
Martina Paukova
Beziehung
Gehen oder bleiben?
Wankt eine Beziehung, kann die Trennungsfrage zur Endlosschleife werden – bis eine Entscheidung alles verändert.
Scheitern, harte Landungen und Fehler hatte ich mir für mein Leben eigentlich verboten. Blöd nur, dass sich das Leben nicht daran halten wollte. Sieben Ehejahre, fünfjähriges Kind – und: Scheidung. Vorgesehen war das nicht, schön auch nicht. Aber schöner jedenfalls als davor diese vier Jahre voller Fragen in Endlosschleife: Soll ich gehen oder bleiben? Ist das nur eine schlechte Phase? Streiten andere Paare auch so viel? Liegt es am Babystress? An ihm? An mir? Wie wird es nur werden? Jahre voller durchgrübelter Nächte und durchheulter Tage. Voller Galgenhumor der Machart: «Am Scheitern einer Beziehung sind immer zwei schuld: er und seine Mutter», voller Zweifel, Ängste, Hoffnungen, havarierter Hoffnungen, Gespräche ohne Ergebnis, voller Fürs und Widers. Und alles noch mal von vorn. Und noch mal. Und noch mal. Bis eben zu diesem einen Abend, als das Kind bei einem unserer Streite anfing zu weinen: laut und schrill wie eine Sirene. Eine Sirene, die ängstigt, warnt und – aufweckt.
Wenige Monate später sass ich auf unserem neuen kleinen Balkon in der Sonne: frisch getrennt, frisch lackierte Zehennägel. Endlich, endlich Fakten. Konkrete Probleme zum Ärmel hochkrempeln und aus dem Weg schaffen. Freie Sicht. Luft zum Atmen. Die Entscheidung war gefallen, statt Sackgasse und Leerlauf gab es jetzt eine Richtung: vorwärts nämlich.
Falsch? Richtig?
Drei Jahre, sagen Studien, dauert es im Schnitt vom ersten ernsthaften Gedanken an eine Trennung bis zu dem Tag, an dem die Würfel für ein Aus gefallen sind. Drei Jahre, in denen allerdings nur diejenigen erfasst sind, die einen endgültigen Schlussstrich gezogen haben. All jene, die zwar schon mit dem Gedanken gespielt, sich aber trotz rauer See fürs Zusammenbleiben entschieden haben, weil sich die Liebe als stark und die Probleme als irgendwie zu bewältigen herausgestellt haben, tauchen naturgemäss nicht auf. Aber auch nicht die, bei denen der Gedanke an Trennung ständig herumspukt wie ein Schlossgespenst: nie mit klaren Konturen, nie zu fassen, doch als eiskalter Hauch spürbar. Über Jahrzehnte richten sich manche in dieser zugigen Ecke ein. Warum? Aus Bequemlichkeit. Aus Angst vor dem Unbekannten. Aus – berechtigter – Furcht vor finanziellem Abstieg samt kollabierter Altersversorgung, Einsamkeit, Überforderung... Oder auch wegen der verlockenden irrigen Annahme, ein erwachsener Mensch würde sich noch grundlegend ändern, der Partner irgendwann in seliger Zukunft eine märchenhafte Metamorphose vom Frosch zum Prinzen hinlegen und seine unangenehmen Charakterzüge ablegen wie ein verschwitztes T-Shirt. Auch die Fähigkeit des Menschen, gedanklich Stroh zu Gold zu spinnen, befeuert die Ausdauer: Hoffnungsfroh wird dann jeder streitfreie Abend umgedeutet als Beginn eines rosaroten Zeitalters, eine (endlich!) korrekt in die Spülmaschine geräumte Tasse hochstilisiert zum Symbol der Läuterung. Des Partners, versteht sich.
Kein gutes Ende
Und dann natürlich bleiben Eltern trotz Sand im Getriebe der Liebe der Kinder wegen zusammen. Ist das falsch? Ist das richtig? «Trennt euch wegen der Kinder», findet Laurian Brandes, Autor des Buches «Trenn dich glücklich – Ausbruch aus dem Beziehungsknast» und erklärter Freund knallharter Ansagen. «In einer giftigen Atmosphäre aufzuwachsen, das nimmt kein gutes Ende für die Psyche der Kinder.» Klar, räumt er ein, so eine Trennung sei ein Aderlass, und man dürfe alsEltern nicht vorschnell die Sachen hinschmeissen. «Aber man muss endlich der Trennung das negative Image nehmen und der Leidensfähigkeit das positive.» Besonders Frauen und erst recht Mütter hielten extrem lange auch an den toxischsten, zermürbendsten Beziehungen fest und verabschiedeten sich dafür innerlich langsam und still aus der Partnerschaft. «Die Männer checken das meist gar nicht und fallen aus allen Wolken.» «Dafür», so Brandes, «trennten die sich eigentlich erst dann, wenn schon eine Neue am Start sei.» Für Kinder jedenfalls, davon ist der «Profiler des Beziehungsendes» überzeugt, seien glückliche Eltern wichtig. Statt Eltern, die sich nach einer zu späten Trennung in Rosenkriege verwickelten. «Spätestens wenn man als Elternteil anfängt, aufgrund der verkorksten Situation auch den Kindern gegenüber dünnhäutig zu werden, ist es Zeit zu gehen», so Brandes.
