Interview
Ein verdammt krasser Job
Die Zürcher Filmemacherin Marina Belobrovaja setzt sich filmisch und rechtlich mit Themen zur Reproduktionsmedizin auseinander und ist Mutter eines Spenderkindes.
«wir eltern»: Marina, in deinem Film «Menschenskind» erzählst du offen deinen Weg als Solo-Mama. Wie waren die Reaktionen darauf?
Marina Belobrovaja: Die Leute, die den Film schauen, sind interessiert und wohlwollend gesinnt. Anders die Kommentare im Internet: Innerhalb von Stunden gab es 400 Beiträge von Menschen, die vom Thema getriggert wurden. Viele Kommentare waren emotional und widersprüchlich, alle haben das Gefühl, mitreden zu können.
Kannst du die Widersprüchlichkeit nachvollziehen?
Natürlich! Der Film selbst geht ja diesen Widersprüchen nach. Ich stellte mich unter anderem der Kritik von Protagonist*innen wie Anne, die selbst ein Spenderkind ist und die den Eltern von Spenderkindern Egoismus vorhält.
Deine Tochter ist mittlerweile 10 Jahre alt und weiss, wer ihr Erzeuger ist. Oder sprecht ihr vom «Samenspender»?
(Lacht) Das ist eine Frage, die mich von Beginn weg begleitete. «Samenspender» klingt distanziert, als wolle man die Person anonymisiert aussen vor halten. Das ist nicht der Fall bei uns. Aber Nellys Erzeuger ist nicht Teil unseres Alltags. Ich wollte und will ihn auch nicht künstlich integrieren – und er will nicht integriert werden. Aber zu deiner Frage: «Co-Erzeuger» finde ich einen guten Begriff. Irgendwann kam Nelly mit der Bezeichnung «Biologischer Vater». Dies finde ich auch ok.
Du gehst sehr offen mit dem Entstehungsweg deiner Tochter um.
Es war mir extrem wichtig, dass ich der Gesellschaft und meinem persönlichen Umfeld gegenüber transparent kommuniziere. Deshalb ist es auch kein Geheimnis, dass ich meinen Spender auf einer einschlägigen privaten Plattform fand, die es heute nicht mehr gibt. Ich wollte keinen Mann an einer Party abschleppen und ihm ein Kind unterjubeln. Ich wollte die Bereitschaft der Person haben, seinen Samen herzugeben.
Wie hast du dich rechtlich mit dem biologischen Vater geeinigt betreffend Unterhalt und Erbe?
Unsere Abmachung war natürlich nur mündlich, denn das ganze Unterfangen war ja grundsätzlich nicht legal. Ich versicherte ihm, seinen Namen geheim zu halten, damit er von den Behörden nicht zur Rechenschaft gezogen und auf Unterhalt verklagt werden kann. Er seinerseits stellte sich für Treffen mit meiner Tochter, sollte sie einmal Interesse daran haben, zur Verfügung.
Wann und wie sprichst du mit deiner Tochter über ihren biologischen Vater?
Als Nelly drei Jahre alt war, war sie interessiert an schwangeren Bäuchen. Also erklärte ich ihr die Familienmodelle. Zum Glück leben bei uns im Quartier in Zürich Familien in unterschiedlichsten Formen. Das ist das beste Umfeld, um die Diversität von Lebensrealitäten zu erklären!
Das klingt alles nach Easy-Going. Gab es auch schwierige Momente?
Schwierig ist, dass nicht heteronormative Familien kaum Rollenmodelle zum Vorbild haben. Auch Solo-Eltern müssen sich ihre Rollen selbst erarbeiten. Ein ziemlich schwieriger Moment war jener, als ich erfuhr, dass Nelly genetisch 60 Halbgeschwister hat. Wie sollte ich nun damit umgehen?
Eine Singlefrau mit Kinderwunsch muss ins Ausland reisen oder einen Privatspender in der Schweiz finden. Weshalb hast du nicht den Weg über eine Kinderwunschklinik in Spanien oder Dänemark gewählt?
Ich wollte für mein Kind die Erreichbarkeit des biologischen Vaters sichergestellt wissen, deshalb wählte ich eine private Plattform in der Schweiz.
Und wie hast du damals vor 10 Jahren den Umgang mit den Behörden erlebt?
Die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) muss zum Wohle des Kindes gleich nach der Geburt nach dessen Vater suchen. Mir wurde eine Beiständin zugewiesen und ich wurde verpflichtet, mit ihr zusammen nach dem Vater zu suchen – auch, damit der Staat keine allfälligen Alimente bevorschussen muss.
Du wusstest ja, wer der Vater ist …
Ich habe von Anfang an gelogen und erzählt, dass mein Kind bei einem OneNight-Stand in Berlin gezeugt worden sei. Diese Geschichte erzählte ich bei jeder Befragung erneut. Ich weiss nicht, ob meine Beiständin mir glaubte oder nicht – sie bedrängte mich zum Glück nicht.
Zum Glück?
Es gibt Kantone, in denen die Polizei in die Suche aktiv einbezogen wird. Teilweise werden die Solo-Eltern jahrelang unter Druck gesetzt und müssen mit Anwält*innen zusammen um ihre Rechte kämpfen.
Aber wie du ja selber sagst, mischt sich der Staat zum Wohle des Kindes ein …
Die staatliche Kontrolle ist wichtig! Im Normalfall sollten Väter zu ihren Kindern stehen und von deren Existenz wissen. Das ist der staatliche Auftrag und wir als Gesellschaft wollen das auch. Gleichzeitig ist die Gesetzgebung ein Problem.
Was müsste sich denn rechtlich ändern in der Schweiz?
Samenbanken müssten auch für alleinstehende Menschen zugänglich sein. Dann wird keine unter dem Radar des Gesetzes laufende private Samenspende mehr nötig sein.
Weshalb ist das problematisch?
Weil ein Privatspender, wie in meinem Fall, 60 oder 100 Kinder zeugen kann. Bei den Samenbanken gibt es eine gesetzliche Obergrenze von 8 bis 15 Kindern pro Spender.
Ein Kind ganz solo aufzuziehen, ist auch eine finanzielle Frage …
Ja, das bleibt auch mit dem potenziellen Zugang aller Menschen zu einer öffentlichen Samenbank ein Problem. Dann nämlich, wenn ich nach der Geburt Sozialhilfe beanspruchen müsste. Ich persönlich habe genug Geld, habe einen coolen Job, kann mir einen Babysitter leisten. Ich bin privilegiert. Aber jemand, der die finanziellen Ressourcen nicht hat, wäre weiterhin ausgeschlossen davon, seinen Kinderwunsch zu erfüllen.
Das ist unfair?
Ja. Menschen, die Kinder gebären und aufziehen, leisten einen wesentlichen Beitrag an die Gesellschaft. Eine alleinerziehende Person zu sein – ob mit oder ohne Subventionen – ist ein verdammt krasser Job. Die Arbeit an der nächsten Generation leisten Menschen, die schwanger werden können. Deshalb ist es angebracht, die Hürde, bei der sich nur besser situierte Personen ein Kind leisten können, abzubauen.
Das wichtigste Argument der Behörden ist, dass ein Kind zwei Elternteile braucht.
Wo ist das verankert? In der Bibel? Die Realität spricht eine andere Sprache: Es gibt viele alleinstehende Eltern, die das alleinige Sorgerecht haben. Klar, eine geänderte Gesetzgebung wäre extrem kompliziert – aber erstrebenswert!