Hochzeit
Heiraten wir jetzt?
Von Manuela von Ah
Grosse Gefühle sind en vogue, Brautkleid und Blumenstrauss längst keine Bünzli-Attribute mehr. Trotzdem denken die meisten Paare erst ans Heiraten, wenn sie Kinder wollen oder bereits haben. Eine Entscheidungshilfe für Eltern.
Die Welt vibriert im Hochzeitsrausch. Wenn sich Prinz William und Kate Middleton in diesen Tagen das Jawort geben, lässt das bei vielen archaische Saiten erklingen. Denn welche Frau träumt nicht manchmal davon, aus der eigenen Bedeutungslosigkeit in den Prinzessinnenhimmel hochzusteigen? Und welcher Mann sieht sich nicht ab und zu als Prinz, dem die Welt zu Füssen liegt? Auch wenn unsere persönliche Heiratsausbeute im Vergleich zum königlichen Hyperevent nur mager ausfallen kann – träumen ist wieder erlaubt.
Zum Beispiel Isabelle (35) und Urs Hauswirth (37). Im kommenden August geben sie sich in der kleinen Kirche zu Guggisberg das grosse «Ja». Die Einladungen sind verschickt, mit 100 Gästen wird gerechnet, das weisse Brautkleid wartet im Schlafzimmer des alten Bauernhauses in Düdingen FR. Eine Traumhochzeit soll es werden. Oder: «Unser nächstes grosses Projekt», wie Isabelle den Anlass fröhlich nennt. Denn sie und ihr Mann haben in den letzten Jahren schon einige «Projekte» ins Leben gerufen. Unter anderem die vier Kinder Cyril (8), Xavier (6), Elodie (3) und Felice (1).
Als sich Isabelle und Urs vor 15 Jahren als Leiter in der Jugendgruppe kennenlernten, sah sie in ihm einen «arroganten Gigolo», er in ihr eine, «die immer im Mittelpunkt stehen wollte».
Erst auf sichere Distanz, als Isabelle in Schottland als Aupair arbeitete, streckten die beiden die Fühler nacheinander aus, schickten sich im Zeitalter vor E-Mails und Handys handgeschriebene Briefe. Mit ihnen flogen die Schmetterlinge. Zurück in der Schweiz war für beide klar: Wir wollen eine Familie gründen. Isabelle und Urs heirateten zivil, Diskussionen darüber gab es keine, der Nachname «Hauswirth» sollte das Dach auch über den Kindern bilden.
Weshalb aber koppelte das Paar die kirchliche Hochzeit nicht gleich an die standesamtliche? Das winzig kleine Goldkreuzchen um Isabelles Hals baumelt hastig hin und her. «Für eine kirchliche Trauung war ich damals noch nicht bereit», sagt die junge Mutter. Die Trennung ihrer Eltern nach 20 Jahren Ehe erschütterte sie in ihren Grundfesten: «Für mich starb damals der Traum, wie im Märchen als Prinzessin zu heiraten.» Sich mit einer kirchlichen Hochzeit gleich auch noch das Los für eine Scheidung mitzukaufen? Das wollte Isabelle nicht. Denn fern jeder Frömmigkeit, bedeutet eine Heirat in der Kirche für sie doch Verbindlichkeit und Verbundenheit weit über eine Vermählung auf dem Standesamt oder eine bedeutungslose Las Vegas-Party hinaus.
Katholisch oder reformiert?
Warum aber tritt sie jetzt trotzdem vor den Traualtar? Wer oder was hat sie umgestimmt? Isabelle lacht. Unsere Familienplanung ist abgeschlossen, jetzt feiern wir eine richtige Familienhochzeit. Das wichtigste Argument jedoch scheint Isabelle direkt aus dem Herzen zu holen: «Zudem bin ich so sehr in meinen Mann verliebt, wie nie zuvor!» Einer, der dem bisweilen stürmischen Wellengang mit vier Kindern so souverän standhält, kann einfach nicht der Falsche sein. Klar, sie seien nicht naiv oder blauäugig, passieren könne immer etwas. Aber sie hätten jetzt genug Zeit gehabt, das Für und Wider zu erörtern.
