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Der wunderbare Weihnachtswahnsinn
zvg
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Der deutsche Kabarettist Max Uthoff hat vor einigen Jahren mal seine Verwunderung über die guten Vorsätze seiner Mitmenschen zum Ausdruck gebracht. Denn bei Umfragen landet auf Platz eins praktisch immer «Mehr Zeit mit der Familie verbringen» und auf Platz zwei knapp dahinter «Weniger Stress». Wie soll das überhaupt gehen, fragt nicht nur Uthoff sich. Ist unsere Sehnsucht nach Besinnlichkeit, Frieden und ein bisschen Entschleunigung nicht das komplette Gegenteil davon, sich mit anderen Menschen auf engstem Raum auf den Weihnachtskeks zu gehen. Was meine Familie angeht, trifft beides zu: Die Unmöglichkeit dieses Versuchs und die absolute Notwendigkeit. Wir verbringen die Feiertage traditionell bei den 700 km entfernt lebenden Grosseltern, nur um dann anschliessend nach Österreich aufzubrechen, um mit noch mehr Familienmitgliedern zusammenzukommen. Das ist jedes Mal eine absolute Ausnahmesituation. Vier Kinder in die berechtigten Ansprüche von erwachsenen Menschen an Vernunft und Ruhe zu setzen, kommt dem Zünden einer Farbbombe in einem frisch geweissten Zimmer gleich.
Und trotzdem ist das eine der wenigen Momente im Jahr, wo die Lebenskomplizin und ich mal Zeit zum Luftholen haben. Im November und Dezember schlagen Job und Nachwuchs gewöhnlich mit voller Wucht zu, man sieht sich eigentlich nur noch im Dunkeln und erinnert sich bestenfalls vage daran, dass einen noch andere Sachen ausser dem Familien- und Krisenmanagement verbunden haben. Weihnachten bedeutet, dass sich unsere Kinder zwischen all ihren Cousins und Cusinen, Tanten und Onkeln, Omas und Opas glücklich verlaufen und mal eine Weile nicht so genau wissen wollen, wo wir sind. Das gibt uns die kostbare Change, mit einander zu flüstern, zu planen und uns schamlos gut zu finden. Und zwar mitten in all den Verständigungen und Streitereien um Tagespläne, Abendessen, Spielzeug, Fernseh- und Toilettenzeiten.
Es ist ein wunderbarer Weihnachtswahnsinn. So soll es sein.
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Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.