Blog
Geschlechterorakel
Jetzt, wo meine Familienplanung abgeschlossen ist und ich grossartiger Weise genau die Anzahl Jungen und Mädchen bekommen habe, die ich immer wollte, kann ich endlich mal laut fragen: Was ist das bloss für eine Geschlechterraterei bei Paaren mit Kinderwunsch und Schwangeren? Was soll das? Ich bin ja froh und glücklich, dass sich bei meinen Vieren die Geschlechterfrage nicht so monothematisch ergeben hat wie bei meinem Freund. Irgendwann nach der Geburt seines ersten Sohnes wollten seine Frau und er noch ein Kind und es sind Drillinge geworden. Jetzt haben sie vier Buben und das sieht schon allein auf Fotos sehr herausfordernd aus. Vielleicht weniger wegen des Geschlechts als wegen der Tatsache, dass da immer drei im gleichen Alter sind deren Bedürfnissen kaum gestaffelt nachgegangen werden kann, sondern immer nur gleichzeitig. Aber trotzdem: Vier von einer Sorte stelle ich mir anstrengend vor. Ich kann diese «Jetzt aber wirklich mal ein Junge/Mädchen»-Gedanken durchaus nachvollziehen. Diesen Hype um Mythen und Abfälligkeiten allerdings nicht.
Wie ich darauf komme? Letzte Woche meinte jemand am Nebentisch im IKEA Restaurant «Du bist ja eher so der Büchsenmacher, höhö!» Ich war schwer begeistert. Was für ein Premiumbegriff! Für diejenigen unter euch, denen er nichts sagt: Als Büchsenmacher werden Väter bezeichnet, die (bislang) «nur» Mädchen gezeugt haben. Damit wertet man sowohl besagte Väter als auch mal eben das ganze weibliche Geschlecht ab. Weil «Iiih, wer will schon nur Mädchen und deren seltsame Geschlechtsorgane». Und dann fiel es mir wieder ein. All die Kommentare zu Bauchform, Haarnachdunkelung, Aussehen der Schwangeren, Verhaltensauffälligkeiten und Essensvorlieben. Das MUSS ein Zeichen sein. Bei grossen Brüsten wird es ein Mädchen, bei einem eher runden Bauch auch, und wenn «das Kind der Mutter die Schönheit raubt» sowieso. Wenn die werdende Mutter Fleisch und fettige Sachen vertilgt, grundsätzlich wenig leidet (ausser unter verstärkter Körperbehaarung) und nach Norden schläft wird es natürlich ein Junge. Richtig die Kinnlade runtergefallen ist mir allerdings bei meinem zweiten Kind, als eine Kommilitonin sein Geschlecht anhand des ersten Wortes meines ersten Kindes bestimmen wollte. Mama oder Papa eben. Is klar.
Das könnte man jetzt alles total dämlich finden und sich darüber lustig machen. Vielleicht sollten uns diese Absurditäten in unserer ach so aufgeklärten Gesellschaft aber vielmehr zu denken geben, wie stark wir uns eigentlich an Geschlechtskategorien klammern und wofür.
Das könnte Sie auch noch interessieren:
Diese Bilder zeigen den Moment zwischen den Welten: Das Kind ist halb geboren oder erst Sekunden alt.
Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.