Stiefmütter
Die andere Mutter
Zwischen miesem Image und grosser Liebe navigieren sie sich tapfer durch: die Stiefmütter. Unsere Fotografin und ihre Stieftochter widerlegen das Klischee. Wir haben die beiden zum Gespräch getroffen.
Nun also Muttertag. Blümchen für die (leibliche) Mama, Frühstück ans Bett oder Gedichtchen… Doch was ist mit all jenen Frauen, die die Kinder einfach «mitgeliefert bekommen» haben, als Gesamtpaket mit deren Vater? Sollte man nicht auch mal an die denken? Doch, sollte man.
Denn bei Scheidungsraten von rund 40 Prozent und immer mehr Paaren, die ohne Trauschein zusammenwohnen, Kinder bekommen und sich manchmal wieder trennen, ist das Modell Patchwork vom Ausnahme- zum Regelfall geworden.
Wie bei unserer Fotografin Anne Gabriel-Jürgens, die ihrer Stieftochter Zoe ein ganzes Buch gewidmet hat, das liebevoll ihre gemeinsam gewachsene Geschichte zeigt. Wir haben mit den beiden über diese besondere Beziehung gesprochen. Wir treffen uns in einem Zürcher Café an der Limmat. Die beiden kommen gemeinsam an. Plaudernd und kichernd.
«wir eltern»: «Viel Glück zum Muttertag» heisst dein Fotobuch, Anne. Du zeigst darin Zoes Aufwachsen und Szenen aus eurem gemeinsamen Alltag. Kurz: Es ist eine Liebeserklärung an deine Stieftochter in Buchform. Mit euch beiden, das scheint doch mal eine rundum positive, gelungene Patchwork-Beziehung zu sein…
Anne: Ja, ist es. Ich bin zwar mit Zoes Vater inzwischen nicht mehr zusammen, aber Zoe und ich, wir beide treffen uns trotzdem ganz regelmässig. In diesem Sinne ist es rundum gelungen.
Zoe: Dass Anne und ich uns je aus den Augen verlieren könnten, ist völlig undenkbar.
Anne: Was nicht heisst, dass wir nicht auch wirre Zeiten und komplizierte Phasen hatten.
Zoe: Die kommen aber auch in ganz «normalen» Familien vor.
Anne: Es war – glaube ich – gut, dass Zoe und ich uns schon kannten und mochten, bevor die Liebesbeziehung mit ihrem Vater überhaupt anfing. Wir waren Nachbarn und ich habe sie ab und an fotografiert, weil ich schon damals fand, dass sie ein tolles, besonderes Mädchen ist.
Zoe: Das Fotografiert-Werden war von Anfang an «unser gemeinsames Ding». Das haben wir nur zu zweit zusammen gemacht, da war mein Vater gar nicht involviert.
Denkt ihr, dass dieses Zweierding wichtig war für das Gelingen eures Stiefmutter-Stieftochter-Verhältnisses?
Anne: Ich glaube schon. Das Fotografieren ist eine natürliche Annäherung gewesen.
Du musstest dich also nicht «einschleimen», um dich beim Kind deines Partners beliebt zu machen, was ja viele «Nachfoge-Frauen» tun?
Zoe: Das wäre mir doch auch sofort aufgefallen! Anne ist Fotografin. Eine Fotografin fotografiert halt. Da ist nichts Gekünsteltes dabei. Ich durfte ihr auch manchmal bei Fotoaufträgen assistieren, das fand ich megacool. Dabei ist zwischen uns beiden etwas Besonderes entstanden.
Anne: Ja, und dann sind wir alle sehr schnell zusammengezogen.