Pragmatismus schlägt Romantik. Auch in der Wahl der Kirche. Da Isabelle aus einer katholischen, Urs aus einer protestantischen Familie stammt, stellte sich die Frage, nach welcher christlichen Ausrichtung man sich trauen lassen wolle. Vom Gesichtspunkt der Romantik her betrachtet, hätte Isabelle eine katholische Trauung vorgezogen: sinnlicher, verspielter, pompöser. «Aber ein reformierter Pfarrer», erklärt sie, «weiss einfach besser, wovon er bei der Hochzeit spricht – schliesslich ist er meist selber verheiratet.»
Früher war eine Heirat ein kollektiver Imperativ – ein ritueller Fixpunkt im Leben jedes Mannes, jeder Frau. Im Zuge der Befreiungsjahre der 60er verflüchtigte sich dieser gesellschaftliche Zwang zu einer Option unter anderen. Und aus der Zeit der «wilden Ehen» entstieg eine Generation, die Ehegemeinschaften so nüchtern betrachtete, wie sie das Wort LAP, Lebensabschnittspartner, hervorbrachte. Geheiratet wurde – so es denn aus Kosten-Nutzen Überlegungen oder aufenthaltsrechtlichen Gründen nötig war – schmucklos auf dem Standesamt.
Mittlerweile aber ist das Pendel zurückgeschwungen, Heiraten liegt wieder im Trend. Nicht nur medial, auch statistisch: 2010 stieg die Zahl der Eheschliessungen auf 42 800 gegenüber durchschnittlich 40 000 in den letzten Jahren. Ein Rekord.
Zudem soll das Ambiente wieder stimmen. Hochzeitsmessen spriessen wie überdimensionierte Schneeglöckchen aus dem Boden, Wedding-Planer versprechen Feste so opulent und märchenhaft wie in Hollywood. Und solange Promis ihren Trauungstaumel über alle Kanäle zelebrieren, können wir nicht anders, als das Fest der Feste als wahre Glücksverheissung zu verstehen. Im Durchschnitt blättern Heiratswillige in der Schweiz 20 000 Franken für eine Hochzeit hin.
Nichtsdestotrotz: Wo früher die Reihenfolge Verlobung – Heirat – Kinder in Stein gemeisselt war, haben Paare heute das Glück, individuell entscheiden zu können. Zuerst heiraten? Dann Kinder? Umgekehrt? Aus Liebe heiraten? Oder aus versicherungstechnischen Gründen? Gar nicht heiraten? Wo die Freiheit blüht, wächst auch die Qual der Wahl. Eines jedoch ist gleich geblieben: Die meisten Paare denken erst ans Heiraten, wenn Kinder mit ins Spiel kommen.
Wie umgehen mit der Freiheitsliebe?
«Müssen wir jetzt heiraten?», fragte Marcel Bestler (30) seine Freundin Sara Tiboni (29) unverblümt, als sie ihm den positiven Schwangerschaftstest entgegenstreckte. Er meinte es nicht ablehnend, es war einfach seine Art, die Verblüffung auszudrücken.
«Eigentlich wussten wir beide, dass wir irgendwann Kinder wollten», erzählt Sara. «Aber heiraten?» Das war nie ein Thema. Und wenn doch, stieg in ihr Beklemmung hoch. «Ich bin freiheitsliebend, irgendwie überkam mich beim Wort ‹Ehe› ein beengendes Gefühl.» Trotzdem begannen die beiden Bücher zu wälzen, um sich punkto rechtlicher Belange schlau zu machen. Und sie kamen zum Schluss, mit einer Ehe auf der sicheren Seite zu stehen. Nur eine Bedingung brachte Marcel ein: Das standesamtliche Prozedere durfte auf keinen Fall während eines WM-Fussballspieles stattfinden.
Sara ihrerseits bestand auf einer bescheidenen Heirat ohne Pomp: Weder Ringe austauschen wollte sie, noch die ultimative Party inszenieren. Dies jedoch den Freunden und Verwandten zu verklickern, war gar nicht so einfach: «Die Leute verstanden nicht, weshalb wir bloss aus rationalen, nicht aber aus romantischen Gründen heiraten wollten.» Überhaupt erstaunt Sara, mit welch sentimentalen Vorstellungen das Thema «Heirat» befrachtet zu sein scheint: «Unser Umfeld ist eigentlich nicht konservativ – dennoch mussten wir uns immer wieder erklären.»
