Muttertag
Danke für nichts, Mutti
Welche Gefühle löst der Muttertag bei euch aus? Unsere Chefredaktorin findet, ihre Kinder müssen ihr für gar nichts dankbar sein. Denn sie hat aufgehört, sich aufzuopfern. Einen Wunsch hat sie trotzdem.
Der Muttertag hat mir schon als Kind vor allem eines bereitet: Unbehagen. Unbehagen, wenn ich unter Anordnung der Lehrerin zwei vorgeschriebene Sätze auf ein selbstgefaltetes Herz schreiben musste. «Liebe Mami. Danke, dass du so viel für uns machst.» Irgendwie wissend, dass das nicht genügt, dass ich meiner Mutter gegenüber in einer seltsamen Schuld stehe, für die ich als Kind nichts konnte. Damals, in den späten 1980er-Jahren, gab es in der Schweiz keinen Vatertag, warum auch. Der verdiente das Geld, war abends müde und brauchte Ruhe. Mama hingegen, die arbeitet immer und doch nie richtig, die verdiente nichts, ausser unserer Dankbarkeit. Unbehagen schon in Kindertagen.
Dauergenervte Aufräumerin?
Es wurde noch viel schlimmer, als meine eigenen Kinder am Muttertag mit den ersten selbst gebastelten Herzchen aus der Kita kamen. Sie waren stolz, ich war gerührt. Es war herzig. Zumindest, bis mein Ältester in die erste Klasse kam und schreiben lernte. Dann stand da auf dem Kärtchen: Danke Mama, dass du so gut kochen und aufräumen kannst. Mir blieb die Rührung im Hals stecken. Ich kann nicht besonders gut kochen und allen hinterher zu räumen, nervt mich gewaltig. Sieht mich mein Sohn so, eine kochende und dauergenervte Aufräumerin? Muss er mir dankbar sein dafür, dass ich Dinge erledige, die in diesem Haushalt einfach erledigt werden müssen?
«Nein», schreibt die Schweizer Philosophin Barbara Bleisch. Sie hat der Frage, was wir unseren Eltern schuldig sind, ein ganzes Buch gewidmet. Ihr Ergebnis: wir sind ihnen gar nichts schuldig. Denn erstens: Das Gefühl der Dankbarkeit lässt sich nicht erzwingen. Und zweitens: Die Eltern-Kind-Beziehung beruhe naturgemäss auf einem Ungleichgewicht im Geben und Nehmen.
Unsere Kinder sind nicht schuld
Wenn überhaupt ein Schuldverhältnis besteht, so noch am ehesten aufseiten der Eltern, dies befand der deutsche Philosoph Immanuel Kant schon vor 250 Jahren in seiner «Metaphysik der Sitten». Durch den Akt der Zeugung würden Eltern ein Kind ohne dessen Einwilligung auf die Welt setzen. Väter und Mütter sollten sich hüten, diese Person als ihr Eigentum zu betrachten. Ganz im Gegenteil: «Sie schulden ihrem Kind, es so schnell wie möglich zu einem selbstbestimmten Wesen heranzuziehen.» Erstaunliche Gedanken zu einer Zeit ohne Empfängnisverhütung und diametral dem christlichen Verständnis entgegenlaufend, wonach man Mutter und Vater ein Leben lang ehern soll, völlig egal, was sie einem vielleicht angetan haben.
Ich finde Bleisch und Kant haben recht. Meine Kinder haben weder um ihr Leben gebeten noch um ein Haus im Grünen, Velotouren an den Wochenenden, Gemüse zum Zmittag und Klavierunterricht. Genau dafür strampeln mein Mann und ich uns aber tagtäglich ab – weil wir es so wollen! Weil es unsere Idee von Familie und Kindheit ist. Dass wir unsere Kinder abends ins Bett stecken, ihnen Znüni machen und ihnen so viel Liebe geben, wie wir können, ist kein Akt unserer Grosszügigkeit, sondern unsere moralische und gesetzlich vorgeschriebene Pflicht. Dass das alles mehr als nur ein bisschen anstrengend ist, dass mein Mann und ich immer wieder darum ringen, wer was wann tun muss, es ist nicht die Schuld meiner Kinder. Sie müssen uns, und schon gar nicht mir im Speziellen, dafür dankbar sein. Wenn schon, müsste mir die Gesellschaft dankbar sein, dass ich versuche, Arbeit, Erziehung und Beziehung irgendwie unter einen Hut zu bekommen, dabei noch Steuern zahle, den Abfall trenne, an alle Geburtstage denke und an die Abstimmungsunterlagen.
