Monatsgespräch
«Hinterher sind die Leute glücklich»
Fakten und Zahlen
- Der Titel Schönheitschirurg ist rechtlich nicht geschützt.
- Jeder approbierte Arzt kann Schönheitsoperationen durchführen.
- In der Schweiz arbeiten rund 200 Anbieter mit Fachabschluss Plastische und Ästhetische Chirurgie und 300 bis 400 Anbieter ohne diesen Facharzttitel.
- 2013 betrug das geschätzte Marktvolumen rund 500 Millionen Franken.
- 2014 wurden in der Schweiz rund 53 300 Schönheitsoperationen durchgeführt, dies entspricht einer Zunahme von 0,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
- Am häufigsten gemacht werden bei Frauen Brustvergrösserungen und bei Männern Augenlidkorrekturen.
- Die Schweiz ist Vizeweltmeisterin bei Schönheits-OPs: 2014 gab es auf 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner 644 Eingriffe, in Brasilien 661, in den USA 465, in Deutschland lediglich 359.
- Die Klientel der Schönheitschirurgen ist zu 81 Prozent weiblich, zu 19 Prozent männlich.
- In Deutschland waren Frauen, die 2014 eine Schönheits-OP machen liessen im Durschnitt 41 Jahre alt.
Quelle: acredis.ch, statista.com
wir eltern: Zu Ihnen kommen schon Kinder. Was, um Himmels willen, haben Kinder bei einem Schönheitschirurgen zu suchen?
Sylvester M. Maas: Der häufigste Eingriff ist die Korrektur von abstehenden Ohren, das gibt es schon seit mehreren Jahrzehnten.
In welchem Alter wird das gemacht?
Wenn Vater oder Mutter selber darunter gelitten haben, bringen die Eltern das Kind schon früh zu uns. Mit drei bis vier Jahren oder sogar schon vorher, weil sie ihm die Hänseleien ersparen wollen, die für sie so schrecklich waren. Hatten die Eltern selber kein Problem mit Segelohren, wird der Eingriff für das Kind selbst manchmal um die Pubertät herum ein Thema. Was oft nicht bedacht wird: Das Gesicht verändert sich total, wenn die Ohren nicht mehr abstehen. Daran muss man sich gewöhnen.
Bezahlt die Krankenkasse?
Bei Kindern in der Regel schon, Kostengutsprachen werden von den Krankenkassen aber immer individuell, von Fall zu Fall entschieden.
Was wird sonst noch gemacht bei Kindern?
Muttermale werden manchmal entfernt, vor allem solche, die schon seit Geburt bestehen. Nicht zuletzt, weil bei diesen das Risiko grösser ist, dass später Hautkrebs daraus entsteht.
In manchen Ländern, wie den USA, kommt die Plastische Chirurgie auch bei Behinderungen zum Einsatz, etwa bei Kindern mit Trisomie 21. Fett aus Hals und Wangen wird abgesaugt, die Augenlider, die Wangenknochen, das Kinn und die Nase operiert – damit man die Behinderung nicht mehr auf den ersten Blick sieht. Haben Sie Erfahrung damit?
In Europa machen wir das nicht und im deutschsprachigen Raum ist man diesbezüglich besonders konservativ. Es gibt aber Ausnahmefälle, zum Beispiel die Zungenverkleinerung. Bei manchen Kindern mit Downsyndrom ist die Zunge so gross, dass sie nicht richtig in den Mund passt, wodurch die Haut rund um den Mund immer nass ist und kaputt geht. Die Zungenverkleinerung behebt dieses Problem – ein riesiger Gewinn für die Betroffenen. Natürlich verbessert sich auch das Erscheinungsbild. Die Sprache wird jedoch nicht beeinflusst.
Ist das ein grosser Eingriff?
Nein, aber es ist eine Teamentscheidung: Neben dem Kind und seinen Eltern sind die behandelnden Ärzte und unter Umständen auch ein Psychologe involviert. In Amsterdam habe ich es einige Male gemacht, in der Schweiz noch nicht.
Unsere Haltung gegenüber Schönheitsoperationen ist eine widersprüchliche. Niemand entrüstet sich, wenn Ohren angelegt oder Zähne und Kiefer korrigiert werden, auch wenn Letzteres zum Teil mit Blutergüssen und Schmerzen einhergeht. Andere Eingriffe, wie eine Schamlippenkorrektur, sind jedoch tabuisiert. Woran liegt das?
Es ist eine Frage der Gewöhnung. Brustvergrösserungen erregen die Gemüter kaum noch, die weitaus jüngere Intimchirurgie jedoch schon. Manche Frauen können kaum aussprechen, dass sie unter ihren zu grossen oder anderswie gearteten Schamlippen leiden. Das ist schade, denn eine Korrektur ist eine kleine Sache, wenn man geübt ist. Es liegt aber auch noch an etwas anderem: Früher galt die Regel, dass man nicht in einen gesunden Körper schneiden soll. Operiert wurde einzig bei Krankheit oder Unfall. Mittlerweile kann jedoch auch das Wohlbefinden eine Überlegung wert sein.
Wozu brauchen wir die Schönheitschirurgie überhaupt?