Buchautor Laurian Brandes

«Gehen ist für Anfänger, Bleiben für Fortgeschrittene», sagt dagegen Heike Melzer, Neurologin, Paar- und Sexualtherapeutin aus München, ebenso überzeugt wie fröhlich am Telefon. Ausgenommen von dem steilen Statement seien natürlich alle Fälle, in denen man sich selbst, seine körperliche und seelische Gesundheit oder die der Kinder schützen müsse. «Ich hatte mal einen Fall, da hatte der Vater der Mutter ein Messer an die Kehle gesetzt und zugeschnitten», berichtet sie abgeklärt, «da stellt sich die Frage nach dem Bleiben eher nicht.» Äh, nein. Eher nicht.
«Auch bei, sagen wir mal, chronischer Untreue, durch die dann diverse – im schlimmsten Fall lebensbedrohliche – Krankheiten eingeschleppt werden, Spielsüchtigen, die die Haushaltskasse der Familie verjuxen, unbelehrbarem Überschreiten roter Linien, vollends zerstörtem Vertrauen oder bei schlechthin nicht Veränderbarem, mit dem man nicht leben kann, wird es Zeit für einen geordneten Rückzug.»
Aus einem Introvertierten mache man keinen Extrovertierten, aus einem Homosexuellen keinen Heterosexuellen. Und auch wenn der andere schon innerlich gekündigt habe, so Melzer, «dann kann man sich auf den Kopf stellen und mit den Ohren wackeln, dann wird da nichts mehr draus.» Aber ansonsten ist sie Realistin: «Scheidungen, Alleinerziehen oder eine PatchworkSituation sind auch nicht der Himmel auf Erden.» Und – sie ist Optimistin. Denn durch Phasen ausserhalb der Komfortzone könne man als Paar auch an Tiefe gewinnen.
Ausserdem liesse sich im Vorfeld, wenn die Beziehung noch lediglich knirscht und nicht schon auf den Felgen rumpelt, einiges tun: Etwa übertrieben romantische Erwartungen auf ein alltagstaugliches Format stutzen, sich «resignative Reife» aneignen, die Fähigkeit, Marotten des Partners schlicht hinzunehmen oder zu akzeptieren.
Gemeinsam regelmässig die Beziehung und deren unausgesprochene Verträge der Partnerschaft abklopfen: Taugt das noch, kann das weg oder muss noch etwas hinzu? Sich rechtzeitig fachliche Hilfe holen.... Es gibt da viel.
Aber was ist mit dem berühmten «Wir passen nicht zusammen, wir haben uns auseinanderentwickelt, wir sind zu unterschiedlich»? Kann doch passieren. «Kann. Ja», sagt Heike Melzer gedehnt. «Allerdings: Wir sind von Anfang an unterschiedlich. Schliesslich ist niemand mit seinem eineiigen Zwilling verheiratet.» Auch wieder wahr.
Und wenn trotz aller Bemühungen und Grübeleien die Frage «Gehen oder blieben» ihr gruseliges Spuken nicht lassen will? Das HüHott, das Hin und Her nicht aufhört und man selbst dabei immer müder und ausgelaugter wird? Dann helfen vielleicht die folgenden Fragen ein bisschen beim Navigieren.

Der grosse Beziehungs-Check
Dieser Fragebogen hilft, verwickelte Gefühle und neblige Zukunftsperspektiven zu klären.
Gretchenfrage
• Wie sieht es aus mit der Liebe? Ist da noch etwas im Herzen spürbar?
Intimität & Körperlichkeit
• Gibt es noch Sex? Falls ja: Pflichtübung oder gut?
• Wie ist es mit Berührungen? Angenehm oder eher: Nein, danke?
Distanz & Perspektive
• Wenn du dir eure Beziehung als Kreis vorstellst: Stehst du schon mit einem Bein draussen? Mit beiden? Wie sieht es wohl beim anderen aus?
• Interessiert dich, was der andere denkt? Oder graut es dir schon im Vorfeld, was da gleich kommen mag?
• Ihr lacht ab und an zusammen. Wahr? Falsch?
• Wie fühlt sich der Gedanke an: ihr beide in zehn Jahren? In zwanzig?
Unterstützung & Vertrauen
• Unterstützt dich dein Partner/deine Partnerin bei deinen Zielen? Oder steht sie/er auf der Bremse und du hast das Gefühl, klein gehalten zu werden?