Auch als das Paar beschloss, den Nachnamen von Sara als Familiennamen zu wählen, löste das Irritation aus. Und man erkundigte sich besorgt bei Marcel, ob es ihm denn nichts ausmache, wenn sein Kind einen andern Namen trägt als er.
Annica (7 Monate) jedenfalls ist ihr Nachname piepegal. Was zählt ist der nahrhafte Schoppen und die liebevolle Hand, die ihr jetzt über die Wangen streicht. Und Sara Tiboni sieht es nüchtern: «Wir möchten natürlich wie alle andern, dass unsere Beziehung hält – vielleicht machen wir uns aber ein bisschen weniger Illusionen. » Zumindest etwas bedeutungsschwangere Symbolik pflegen auch Sara und Marcel: Statt Ringe auszutauschen, haben sie in ihrem Garten ein Heidelbeerbäumchen gepflanzt – als Zeuge ihrer Zusammengehörigkeit. «Hoffentlich geht das Bäumchen nicht ein», lacht Sara, «sonst könnte man das noch missdeuten.»
Einmal jährlich in den «Ehe-Service»
Hochzeiten boomen – Scheidungen leider auch. 2010 wurden 21 500 Ehen geschieden, 6 Prozent mehr als im Jahr zuvor, gemessen an der Heiratsrate über 50 Prozent. Paare träumen, Paare straucheln.
Genau das sucht der Bülacher Pfarrer Jaroslaw Duda zu verhindern. Wer sich bei ihm in der katholischen Kirche trauen lässt, erhält eine Ehegarantie von mindestens 15 Jahren. Bedingung: Die Paare müssen einmal jährlich zu ihm in den «Service». Wie ein Auto, müsse auch eine Ehe regelmässig überholt werden, sagt Duda. Statt in die Garage fahren die Verheirateten einmal jährlich ins Pfarrhaus zum Paargespräch.
Dabei besteht eine der Übungen darin, die eheliche Befindlichkeit auf einem Zettel festzuhalten. Dieser wird dem Partner auf den Rücken geklebt und er muss erraten, was darauf steht. Humbug? Mitnichten, findet Pfarrer Duda. «Damit zeigt sich die Wichtigkeit von Themen, die dem Partner vielleicht bis anhin verborgen blieben. » Das Hauptproblem sieht er nämlich darin, dass Paare zu wenig miteinander reden. Und ist sein Konzept erfolgreich? «Bis jetzt schon!», sagt Jaroslaw Duda. Von den 40 Paaren, die er seit der Einführung der Ehegarantie vor drei Jahren getraut hat, sind jedenfalls alle noch zusammen. Eine Rückerstattung gibt es im Trennungsfall aber keine.
Konkubinat trotz Kindern
Gänzlich abraten von der Ehe würde der Luzerner Scheidungsanwalt Benno Gebistorf. Sein Buch «Das 11. Gebot – Du sollst nicht heiraten» erschien bereits in 3. Auflage: ein fulminantes Plädoyer gegen die eheliche Zwangsgemeinschaft. Die Ehe, erklärt Gebistorf, sei schlicht das gesellschaftliche Auslaufmodell des dritten Jahrtausends. Angesichts der hohen Scheidungsraten sei es naiv, einen lebenslänglichen Vertrag einzugehen. Die teuren Scheidungsprozesse würden zudem das Argument Lügen strafen, dass man mit einem Ehevertrag finanziell besser abgesichert sei. Freie, nichteheliche Partnerschaften würden eine viel leichtere Auflösung ermöglichen.
Ein Hoch also auf das Konkubinat? Heute warten tatsächlich selbst viele Eltern mit dem «Bündnis fürs Leben» noch ab, bis ein, zwei oder mehr Kinder geboren sind. Während 1980 bloss 1157 Eltern mit Nachwuchs im Schlepptau heirateten, waren es 2009 bereits 4581. Auch der Anteil lediger Mütter hat sich 2010 gegenüber dem Vorjahr um noch einmal 6 Prozent erhöht auf 14 800 (BfS).