Katja Fischer De Santi, Chefredaktorin und Mama
Mir dämmert langsam, woher mein Unbehagen mit diesem Muttertag kommt. Die Kinder und ihre gebastelten Herzchen sind nicht das Problem. Die sind herzig. Das Unbehagen kommt von der Aufopferungsseite angeschlichen. Kindliche Dankbarkeit, um die Ungerechtigkeit zu manifestieren, die nicht die Kinder, sondern die Gesellschaft über unsere Grossmütter und Mütter gebracht hat.
Ohne Murren weiter so
Als der Muttertag 1923 aus den USA übernommen wurde, war die Botschaft ziemlich klar. Ein Sträusschen auf dem Tisch für die politisch entrechtete, finanziell abhängige Mutter, dazu ein Kärtchen «der lieben Mama». Das war dem Patriarchat nur recht, aber vor allem sehr, sehr billig. Die Botschaft des Muttertags lautete: Wir ehren dich an diesem einen Tag. Mach bitte ohne Murren weiter so, sonst kracht nämlich das ganze System zusammen. Dass dieses Mutterbild noch nicht so weit in den Geschichtsbüchern verstaubt, wie ich das vielleicht gerne hätte, merkt, wer im einschlägigen Online-Handel «Muttertagsgeschenk» eingibt. Ein gerahmtes Herzbild mit dem Satz «Du hast für mich zurückgesteckt, darum bist du für mich die beste Mutter der Welt», für 23 Franken bringt es die Botschaft recht gut auf den Punkt.
Nun, ich gehöre einer anderen Generation Frauen an. Ich bin und war nie eine aufopferungsvolle, selbstlose Hausmutter. Ich wollte auch mit Kindern so gleichberechtigt wie nur möglich leben. Doch kaum schwanger, habe ich dann doch gefunden, dass es biologischlogisch ist, dass ich weniger hochprozentig arbeite als mein Mann. Dass ich alleinig zuständig bin für Nahrung, Wäsche, Bildung und emotionale Nähe, ich bin ja die Mutter. Jean-Jacques Rousseau hätte seine helle Freude an mir und meinem Mutterinstinkt gehabt. Der Genfer Pädagoge und Aufklärer verschriftlichte 1726 in seinem Buch «Emile oder über die Erziehung», was heute noch viele denken und nicht wenige (Mütter) auch fühlen: Dass der Frau das mütterliche, umsorgende und aufopferungsvolle in den Busen gelegt ist. Sie könne gar nicht anders, als das Kind mehr zu lieben, sich mehr verantwortlich zu fühlen als der männliche Erzeuger, war Rousseau überzeugt.
Biologisch-logisch
Es dauerte Jahre und das Studium einiger feministischer Literatur, bis ich erkannte, dass für mich nichts daran logisch ist (ausser das Gebären und Stillen), sondern vor allem eines; unfair. Dass die Rolle der alleinigen Umsorgerin für manche Frauen stimmig ist, aber nicht für alle, nicht für mich. Mein Mann jagt draussen auch keine Mammuts, sondern backt die tollsten Torten. Wir leben, arbeiten und erziehen nun so gleichberechtigt, wie wir das wollen und meistens funktioniert das sehr gut. Und dann kommt jedes Jahr am zweiten Sonntag im Mai dieser Muttertag, wie aus einer längst vergangenen Zeit, angeschlichen und raunt mit hämischer Stimme: «Hallo Mütterchen, hast du dir die Liebe deiner Kinder auch schön verdient? Bist du auch genug aufopferungsvoll gewesen, hast du auch alles getan, damit sie glücklich sind?»
Eine Freundin, mit der ich über mein Unbehagen mit diesem Dankbarkeitsthema rede, sagt zu mir. «Nicht der Muttertag ist dein Problem, sondern dass du dich von diesem Tag auf eine eindimensionale, für dich nicht stimmige Rolle reduziert fühlst. Aber du bist immer ihre Mutter, ob du im Büro arbeitest, Mittagessen kochst, dich am Elternabend meldest oder am Wochenende tanzen gehst. Du als ganze Person bist ihre Mutter, immer und für immer und du machst das gut.» Ich schaue sie lange an und irgendwas in mir drin macht klick.
Wofür bin ich meiner Mutter heute dankbar?
