Iglu
Übernachten im Iglu
Steffi Hidber übernachtet mit ihrer Familie im Iglu. Das eiskalte Abenteuer im Schneehütten-Dorf in Engelberg begeistert alle. Fast alle.
So kalt habe ich es mir nicht vorgestellt. Wie um Himmels willen soll ich bei Minus 2 Grad, auf einem Eisblock liegend, jemals einschlafen können? Das grosse Zittern beginnt.
Dabei hat alles auf fast unheimlich schöne Art begonnen: Treffpunkt für die «Erlebnis-Übernachtung» im Iglu-Dorf Engelberg ist das Bergrestaurant Trübsee. Bald verlassen die letzten Skifahrer die Pisten, langsam dunkelt es ein. Mia (9) und Lily (7) balgen sich im Schnee, Nik und ich freuen uns auf einen Spaziergang unterm Sternenhimmel. Wie eine schwere Decke legt sich die Stille über das Hochtal. Der Schnee schluckt alle Geräusche. Nur der Wind bläst.
Wer das erste Mal eine Januarnacht in den Bergen verbringt, dazu noch in einer Schneehütte, der hat viele Fragen: «Müssen wir im Iglu Fische essen?», argwöhnte Mia vor der Abreise. Oder: «Erfriert mein Plüschelefant, wenn er nachts aus dem Schlafsack fällt?», will Lily wissen.
Damit zumindest wir nicht erfrieren, haben wir – exakt wie von den Iglu-Dorf-Betreibern empfohlen – unsere wärmsten Skikleider dabei: Thermounterwäsche, Skihose, Mützen, Handschuhe. Und obendrauf die Badehose. Im Iglu-Hotel soll es ein Jacuzzi geben!
«Steffi, du Weichei!»
Eingepackt wie für eine Nordpol-Expedition stapfen wir mit den andern aus der 30-köpfigen Gruppe auf einen grossen Schneehaufen zu, der sich erst auf den zweiten Blick als Iglu-Dorf entpuppt. Hinter der im Schnee eingelassenen Holztüre liegt eine aufwändig geschnitzte Eis-Bar, auf dem Tresen flackern Kerzen.
«Hier siehts aus wie in einem Labyrinth!», ruft Mia bei der Führung durch das Igluhotel, der Bau ist erstaunlich weitläufig. Rund drei Wochen lang wird jeweils an einem Iglu-Dorf gebaut, zusammen mit professionellen Eiskünstlern. Der Grundplan bleibt zwar immer derselbe, doch Zimmeraufteilung und Dekoration variieren von Jahr zu Jahr. Diesmal sind Reiher, Drachen, Bären dran. Alles riecht ein bisschen nach Skischuh, der Schnee an den Wänden ist vom Kondenswasser zu glänzendem Eis geschmolzen. Fenster gibt es keine. Und Türen auch nicht. Die 14 Zimmer werden bloss mit einem Vorhang verschlossen. Um seine Privatsphäre braucht niemand zu bangen. Der Schnee ist auch im Inneren ein wirksamer Schalldämpfer.
Auf einer Plattform aus Eis liegen Matratzen, bedeckt mit kuscheligen Lammfellen. Leider nicht nur Zierde, sondern bitter nötig. Herrschen doch hier drin Temperaturen zwischen –2 und +2 Grad. Und spätestens beim Besichtigen des WCs wird mir klar: Das hier wird kein Wellness-Vergnügen, sondern ein Abenteuer. Zwar gibt es zwei WC-Schüsseln, aber kein fliessendes Wasser. Das benutzte Papier wirft man in einen grossen Abfalleimer. Hände waschen? Desinfektionsspray! «Steffi, du Weichei», schelte ich mich innerlich, «für eine Nacht hältst du das durch!»
Mia und Lily möchten im «Hauptraum» schlafen, Nik und ich übernehmen den Nebenbau, einer Art Nische, verziert mit einem grossen Teddybären aus Eis. Es fühlt sich seltsam an, drinnen, und doch in Kappe, Jacke und Handschuhe gemummelt zu sein. Mia möchte unbedingt noch in den Whirlpool. Aber meine Füsse sind inzwischen so kalt, dass mich allein die Vorstellung, irgendetwas auszuziehen, völlig fertig macht. Zum Glück ist es 19 Uhr, Zeit fürs Znacht!
