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Ich bin nicht alleinerziehend!
zvg
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Okay, das war anstrengend. Vier Tage war meine Liebste fern der Heimat in Konstantinopel auf Drachenjagd. Meine Grosse und ich haben diese Formulierung ausgeheckt. Wenn die Chefin von dem Ganzen mehrere Jobs hintereinander angeht, die alle nicht so einfach zu erklären sind, sage ich, dass sie Drachen jagen ist. Und wenn sich ihr zwölfjähriges Ebenbild nicht merken kann, wo Mama genau steckt, dann ist sie in Konstantinopel. Ich war also alleine mit meiner Viererbande. Das heisst: Wenig Schlaf, weil die Kleinste zahnt, meinen 2½ Jährigen Wirbelwind irgendwie in die Kita schaffen und am Wochenende dauerbespassen. Dazu noch die Grossen in Schach halten mit allem, was dazu gehört – und das ist ziemlich viel.
«Da bist du ja praktisch alleinerziehend» schallte es mir im Vorfeld dieser vier Tage durchaus wohlmeinend-mitfühlend entgegen. Ähm, nee. Bin ich nicht. Ich komme nur ein paar Tage allein meinen elterlichen Verpflichtungen nach, während ich mich über Whatsapp bei der Liebsten darüber auslassen kann, wie sehr diese verdammten Blagen nerven und wessen Idee das mit den Kindern denn bitteschön gewesen ist. Ich kann mich von ihr mit Humor über Wasser halten lassen, mir ihren Rat einholen und beim Wochenendeinkauf auf unser gemeinsames Bankkonto zugreifen. Ich hätte vorher meine Schwiegereltern bitten können, mich zu unterstützen und sie hierfür in unserem grosszügigen Zuhause einquartiert, das ich mir alleine nie leisten könnte. Und wenn alle Stricke und Nerven reissen, dann ist meine Lebenskomplizin augenblicklich an meiner Seite, um sie mit mir gemeinsam zu flicken. Ich muss nur Bescheid geben, dass ich es nicht mehr schaffe. Weil mich die Grippe erwischt hat oder die Kinder sich durchgehend angiften oder, oder, oder…
Deshalb bin ich auch nicht alleinerziehend. Die Tatsache, dass die Mutter meiner Kinder mal für ein paar Tage weg ist, heisst eben nicht, dass ich grundsätzlich alles alleine stemmen muss. Mein Armutsrisiko steigt nicht für eine begrenzte Zeit um das Fünffache an, meine Gesundheit ist nicht plötzlich gefährdeter, und ich muss auch nicht befürchten, vor lauter Stress dauerhaft meine Sozialkontakte zu verlieren. Das ist nämlich die alltägliche Situation, der sich Alleinerziehende ausgesetzt sehen.
Und darum sollten wir Gemeinsamerziehenden uns weniger aufgrund kurzfristiger Umstände mit Alleinerziehenden gleichsetzen und uns stattdessen mehr mit ihnen solidarisieren.
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Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.