Elternsein
Das erste Jahr als Eltern: Ein Paar-Interview
Anlässlich des ersten Geburtstags ihres Sohnes hat unsere Autorin ihren Mann zum Thema Vatersein befragt. Sie hat Fragen gestellt, ohne über die Antworten zu diskutieren. Einfach zugehört und zu verstehen versucht.
Herzliche Gratulation, Yariv: Du bist seit einem Jahr Vater. Bist du bis anhin der Vater, der du sein wolltest?
Ich denke schon. Wobei es schwer ist, das zurückblickend zu beantworten. Bevor ich Vater wurde, konnte ich mir nie vorstellen, dass ich eines Tages bereit sein werde, so viel meiner Lebensqualität für ein Kind zu opfern: Ich stecke meine Hobbys zurück, gehe weniger aus, bin weniger spontan.
Mir fehlen diese Sachen zwar, dennoch fällt es mir erstaunlich leicht, darauf zu verzichten. Ich hab mir bereits vor dem Vatersein gedacht, dass ein Kind viel Arbeit bedeutet.
Dennoch erstaunt mich die Realität immer wieder: Zwei Stunden lang mit unserem Kleinen spielen ist viel anstrengender, als ich mir vorgestellt habe. Das ist manchmal ein echter Kraftakt, vor allem nach einem langen Tag.
Zudem sind die Spiele in seinem Alter ziemlich repetitiv: Ich drücke zu seiner Unterhaltung manchmal minutenlang auf denselben Knopf. An gewissen Tagen finde ich das sehr ermüdend. An anderen schon fast meditativ. Am allerschwierigsten jedoch empfinde ich den Schlafmangel.
Wir diskutieren oft über das Thema, dabei bin ich erstaunt, dass dich der Schlafmangel immer wieder scheinbar überraschend trifft. Meiner Meinung nach gehört das zu den ersten Sachen, die man übers Elternsein weiss. Du wusstest doch auch im Vorfeld, dass der dazugehört!?
Natürlich wusste ich das. Aber wie sich akuter Schlafmangel anfühlt, kann man erst wissen, wenn man mittendrin steckt. Für eine kurze Phase hätte ich das einfach wegstecken können. Ehrlich gesagt dachte ich auch, dass das nur ein paar Wochen anhält. Aber jetzt ist ein Jahr vorbei und ich werde noch immer mehrmals pro Nacht geweckt und schlafe noch immer nicht so, wie ich das gerne würde.
Was hat dich ausserdem am Vatersein noch überrascht?
Mich überrascht diese ständig wachsende Liebe, die ich unserem Sohn gegenüber empfinde. Das sind Gefühle, die ich so nicht kannte. Wenn ich im Büro bin und dich alle paar Stunden bitte, mir ein Foto von ihm zu schicken, dann vermisse ich ihn richtig. Und dann schickst du mir was, und ich muss während eines Meetings plötzlich lächeln.
Weiter überrascht mich, wie wir uns als Paar entwickelt haben. Wir haben von vielen Freunden gehört, wie ein Kind die Beziehung auf die Probe stellt. Das sagt gefühlt die ganze Welt.
Ich war mir bis zur Geburt sicher, dass das alle ausser uns zwei betrifft. Ich hätte darauf gewettet, dass wir zwei dieses allgemeingültige Muster durchbrechen werden. Natürlich war es nicht so und auch bei uns hat sich durch unser Kind viel in der Beziehung verändert.
Mich hat vor allem erstaunt, wie wenig es braucht, dass ich wütend bin auf dich. Und vor allem, wie schnell die Stimmung kippen kann: Gerade noch waren wir die verliebten Neueltern, die als Models für eine Immobilienfirma im Einsatz sind, und wenige Minuten später sagtest du etwas, was mich auf 120 brachte. Mich hat es ehrlich gesagt etwas enttäuscht, dass das auch uns passiert ist. Hat es dich enttäuscht, dass wir «wie alle» sind?
Ich weiss nicht, ob wir «wie alle» sind, oder was du mit «allen» meinst. Aber ich finde, dass wir viele Sachen sehr gut hingekriegt haben. Zum Beispiel: Wir haben einander sehr schnell ermöglicht, dass jeder Zeit für sich und seine Freunde hat.