Zoe hat bei ihrem Vater gewohnt…
Anne: Richtig. Insgesamt war es eine trubelige Anfangszeit. Meine Wohnung wurde gekündigt, deshalb bin ich zunächst mit in die WG gezogen, in der Zoe und ihr Vater schon gelebt haben. Erst später haben wir zu dritt eine Wohnung genommen. Vielleicht war das Durcheinander für den Anfang aber gar nicht schlecht. Denn ich weiss noch, dass ich grossen Respekt hatte vor dem, was kommt. Ich wusste zunächst gar nicht: Was ist eigentlich jetzt meine Rolle. Was soll ich machen? Ich selbst habe ja keine Kinder. Ganz plötzlich, zack, war ich nicht mehr frei und ungebunden, sondern da war ein Kind mit fixen Zeiten, Abläufen und Terminen. Das war eine ziemliche Umstellung.
Und für dich war da plötzlich eine Frau, die nicht deine Mutter war, mit dir und deinem Papa in der Wohnung. Waren da nie Eifersucht, Rivalität um Platz 1 zwischen euch?
Zoe: Mein Vater hat mich kein bisschen verwöhnt. Wenn ich gegen Anne gezickt hätte, da hätte ich ordentlich was zu hören gekriegt. Er hat fadengerade dazu gestanden, dass da jetzt Anne bei uns wohnt und sie ihm viel bedeutet. Vielleicht ist mir deshalb gar nicht erst der Gedanke gekommen, quer zu schiessen.
Anne (lacht): Danke. Stimmt, Marcelo hat stets klar Position bezogen. Ich konnte mit ihm ausserdem immer gut und sachlich reden. Etwa darüber, was wir voneinander erwarten. Zum Beispiel haben wir vorher abgemacht: Egal, wer Zoe etwas sagt, das zählt. Die Erwachsenen bestimmen, wo es langgeht. Ich durfte sie genauso ermahnen oder ihr sagen, was mir nicht passt. Ihr Vater ist mir nie in den Rücken gefallen. Das hat er wirklich gut gemacht.
Zoe: Nur in der Pubertät habe ich, glaube ich, mal etwas in der Art des beliebten Satzes: «Du hast mir gar nichts zu sagen» gebracht. Aber wahrscheinlich hauen auch in «normalen» Familien Pubertierende manchmal Schräges raus.
Anne: Ja, da hatten wir es eine Zeit lang schwierig. Es gab in dieser Phase auch Sorgerechtsstreitereien, Konflikte zwischen deinen Eltern, irgendwann auch Konflikte zwischen uns dreien.
Zoe: Ich bin dann ausgezogen. Ich wollte mich völlig rausziehen. Abstand reinbringen. Ruhe haben. Das hat auch funktioniert, es wurde besser. Aber über diese Zeit möchte ich hier nicht reden, weil ja weder meine Mutter noch mein Vater jetzt etwas dazu sagen können. Mit Anne hatte mein Auszug jedenfalls nichts zu tun. Und als ich dann mit 18 aus der Jugendwohngruppe weggezogen bin, warst du es, Anne, die mich da abgeholt hat. Das weiss ich noch wie heute.
Anne (mit leicht feuchten Augen): Ist doch selbstverständlich. Ich bin zwar nicht deine Mutter und habe auch nie versucht, eine Ersatzmutter zu sein, aber wir beide sind eben gefühlsmässig ganz eng.
Was würdet ihr – im Rückblick – sagen, woran es lag, dass ihr es trotz temporärer Turbulenzen gut hingekriegt habt? Das schaffen längst nicht alle.
Anne: Keiner hat je versucht, jemand anderen schlechtzumachen, niemand von uns ist besitzergreifend und niemand wollte unbedingt die Nummer 1 sein.
Zoe: Stimmt. Wir hatten dieses Konkurrenzgefühl nicht. Mein Vater war ja kein Wochenend-Papa, der mich wie eine Prinzessin behandelt hat. Er hat stets klare Ansagen gemacht. Ich war ich und Anne Anne.
Anne: Ich denke, der Vater ist in solchen Konstellationen die zentrale Figur. Er war klar an meiner Seite und hat mir nie signalisiert, dass mich Zoes Erziehung nichts angeht. Trotzdem habe ich für mich versucht, die Ebenen zu trennen. Da gab es die Tochter-Vater- und die Mann-Frau-Beziehung. Ich finde, eines hat mit dem anderen nichts zu tun. Auch die Mutterrolle habe ich bei der Mutter gelassen. Manches konnte ich einfach nicht entscheiden. Das war ihr Verantwortungsbereich.