Wenn etwas zu klein, zu dick, zu dünn ist, spüren wir intuitiv, dass es nicht ideal, nicht natürlich schön ist. Wir versuchen, es auszubessern und natürliche Proportionen herzustellen. Manchmal geht das nur mithilfe der Schönheitschirurgie. Das Tolle daran: Hinterher sind die Leute glücklich.
Was empfinden wir als «natürlich schön»?
Man hat herausgefunden, dass das Ideal der Goldene Schnitt ist. Unser Körper, zum Beispiel das Verhältnis Hand-Unterarm oder Oberlippe-Unterlippe, basiert auf den Regeln des Goldenen Schnitts und wir finden ein Gesicht oder einen Körper immer dann besonders schön, wenn er dem Goldenen Schnitt möglichst nahekommt.
Schlagzeilen machen aber Schlauchbootlippen und XXXL-Brüste.
Das gibt es in Europa kaum. Hier wollen die Leute nicht auffallen. Wer Körbchengrösse A oder D hat, möchte B oder C. Ganz anders in den USA: Dort geht es um die Show. Man will zeigen, dass man es sich leisten kann, etwas zu verändern.
Mit dem Alter steigt der Optimierungsbedarf. Ist es nicht schlauer, in die eigene Persönlichkeit zu investieren?
Vielleicht ist auch eine Schönheitsoperation eine Investition in die eigene Persönlichkeit. Schauen Sie, was eine Oberlidstraffung bewirken kann: Das Gesicht wirkt frischer, offener, leichter.
Heute wird bereits in jungen Jahren operiert, Stichwort Brustvergrösserung. Was passiert mit den Implantaten, wenn man schwanger wird?
In der Regel ist das kein Problem. Wird der Busen jedoch durch die Schwangerschaft gedehnt, kann es sein, dass hinterher zu viel Haut und zu wenig Inhalt da ist und das Implantat verrutscht. Das sieht dann natürlich nicht gut aus, eine erneute Operation drängt sich auf.
Stillen ist aber möglich?
Ja, wenn das Drüsengewebe erhalten bleibt und nicht vernarbt ist. Bei Frauen mit Kinderwunsch sollte das Implantat deshalb besser durch einen Schnitt in die Brustfalte und nicht in die Brustwarze eingesetzt werden.
Laut einer Studie stillen Frauen nach Brustvergrösserungen weniger häufig. Woran liegt das?
Vielleicht sind sie schon mit dem Gedanken beschäftigt, dass bei längerem Stillen das Risiko steigt, dass sich die Form verändert – das kann passieren.
Was lassen Mütter nach der Geburt machen?
Bruststraffungen mit gleichzeitiger Vergrösserung sind ein häufiges Bedürfnis. Es gibt aber auch Frauen, die sehr unter ihrem Nach-Schwangerschaftsbauch leiden. Das Gewebe ist stark gedehnt oder sogar gerissen, der Bauch bleibt gross, trotz Rückbildungsturnen und Gewichtsverlust. Manchmal liegt auch noch eine Kaiserschnittnarbe quer oder ist verwachsen. In solchen Fällen werden überschüssige Haut und Fett entfernt, die Muskeln darunter wieder zusammengeschoben. Das Resultat: ein flacher Bauch.
Das tönt nach einem grossen Eingriff – zu ausschliesslich ästhetischen Zwecken. Wie ist das zu rechtfertigen?
Zwar kostet eine Bauchstraffung zwischen 10 000 und 12 000 Franken und beinhaltet die üblichen Risiken einer Operation. Doch die Frauen sind derart motiviert, für sie ist es ein grosses Ereignis. Man hat herausgefunden, dass sich die meisten Menschen sieben Jahre lang mit einem ästhetischen Problem beschäftigen, bevor sie den Plastischen Chirurgen aufsuchen. Eine Lösung vor Augen zu haben, setzt deshalb viel Energie frei.
Machen Sie auch Vaginalstraffungen?
Nein, ich finde, das ist Sache der Gynäkologen.
Wieso sind Sie Plastischer Chirurg geworden?
Ich komme aus einer Künstlerfamilie und die Auseinandersetzung mit Formen ist mir von Haus aus vertraut. An der Plastischen Chirurgie reizt mich, dass man mit einem lebendigen Körper arbeitet, der sich zusätzlich durch den Faktor Zeit verändert. Es ist eine sehr feine Arbeit.
Haben Sie bei sich auch schon etwas machen lassen?
Ich habe mir ein Muttermal am Ohr weggenommen und vor Jahren einmal Botulinumtoxin gespritzt und ich ziehe langsam eine Augenlidstraffung in Erwägung. Den Zeitpunkt, wann ich die Korrektur vornehme, weiss ich aber noch nicht.
Sylvester M. Maas M.D. (52) ist Facharzt FMH für Plastische und ästhetische Chirurgie und Leitender Arzt Plastische Chirurgie in den Pallas Kliniken in Olten und Aarau. Bis Ende 2014 führte er in den Niederlanden eine eigene Praxis für Plastische und Ästhetische Chirurgie und arbeitete als Belegarzt an den Bergman Clinics im holländischen Bilthoven. Seit Anfang 2015 lebt der Holländer mit seiner Frau und seinem 10-jährigen Sohn in Küssnacht, SZ.