Andererseits leidet vielleicht genau darunter unsere gemeinsame Zeit. Wir sind früher viel zusammen ausgegangen und tun das heute kaum noch. Wir sind heute oft zusammen zu Hause und geniessen die gemeinsame Zeit, wenn der Kleine schläft. Aber ausgehen und etwas zusammen unternehmen tun wir kaum noch.
Warum ist dir das wichtig?
Wenn wir zusammen zu Hause sind, dann ist das schon auch romantisch, aber auf eine familiäre Art und Weise. Es ist cosy, angenehm, warm. Aber wenn wir zusammen ausgehen, dann ist das leidenschaftlich. Wir erleben etwas zusammen und es stärkt unsere Freundschaft.
Zusammen weggehen ist immer ein kleines Abenteuer und eine Entdeckungsreise. Ich habe es immer so geliebt, wenn wir zusammen in neuen Restaurants waren und Mahlzeiten bestellt haben, deren Namen wir nicht aussprechen konnten. Diese kleinen Abenteuer fehlen mir.
Fehlt dir unser Liebesleben, wie es früher war?
Natürlich tut es das. Ich möchte aber fest daran glauben, dass das jetzt eine längere Phase ist und wir in Zukunft wieder zu unserer alten Form zurückfinden. Ich finde, dass die Einbussen unseres Liebeslebens ein fairer Preis sind für das, was wir als Familie dazugewonnen haben.
Aber ich habe manchmal schon etwas Angst, dass es zwischen uns diesbezüglich nicht mehr so sein wird wie früher.
Könntest du auch glücklich sein, wenn das nicht passieren würde?
Wenn wir den ganzen Rest unserer alten Beziehung zurückkriegen würden, so wie zum Beispiel das Ausgehen, dann könnte ich das länger so aushalten. Aber den Gedanken zuzulassen, dass das zwischen uns jetzt für immer so bleiben könnte, finde ich schwer. Zwar bin ich mir sicher, dass das alles nur eine Phase ist, aber es wäre leichter, die Deadline zu kennen.
Bist du glücklich?
Ja. Sehr sogar. Ist das nicht klar?
Finde ich nicht. Unglücklich in der Elternrolle zu sein und darüber zu sprechen, ist ein riesengrosses Tabu. Ich gehe zwar davon aus, dass du es bist. Aber ich hab dich nie direkt gefragt. Du mich auch nicht...
Wenn nicht, hätte ich dir das gesagt. Unsere Familie, unser Sohn, du... Ihr macht mich glücklich. Vor allem diesen kleinen Menschen glücklich zu sehen, macht mich automatisch auch glücklich. Bist du glücklich?
Sehr sogar. Ich empfinde unseren aktuellen Lebensabschnitt als wahnsinnig intensiv. Irgendwie routiniert, aber gleichzeitig auch täglich im Wandel. Findest du, das Vatersein hat dich verändert?
Ich bin empathischer geworden, denke ich. Soziale Themen berühren mich jetzt viel mehr, weil ich die Situation gedanklich auf unseren Sohn und uns übertrage. Ich denke schon, dass mich Vatersein weicher gemacht hat.
Siehst du mich mit anderen Augen, seitdem ich Mutter bin?
Ja. Ich sehe, wie viel du von dir geben kannst. Ich kannte das von dir bereits von unseren Hunden, aber mit unserem Sohn ist das nochmals eine Stufe mehr.
Tut gut zu hören, dass du das siehst... Was macht das mit dir, dass ich unseren Sohn mehr liebe als dich?
Das hast du mir so noch nie gesagt.
Dich überrascht meine Antwort? Empfindest du das nicht genauso?
Ehrlich gesagt: Ich hab mir das noch nie überlegt. Ich glaube, ich liebe euch unterschiedlich. Das kann man gar nicht vergleichen. Wenn ich mir deine Worte so überlege, ist es schon etwas befremdend: Bis vor einem Jahr war ich deine Nummer eins... Jetzt nicht mehr. Aber andererseits ist unser Sohn ein Teil von mir. Ich denke, ich kann damit leben.
Sag mal: Warum wolltest du überhaupt Vater werden? Diese Frage haben wir von deiner Perspektive noch nie besprochen.