Für viele ist die Ehe selbst mit Familienzuwachs keine Option. Zum Beispiel für Katja Wolf (37) und Pius Kraushaar (36). Sie leben mit ihrer Tochter Leni (5) in Zürich, in diesen Tagen kommt das zweite Kind zur Welt.
Jetzt sitzen Katja und Pius im urbanen Kafi «für Dich» im Stadtkreis 4 und erörtern die Gründe, weshalb sie bis jetzt unverheiratet geblieben sind. Trotz 12-jähriger Liebschaft. Trotz Kindern. Eine buchhalterische Rechtfertigungslitanei – Verheiratete bezahlen mehr Steuern! Heute lässt sich die Hälfte aller Ehepaare sowieso wieder scheiden! – liegen den beiden fern. Bis jetzt gab es einfach keine zwingenden Gründe, sich buchamtlich zu binden.
«Bevor die Kinder kamen, sprachen wir nicht übers Heiraten. Und als ich schwanger war, hätte ich keine Lust gehabt, auf dem Trockenen zuzugucken, wie meine Freunde feiern», erzählt Katja. Pius gibt ihr recht.
Statt also – wie einige ihrer Freunde – nach der Zeugung gleich aufs Standesamt zu rennen, meldeten sich Katja und Pius auf der Vormundschaftsbehörde. Dort galt es, die Vaterschaft anzuerkennen, das gemeinsame Sorgerecht zu beantragen und – etwas später – einen Unterhaltsvertrag zu erstellen.
Das riecht nach Bürokratenstaub und behördlichem Spiessrutenlauf. «Ach was», sagen die beiden unisono, «das war unkompliziert. Und wir betreiben das bisschen Bürokratie ja zu unserem Schutz und demjenigen der Kinder, falls etwas passiert oder wir auseinandergehen.»
Gesellschaftlichen Gegenwind haben Katja und Pius nie verspürt. Weder Freunde noch Eltern reagierten irritiert. Ein Familienleben im Konkubinat ist für sie so wenig exotisch wie ein Schluck Wasser. «Ein Kind», sagt Katja, «verbindet ein Paar doch viel stärker als jeder Ehevertrag oder Ring.» Die tief empfundene Gültigkeit ihrer Beziehung spiegelt sich auch in der gegenseitigen Bezeichnung vor Dritten: Katja spricht von «meinem Mann», Pius von «meiner Frau». Das vor Unverbindlichkeit triefende Wort «Partner» haben sie längst in die Mottenkiste verbannt.
Dennoch: Die in der Öffentlichkeit neu gefeierte Romantik rund ums Heiraten entgehen auch Katja und Pius nicht. Da sie beim Zürcher Standesamt gleich um die Ecke wohnen, sehen sie täglich in Tüll gekleidete Bräute vorbeiflanieren, Böden voller Rosenblätter und Spalier stehende Blumenmädchen. Das erweckte bei der kleinen Leni sogar eine neue Lieblingsbeschäftigung: Hochzeit-Gucken.
Heiraten – eine Frage des Zeitgeists?
Auch Katja hat trotz Konkubinat die Poesie nicht aus ihrem Leben verbannt: «Ich finde die Vorstellung unheimlich schön, viele Jahre gemeinsam verbracht zu haben, um dann mit 50 oder 60 überraschend Hochzeitseinladungen zu verschicken.» Sie guckt zu Pius: «Und man muss doch nicht alles Pulver gleich zu Beginn verschiessen, findest du nicht!?»
Heiraten? Oder nicht heiraten? Neu ist die Frage nicht. Die Antwort darauf ist mitnichten eine ausschliesslich individuelle Angelegenheit, denn in der Entscheidung für oder gegen den «Bund des Lebens» widerspiegelt sich immer auch der Zeitgeist. Schon Sokrates philosophierte über die weit reichenden Folgen einer Bindung zwischen Mann und Frau. Und kam zum Schluss: «Heirate, und du wirst es bereuen. Heirate nicht, und du wirst es bereuen.»
Wer es schafft, daraus den Umkehrschluss zu ziehen, hat das Glück – so oder so – auf seiner Seite.
Wir danken Fabiola Anderes vom Ballonstudio in Herisau für die Ballondekoration.
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