Aus dem Vaterland
«Cola statt Bad»
Ich habe ein Viersternkind, das jeden Upgrade auf fünf Sterne mit dem grössten Vergnügen akzeptiert. Mein Junge, zehn Jahre alt, betritt jedes Hotel, in das wir gemeinsam einchecken, mit den geblähten Nasenflügeln eines geübten Hoteltesters, der sich schon bei den ersten Schritten über die Pforte einen Eindruck verschafft. Wonach riecht es hier? Ist die Luft frisch? Liegt ein leiser Duft nach Jasmin in der Halle, der aus versteckten Zerstäubern kommt und für das Wohlbehagen der Gäste sorgen soll? Oder sitzen in den Brokatvorhängen noch die Erinnerungen an Zeiten, als man hier, riesige Zigarren schmauchend, die Wirtschaftsseiten der Neuen Zürcher Zeitung studierte?
Wenn der Mensch durch Nachahmung lernt, dann hat sich mein Sohn von mir den flackernden Blick abgeschaut, der über die Finger der Concierge (sauber? gepflegte Fingernägel?) bis zur Ausstattung jedes Zimmers (zweckmässig? abgerockt?) die wesentlichen Details wahrnimmt.
Er kontrolliert zum Beispiel akribisch genau, ob sich in der Minibar – dem grössten Wunder, das dem minderjährigen Reisenden regelmässig widerfährt – auch diesmal attraktive Dinge befinden: zwei Cola, zwei Schweppes, vielleicht auch eine Stange Toblerone. Blöd ist er nicht, der Bub.
Er fragt: Willst du ein Bier?
Eigentlich ja, wenn du so fragst. Und was nimmst du?
Cola, wenn ich darf.
Na gut.
Zu Hause gibt es nie Cola. Bier auch nicht.
Inzwischen hantiert der Kleine schon mit der Fernbedienung des Fernsehers. Seit wir in einem Hotel waren, das Sky Sport einprogrammiert hatte, hat er mich an der Angel, denn damals platzten wir mitten in die Direktübertragung von FC Chelsea gegen Manchester United, und wir sahen, wie Manchester heroisch einen 0:3 Rückstand aufholte. Ich meine – hätten wir das Spiel vielleicht nicht anschauen sollen, nur weil draussen die Sonne schien und die anderen zum Schlitteln gingen? Es war herrlich, mit dem Buben auf dem Doppelbett zu liegen, Bier (ich) oder Cola (er) zu trinken und ein Spiel zu sehen, wie es auf unseren paar Programmen zu Hause sicher nicht übertragen wird. Man lernt etwas über wahre Bedürfnisse.
Ein Zimmer mit Minibar: vier Sterne. Ein Zimmer mit Sky Sport: fünf Sterne. Das ist die Wertung meines Buben.
Meine Wertung bezieht sich auf gute Betten, einen guten Blick aus dem Zimmer und ausreichend Platz für den Inhalt meines Koffers. Ich liebe gute Kosmetik im Bad, ein Duschgel von Kiehl’s oder REN und Handtücher, die gross, nicht zu dünn und nicht zu schwer sind.
Mein Bub würde den sechsten Stern an Hotels ohne Bad vergeben. Er hat es nicht so mit dem Duschen.
Er würde auch einem Zelt, in dem ein Kühlschrank mit zwei Cola und zwei Schweppes steht, vier Sterne geben.
Ich wiederum gebe für den Anblick meines Kleinen, der in einem zu grossen Bademantel vor dem Fernseher liegt und, während er seine Cola schlürft, ein Fussballspiel kommentiert, jeden Stern.