, findet er. Grausame Kinderlogik.
Oder vielleicht einfach nur normale Kinderlogik. Schliesslich finde ich es gut, dass der Kleine seinen Papa als Vorbild sieht. Auch wenn ich ihm das nicht in jedem Fall empfehlen würde. Aber manchmal, das gebe ich zu, bin ich doch ein wenig neidisch. Und male mir aus, wie viel einfacher es wäre, wenn ich Ben’s Papi wäre.
Immerhin: In meiner Abwesenheit spricht er auch mal begeistert von mir. Das hat mir meine Freundin erzählt. Vielleicht war er mit mir ja auch mal in Südafrika.