Wenn ich aber an meine Mutter denke, dann spüre ich sehr wohl, dass ich ihr dankbar sein sollte, für meine typische 1980/90er-JahreKindheit, die sie in meiner Erinnerung alleine schulterte. Meine Mutter passt ins Raster der damaligen Zeit. Sie hat ihren LehrerinnenBeruf für die Familie aufgegeben. Als das Geld etwas knapp wurde, arbeitete sie stundenweise in Jobs, für die sie masslos überqualifiziert war. Aber es gab keine andere Möglichkeit, auf dem Land, ohne Kitas, ohne Tagesstrukturen, ohne Solidarität wohl auch unter den Müttern. Jede musste das irgendwie alleine schaffen. Als die alleinige Erfüllung durch das Muttersein ausblieb, stellte sich Unzufriedenheit und Groll ein. Aufs System aber wohl auch auf uns Kinder, die, ausser am Muttertag, wenig Dankbarkeit zeigten. Auffallend auch, wie mein Vater stets besorgt war, dass wir den Muttertag nicht vergessen. Heute ist mir klar, er wusste um die Unzufriedenheit und Ungerechtigkeit. Wenn jemand dankbar sein musste, dann er.
Trotzdem fühle ich heute grosse Dankbarkeit, wenn ich auf meine Kindheit zurückblicke. Aber nicht darauf, dass sich meine Mutter aufgeopfert hat, ihre Wünsche zurückgesteckt hat. Nein, ich war stolz, als sie wieder als Lehrerin zu arbeiten begann. Fand es lustig, dass mein Vater nun ein Mittagessen pro Woche für uns kochen musste, und es anfangs immer das gleiche Nudelgericht gab.
Dankbar bin ich ihr, dass sie mich so erzogen hat, dass ich früh auf eigenen Beinen stehen konnte. Dass sie mir den Glauben mitgab, dass ich mir meine Träume selbst erfüllen kann. Dankbar war ich ihr als Kind immer, wenn sie für mich eingestanden ist. Wenn sie mir gezeigt hat, dass sie mich und was ich tue gut findet. Wenn sie mir geholfen hat, egal wobei. Dankbar bin ich ihr, dass sie mir Freiheiten und Möglichkeiten zugestanden hat, die sie nicht hatte.
Ich glaube, positive Dankbarkeit hat viel mit einem gesunden Gefühl der Demut zu tun. «Ich hatte Glück! Meine Eltern sind gute Menschen, sie haben mir alles ermöglicht» – um so fühlen zu können, muss die Erkenntnis aus einem selbst kommen, nicht aus einer Schuldigkeit heraus.
Ich bin gut genug
Mein Mann hat den Muttertag von Anfang an mehr oder weniger ignoriert, er sieht keinen Anlass, mich zu rühmen oder zu ehren. Kochen tut er auch an anderen Tagen und in Sachen Ausschlafen am Wochenende bin ich sogar deutlich im Plus. Zudem, ich weiss bis heute nicht mal, wann genau Vatertag ist. Meine Kinder müssen mir nicht dankbar sein, dass ich ihre Mutter bin. Sie hätten dann und wann wohl gerne eine andere, denn ich bin weit davon entfernt, perfekt zu sein, es ist schlicht auch nicht (mehr) mein Anspruch. Ich bin gut genug. An manchen Tagen noch nicht mal das, und das ist auch ok.
Irgendwann in der zweiten Klasse brachte mein Sohn zum Muttertag wieder ein Briefchen aus der Schule mit. Die Lehrperson hatte keinen Satz mehr an die Wandtafel geschrieben, er musste selbst etwas formulieren. «Liebe Mami, du bist so schön wie eine Katze und kannst gut schreiben und kuscheln, ich hab dich gern.» Dieser Zettel hängt noch heute an meiner Pinnwand. Da steht nichts von Danke, keine Aufzählung von Haushaltstätigkeiten. Mein Sohn hat mich beschrieben, wie er mich gerade sieht. Und genau das ist es, was ich mir wünsche. Keine Blümchen, keine Herzchen, sondern, dass wir uns als Familie sehen und unterstützen, mit all unseren Schwächen und Stärken. Und diesen Haushalt, in dem wir alle leben, den müssen wir zusammen irgendwie gewuppt kriegen, also packt lieber mit an, als ein Herzchen zu basteln.
Katja Fischer De Santi ist seit Mai 2022 Chefredaktorin von «wir eltern». Davor war sie 15 Jahre lang als Gesellschaftsjournalistin bei verschiedenen Tageszeitungen in leitenden Funktionen tätig. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Buben am Bodensee, weil dort die Gedanken so weit schweifen können.