Das klingt so sachlich. Hattest du nie dieses rosige Familien-Bild im Kopf?
Anne: Nein. Allerdings habe ich manchmal diese Bilder, wie Familien vermeintlich sein sollten, von meinem Umfeld gespiegelt bekommen.
Liebeserklärung in Bildern
Anne Gabriel-Jürgens hat das Heranwachsen
ihrer Stieftochter Zoe Moyano in einem
Fotobuch festgehalten.
Anne Gabriel Jürgens: «Viel Glück zum Muttertag». Sturm
& Drang, 2023. 304 Seiten, Fr. 48.–
Was habe ich mir darunter vorzustellen?
Anne: Als Fotografin war ich häufig unterwegs, viel weg. Ich habe zeitweilig mehr Geld verdient als Zoes Vater. Wir hatten so eine Art Tausch der klassischen Rollen. Da habe ich mir schon Sachen anhören müssen wie: «Jetzt, mit dem Kind, solltest du aber mehr daheim sein. Du musst dich etwas zurücknehmen.» Dass in den Köpfen Bilder von einer «richtigen» Familie herumgeistern, das habe ich zu spüren bekommen.
Zoe: Den «Patchwork»-Stempel kriegt man sowieso ständig aufgedrückt. Läuft etwas schief, liegt es angeblich immer am Patchwork.
Dabei sind bei Scheidungsraten von 41 Prozent solche Familienmodelle inzwischen normal. Manche nennen sich allerdings lieber «Bonus-Mütter» als «Stiefmütter»
Zoe: Würg. Geht gar nicht der Begriff. Viel zu gewollt. Stiefmutter ist doch völlig okay.
Trotz des Grimmsche-Märchen-Beigeschmacks der bösen Stiefmutter?
Zoe: So ein Quatsch. Sie ist doch einfach eben meine Stiefmutter. Obwohl – ihr wart ja nie verheiratet. Vielleicht bist du gar nicht meine Stiefmutter.
Anne: Stimmt. Aber zum Muttertag hast du mir immer etwas gemalt oder gebastelt.
Zoe: In der Schule wurden wir ja dazu gezwungen (lacht). Aber im Ernst: Wir haben nach aussen nie zwanghaft betont, dass du NICHT meine Mutter bist. Sollen die Leute denken, was sie wollen. Das ist mir egal. Ich habe jedenfalls eine Menge von dir gelernt.
Anne (lacht): Ach? In der Art: «Das hat sie von mir»?
Zoe: (lacht) Ungefähr. Durch Anne habe ich gelernt, dass man seine Meinung nicht immer einfach, klatsch, raushauen soll, dass man sie auch netter verpacken kann, damit man niemanden verletzt.
Anne: Und ich habe durch dich gelernt, dass nicht grundsätzlich alles 1:1 so laufen muss, wie ich mir das vorstelle. Wir haben jedenfalls viel voneinander profitiert.
Was wäre denn jeweils euer Tipp für Stiefmütter beziehungsweise Stiefkinder?
Anne: Niemals die leiblichen Eltern angreifen, denn das tut dem Kind weh.
Zoe: Nicht die Nerven verlieren und viel Geduld haben mit sich und der anderen.
Anne: Genau.
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Im Juni-Heft widmet sich «wir eltern» dann den Stiefvätern und ihrer speziellen Rolle.
Caren Battaglia hat Germanistik, Pädagogik und Publizistik studiert. Und genau das interessiert sie bis heute: Literatur, Geschichten, wie Menschen und Gesellschaften funktionieren – und wie man am besten davon erzählt. Für «wir eltern» schreibt sie über Partnerschaft und Patchwork, Bildung, Bindung, Erziehung, Erziehungsversuche und alles andere, was mit Familie zu tun hat. Mit ihrer eigenen lebt sie in der Nähe von Zürich.