Tipps für Iglu-Ferien
Moon Boots oder Winterstiefel?
Jetzt ist der perfekte Zeitpunkt, die Polarforscher-Daunenjacke, die russische Pelzkappe und die Hightech-Wärmesocken auszuprobieren. Denken Sie beim Packen niemals «Ach, so kalt wirds schon nicht werden...».
Auch wenn «Romantikzimmer» angeboten werden, seien Sie sich bewusst: Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt sinkt der Erotikfaktor ebenfalls ziemlich tief. Klassenlager-Groove ist realistischer als Eisprinzessinnen-Romantik!
Der ziemlich stolze Preis relativiert sich vor Ort, wenn man sieht, wie viel Arbeit in jedem Iglu-Dorf steckt. Der Erlebniswert ist hoch: Von der Iglu-Nacht wird Ihre Familie noch lange erzählen!
Im grossen «Restaurant-Iglu» gibts Fondue à discrétion und heissen Tee. In Decken gehüllt, sitzen die Gäste auf Schaffellen, ziehen Käsefäden und plaudern miteinander. Unsere Mädchen kriegen derweil vor Kälte rote Näschen und wollen endlich in ihre Schlafsäcke schlüpfen – für sie beginnt das Abenteuer jetzt.
Schnell die Zähne im Schnee-WC geputzt (ohne Wasser!), dann zippen wir uns in Thermounterwäsche in die Schlafsäcke. Nur die Gesichter gucken raus. Mia und Lily sind nach fünf Minuten eingeschlafen. Nik döst nach zehn Minuten weg. Ich aber friere. Deshalb zurre ich mein Guckloch zu. Nun rutscht mir ständig die Kappe über die Augen. Die Sehnsucht nach meinem warmen Bett zu Hause wächst ins Unermessliche.
Und plötzlich ein Eisbär
Schliesslich stehe ich auf und schlurfe an die Bar, wo um 23 Uhr noch immer Hochbetrieb herrscht. Zu Après-Ski-Musik versuche ich, meine unkontrolliert zitternden Oberschenkel in den Griff zu kriegen und kippe auf Anraten des Barkeepers einen «Bündner Röteli» in mich hinein. Es ist hell draussen. Gespenstisch hell – als habe der Schnee das Licht des ganzen Tages geschluckt und strahle es jetzt in die schwarze Nacht zurück. Ich stapfe durch den Schnee, zurück ins Eiszimmer und versichere mich, dass Mia und Lily nicht erfroren sind. Dann hole ich meine Trümpfe aus dem Ärmel: Zwei Wärmebeutel, die ich «für den absoluten Notfall» mitgenommen habe. Mit den Dingern in den Socken schlafe ich ein.
Um 6 Uhr morgens wache ich als Erste auf und überlege mir lange, ob ich aufs Klo soll. Die Vorstellung, aus dem warmen Schlafsack zu kriechen, ist unerträglich. So döse ich vor mich hin, bis sich auch der Rest der Familie rührt. Und auf einmal ein Eisbär in unserem Höhlenzimmer steht – mit heissem Tee. Wir packen unsere Sachen zusammen. Drüben im Bergrestaurant wartet ein Frühstück auf uns. Schöner noch als der Duft von frischgemahlenem Kaffee und Buttergipfeli ist die Wärme, die uns einhüllt wie ein warmer Mantel.
Für drei unserer vier Familienmitglieder war die Nacht im Iglu ein unvergessliches Erlebnis. Für mich immerhin eine Lernerfahrung: Mein nächster Ehemann ist garantiert kein Eskimo.
Eine Nacht im «Standard-Iglu» kostet für 2 Erwachsene und 2 Kinder 608 Franken. Geeignet ab 6 Jahren. Iglu-Dörfer gibts in Engelberg, Davos, St. Moritz, Gstaad, Zermatt. Infos und Buchungen 041 612 27 28 www.iglu-dorf.com