• Was sind unausgesprochene Vertragsgrundlagen eurer Partnerschaft? Gilt der Vertrag noch? Wird er ständig gebrochen?
• Redet ihr noch miteinander?
• Vertraust du ihm/ihr?
Gefühle & Wohlbefinden
• In welche fünf Eigenschaften hast du dich damals bei deinem Partner/deiner Partnerin verliebt? Gibt es die noch? Wenigstens vier davon? Drei?
• Bauchgefühl ist gefragt: Was spürst du, wenn du an eure Beziehung denkst?
• Hast du oft Bauchweh/Kopfweh oder anderes Unwohlsein und bessert sich das, wenn der andere längere Zeit mal nicht da ist?
• Momentan habt ihr Probleme. Guck in die Wahrsagekugel: Was siehst du da diesbezüglich in fünf Jahren?
• Wofür bist du deinem Partner/deiner Partnerin dankbar?
Trennung & Konsequenzen
• Was würde dir fehlen, wenn du dich trennst?
• Wie ist der Preis für die Trennung? Auch Finanzielles, Organisatorisches oder was die Kinder anbelangt. Alles, alles auflisten. Bist du bereit, ihn zu bezahlen?
• Experiment: Tu in Gedanken so, als seist du schon getrennt. Was würdest du unternehmen? Mit wem würdest du dich treffen? Was ziehst du an?

Selbstbild & Treue
• Magst du dich selbst noch leiden oder hast du dich zu einer Person entwickelt, die du nie sein wolltest?
• Hand aufs Herz: Guckst du anderen hinterher? Flirtest du fremd? Oder läuft sogar schon was?
Bewunderung & Respekt
• Bewunderung für den Partner links. Verachtung rechts. Wo in dem Kontinuum verortest du dich? Umgekehrt: Wo denkst du, verortet der Partner/die Partnerin dich?
• Schreib auf, was OHNE deinen Partner/ deine Partnerin in deinem Leben fehlen würde!
• Stell dir vor, du wärest schwer krank/ ein Kind wäre verunglückt/Todesfall der eigenen Eltern. Ist der Gedanke, dein Partner/deine Partnerin wäre in dieser Krisensituation bei dir, beruhigend?
Familiäre Prägungen
• Blick auf deine Herkunftsfamilie: Willst du es auf alle Fälle besser machen als deine eigenen Eltern, es genauso machen wie sie? Gibt es in deiner Familie unausgesprochene Glaubenssätze zu Trennungen? Frauenrollen? Männerrollen? Schreib sie auf und: Wie stehst du eigentlich dazu?
Vorstellung & Wahrnehmung
• Ihr zwei an einem Wochenende allein: Würde das aufbauen oder runterziehen?
• Der Partner/die Partnerin in der Gruppe. Was fühlst du, wenn du ihn/sie beobachtest: Stolz? Fremdscham? Ekel? Gar nix?
• Findest du etwas Banales am anderen so richtig abstossend? Wie er atmet, isst oder läuft?
• Sieh deinen Partner/deine Partnerin ein bisschen aus der Ferne an. Welches Statement stimmt: «Gut aussehen tut sie/er ja», «Nee, attraktiv ist wirklich anders.»
Verzeihen & Verändern
• Wie siehts aus? Kämpfst du um eure Beziehung oder hast du das aufgegeben und der andere ist dir eigentlich egal?
• Könntest du dir vorstellen, zu bleiben, wenn sich bestimmte Dinge änderten? Sind diese Sachen änderbar?
• Vorgefallenes verzeihen – geht das? Ganz ehrlich! Also richtig verzeihen und auch nicht mehr bei jedem Streit hervorkramen?

Bilanz & Perspektiven
• Wenn du an die Anfangszeit denkst: Was fällt dir ein? War die uneingeschränkt gut? Gibt es eine schöne gemeinsame Kennenlern-Geschichte?
• Zeichne eure Beziehung wie einen Börsenkurs auf. In welche Richtung zeigt, Kursschwankungen eingerechnet, die Kurve? Abwärts? Aufwärts?
• Würde ich es allein schaffen? Wer könnte mir helfen?
• Was macht die aktuelle Situation mit den Kindern? Spüren sie den Stress? Zeigen sie Auffälligkeiten? Aggressionen, Trauer, Leistungsabfall in der Schule, Essstörungen?
Dieser Fragebogen soll zu keiner Entscheidung drängen, sondern helfen, Klarheit zu gewinnen und das Beziehungs-Dickicht ein wenig durchschaubarer zu machen. Denn nichts saugt mehr Kraft ab als Unsicherheit und beständiges Hü und Hott. Was fühlt sich nach den Fragen jetzt richtiger an: Bleiben oder Gehen?