Ich fand den Gedanken schön, mir etwas Eigenes aufzubauen. Mein Haus, meine Frau, meine Kinder. Es ist ein konservativer Gedanke, mit dem ich aufgewachsen bin, den ich aber noch immer so hege. Auch als Vater die Chance zu erhalten, meinem Kind Sachen zu ermöglichen, die ich nicht haben oder tun konnte, empfinde ich als bereichernd.
Wenn du vor der Geburt gewusst hättest, was du jetzt weisst: Was hättest du anders gemacht? Oder was hätten wir zwei besser machen können?
Ich hätte uns vor der Geburt eine bessere Infrastruktur aufgebaut. Ich hätte mir überlegt, wo im Alltag unsere Trigger liegen und versucht, diese zu verhindern. Konkret: Uns hätte eine Putzhilfe sehr geholfen, finde ich. Wir haben so oft und so unproportional viel über Haushaltsthemen gestritten, die dann in Grundsatzdiskussionen übergingen.
Die Toleranzgrenze füreinander als Neueltern ist viel tiefer. Du hast das eher gespürt als ich: Du hast nachts gestillt und warst die ganze Zeit mit dem Kleinen. Ich konnte während der Arbeit emotionalen Abstand gewinnen.
Wir hätten uns mit einer besseren Organisation viele Streitigkeiten sparen und stattdessen Zeit zusammen und mit unserem Sohn verbringen können. Das ist auch mein wichtigster Rat, den ich werdenden Eltern gebe.
Bei jedem sieht eine gute Infrastruktur anders aus: Wenn es keine Putzhilfe ist, dann sind es vielleicht Freunde oder Familie, die ab und zu mitanpacken können. Es geht einfach darum, möglichst viel Konfliktpotenzial aus dieser emotionalen Anfangsphase herauszunehmen.
Denkst du noch oft an die Geburt?
Fast gar nicht. Wenn, dann eher daran, dass ich mir für ein nächstes Mal eine leichtere Geburt für uns wünsche. Ich erinnere mich an all die Ärzte, die ständig reinkamen und den Herzschlag des Kleinen überprüften. Ich habe mich in der Situation nicht wohlgefühlt. Der Gedanke, dass in deinem Bauch etwas von uns ist, das in Gefahr sein könnte, fand ich schrecklich.
Obwohl wir eine sehr lange und turbulente Geburt hatten, hab ich sie genossen. Ich fand, das war das irrste Erlebnis meines Lebens, trotz aller Unsicherheiten. Und anders als du denke ich oft daran zurück. Und ich denke auch gern daran zurück. Bereust du es, dass du mit dabei warst?
Es ist bestimmt einfacher als Mann, nicht dabei zu sein. Die Geburt empfand ich als sehr unangenehm. Und gleichzeitig gab es viele Entscheidungen zu fällen, die ich keinem anderen hätte überlassen wollen. Kaiserschnitt ja oder nein... Wer sonst kann das entscheiden, wenn nicht die Eltern?!
Kannst du verstehen, wenn jemand keine Kinder haben möchte?
Das kann ich sogar sehr gut verstehen. Unser Fokus heute liegt stark auf individueller Selbstverwirklichung und mit ihr kommen viele verschiedene Lebensentwürfe. Ich finde das gut und finde sogar, dass das ein Fortschritt ist. Jeder muss für sich entscheiden, ob all das, was Kinder einem geben, den Aufwand, den sie bedeuten, aufheben. Wer keine Kinder haben möchte, der ist sich der damit verbundenen Arbeit bewusst. Kinder bedeuten Zeit und Geld und Energie... Ich kann verstehen, wenn man das alles nicht aufopfern möchte. Aber andererseits weiss man auch nicht, was ein Kind bedeutet, bis man selbst eins hat. Und dazu gehören auch alle schönen Seiten.
Zwischen 2013 und Ende 2021 lebte und arbeitete die Zürcherin Joëlle Weil in Tel Aviv. Es gibt wenig Orte auf dieser Welt, die ihrer Meinung nach so vielseitig und spannend sind, wie Israel. Inzwischen ist die freie Journalistin mit ihrer Familie in die Schweiz gezogen um sich hier ein Leben aufzubauen.