Otto Ineichen
«Es gibt viele Leute, die gern Kinder hüten würden»
wir eltern: Otto Ineichen, kommen nach der Discountkette «Otto’ s» die Discountkrippen?
Otto Ineichen: Nein, es tut mir im Herzen weh, wenn Sie von Discountkrippen sprechen! Weil man damit fälschlicherweise schlechte Qualität verbindet. Aber ich will mit den 100 neuen Krippen einen positiven Beitrag leisten und qualitativ Topbetreuungsplätze schaffen, die sich jedermann leisten kann.
Mit Ihrer Idee scheinen Sie aber in ein Wespennest gestochen zu haben: Die Reaktionen reichten von heller Empörung bis zu totaler Begeisterung.
Ja, das war ein Tritt ins Wespennest. Die Idee aber finden eigentlich alle gut.
Eigentlich? Wo liegt das Problem?
Das Problem sind die hohen administrativen Hürden – vom Brandschutz über Unfallverhütung, Notfallkonzepte, die Sicherstellung medizinischer Versorgung bis hin zur Einhaltung von Lebensmittelvorschriften. Der Wald von Vorschriften macht die Neueröffnung einer Kita sehr aufwendig.
Weshalb wollen Sie sich trotzdem durch den Vorschriften-Dschungel von Kantonen und Gemeinden kämpfen?
Wir brauchen mehr bezahlbare gute Krippen in der Schweiz. Damit Mütter, die arbeiten wollen, das auch tun können. Wir haben einen akuten Fachkräftemangel! Zudem sollen sich auch alleinerziehende Mütter einen Krippenplatz leisten können. Heute sind zu viele Alleinerziehende mangels bezahlbarer Betreuungsplätze auf die Fürsorge angewiesen.
Wie billig wird denn ein Platz in Otto’s Krippe sein?
Er wird rund 70 Franken pro Tag kosten , also 20 bis 30 Prozent weniger als ein durchschnittlicher Krippenplatz in der Schweiz.
Sind das fixe Preise oder sind sie orts- und einkommensabhängig?
Das müssen wir noch schauen.
Und warum können Sie die Plätze so günstig anbieten? Sind die anderen Krippenanbieter alles Raubritter, die sich an ihrer Kundschaft bereichern?
Natürlich nicht, aber wir wollen Krippen in der Gemeinde und der Gemeinschaft verankern und zu einem Generationenprojekt machen. Senioren, die gerne Kinder hüten, sollen zum Beispiel mitwirken.
Otto Ineichen
Aber mit freiwilligen Senioren allein können Sie noch keine Krippe führen?
Nein, wir zählen auch auf andere motivierte Menschen. Zum Beispiel Mütter, deren Kinder flügge geworden sind und die wieder für Kinder da sein möchten. Und schliesslich wollen wir auch schulisch schwachen Jugendlichen Praktikumsplätze anbieten.
Sie wollen also auch mit nicht qualifiziertem Personal arbeiten?
Natürlich! Um Kinder gut betreuen zu können, muss man nicht zwingend Akademikerin sein. Es gibt viele Leute, die sehr gerne und mit viel Herzblut Kinder betreuen möchten. Diese wollen wir finden.
Aber Sie arbeiten auch mit qualifiziertem Personal?
Wir halten uns exakt an die Vorschriften, keine Frage. Die gute Zusammenarbeit mit dem Verband Kindertagesstätten SchweizKiTaS ist uns sehr wichtig. Zentral ist eine gute Kita-Leitung. Fachkompetenz und Erfahrung sind wichtig, um erfolgreich eine Krippe zu führen und um Lernende ausbilden zu können.
Wie kommt ein Unternehmer wie Sie auf die Idee, Krippen zu eröffnen?
Ich erzähle Ihnen eine Geschichte: Vor Kurzem hat sich eine Frau bei mir gemeldet, die 15 Jahre teilzeitlich als Personalverantwortliche gearbeitet und nebenbei als Tagesmutter sechs Kinder betreut hat. Sie wollte eine Kinderkrippe eröffnen, hatte aber die notwendigen Papiere nicht. Trotz Herzblut und grossem Erfahrungsschatz blieb ihr diese Tür verschlossen. Das kann doch nicht sein!, schoss es mir durch den Kopf. Worauf ich die Idee mit den 100 Krippen hatte.
Verdient eine Krippenleiterin denn bei Ihnen weniger?
Natürlich nicht. Wie gesagt, wir halten uns exakt an die Empfehlungen. Aber haben Sie gewusst, dass 60 bis 70 Prozent der Kita-Leiterinnen heute Österreicherinnen oder Deutsche sind? Viele Schweizerinnen wollen viel mehr als die von KiTaS empfohlenen 4500 bis 5300 Franken im Monat verdienen.
Otto Ineichen
Hängt die Qualität einer Krippe nicht auch von der Qualität der Leitung ab?
Es ist sicher eine Irrmeinung, dass sie von der Bezahlung abhängt. Ich behaupte, dass viele Edelkrippen, die mit der Kinderbetreuung Geld verdienen wollen, mit fragwürdigen Methoden arbeiten, indem sie etwa Billigst- Mitarbeiterinnen aus Rumänien oder Ungarn anheuern.
Trotzdem: Qualität kostet.
Nein, Qualität ist eben nicht zwingend teuer. Wichtig ist vor allem die Motivation und dass sich die Mitarbeiterinnen wohlfühlen. In Norddeutschland gibt es zum Beispiel mit der Kita «Gut behütet» in Bad Sülze einen Anbieter einer Discountkrippe, der mit allerbester Qualität von sich reden macht.
Dann heuern auch Sie günstigeres ausländisches Personal an?
Nein. Und zwar genau deshalb nicht, weil wir hier genügend Leute haben, die diesen Job machen wollen. Das ist der Punkt!
Sie senken die Kosten also anders?
Ja. Eine Krippe können Sie zum Beispiel für 5000 statt für 500 000 Franken einrichten.
Wie?
Wir haben bereits viele Anfragen von Gemeinden. Denen raten wir, Räume in Schulhäusern oder kaum genutzten Pfarrhäusern zu suchen, die umgenutzt werden können. Und unternehmensfreudige Leute zu rekrutieren – etwa Hausfrauen, alleinerziehende Mütter, arbeitslose Krankenschwestern, Teilzeit arbeitende Hebammen, die interessiert sind, eine eigene Krippe zu eröffnen.
Tom Huber
Otto Ineichen (70)
FDP-Nationalrat Ineichen lernte als Sohn eines Metzgers schon früh unternehmerisch zu denken. In St. Gallen studierte er Betriebswirtschaft. Mit seiner Detailhandelskette Otto’s gründete er ein erfolgreiches Familienunternehmen mit über 100 Filialen in der Schweiz. Heute führt sein Sohn Mark das Unternehmen und ist auch Verwaltungsratspräsident. Seit 2007 bietet Otto Ineichen, in Zusammenarbeit mit anderen Unternehmern und den kantonalen Ämtern für Berufsbildung Speranza 2000, ein Förderprogramm für jugendliche Schulabgänger mit ungünstigen Berufsaussichten an. Unter dem Dach der Stiftung Speranza ist auch das neue Krippenprojekt angesiedelt. Otto Ineichen ist verheiratet, hat vier erwachsene Söhne, vier Enkelinnen und wohnt in Sursee.
www.stiftungsperanza.ch
Warum sollen Gemeinden Hand bieten?
Weil es für sie ein Standortvorteil ist, gute, bezahlbare Krippenplätze anbieten zu können.
Und wie wollen Sie die Gründungen der Krippen anstossen?
Die Stiftung Speranza unterstützt Krippenleiterinnen, indem sie ihnen zu Selbstkostenpreisen den ganzen administrativen Kram abnimmt: von der Lohnabrechnung bis zur Krankenversicherung des Personals. So können sie sich ganz auf ihr Kerngeschäft konzentrieren: die Betreuung der Kinder.
Und woher sollen sich die Quereinsteiger das Fachwissen holen?
Wir suchen nach Wegen, eine berufsbegleitende Ausbildung auf die Beine zu stellen, und zwar zusammen mit dem Bundesamt für Berufsbildung und Technologie BBT und der KiTaS. Leute mit Herzblut sollen die Möglichkeit haben, in den tollen Job reinzukommen.
Was zeichnet eine gute Krippe aus?
Die Kinder müssen sich wohlfühlen. Wobei ich ganz auf Multi-Kulti-Krippen setze. Kinder lernen dort ungeheuer viel voneinander.
Interessant ist ja, dass Sie die Krippenidee als Unternehmer aufgreifen. Warum haben Sie als Nationalrat keinen Vorstoss zur Förderung von Krippen eingereicht?
Ich bin gegen gesetzliche Regelungen. Zudem: Krippenplätze werden mehr und mehr zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Fortschrittliche Unternehmen sind sich dessen längst bewusst.
Das Interview wurde im Frühjahr 2012 geführt.