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Bundestagswahl – Kinderedition
zvg
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«Was ist denn das für ein dummer Opa?! Das kann doch nicht dem sein Ernst sein.»
Der entgeisterte Blick meines Zehnjährigen flackert zwischen mir und dem Fernsehbildschirm hin und her, auf dem gerade verkündet wurde, dass der AfD Politiker Alexander Gauland es für höchste Zeit befindet, dass Deutsche wieder stolz auf Wehrmachtssoldaten sind.
«Haben die nicht den Krieg angefangen und die ganzen Juden umgebracht?»
Interessante Zusammenfassung. Ich überlege kurz, ob ich meinem Sohn etwas über die verschiedenen militärischen Gruppierungen im 2. Weltkrieg erzähle oder davon, dass schätzungsweise 150.000 Soldaten jüdischer Abstammung in der Wehrmacht gedient haben, aber dann lasse ich es. Das führt deutlich zu weit. Ausserdem braucht Alexander Gauland Nachhilfe in Geschichte und nicht mein Sohn. Emil weiss zwar nichts von dem Mythos der «Sauberen Wehrmacht» und von dem verlogenen öffentlichen Schwur, mit dem ehemalige Wehrmachtsangehörige 1955 bezeugten, nur ihre soldatische Pflicht getan und keine Gräueltaten verübt zu haben, aber das muss er auch nicht. Noch nicht. Emil ist 10 und dieser erbärmliche Geschichtsklitterer, der so gerne stolz sein möchte und es doch eigentlich besser wissen müsste, ist 76. Dass mein Junge darüber mindestens so fassungslos ist wie ich, mag verwunderlich erscheinen, aber wir waren schon immer eine ziemlich politische Familie.
Meine Lebenskomplizin und ich sind eine Ost-West-Beziehung. Für uns war und ist es wichtig, dass unsere Kinder wissen, woher wir kommen, und wie es möglich war, dass wir zusammenfinden konnten. Wenn Wahltage sind, dann nehmen wir die Kinder ins Wahllokal mit und feiern das. Enttäuschte Erwartungen und Politikverdrossenheit hin oder her: Als meine Mutter mich damals mitnahm, hiess das nur «Wählen», war aber eigentlich Zettelfalten. Nichts liess sich ankreuzen, eine Wahl hatte man nicht. Ich habe nicht vergessen, wie sehr man sich nicht wählen wollen leisten können muss. Andere, so scheint es, haben dieser Tage nicht nur ihr Gedächtnis, sondern auch ihren Anstand verloren. Die werden den «dummen Opa» und seine Nachtjacken aller Voraussicht nach in den Bundestag wählen. Der Rapper Dendemann hat das schon letztes Jahr auf den Punkt gebracht.
Was, du willst wissen was rechts ist?
Ich sag dir was rechts ist, ein schlechtes Gedächtnis.
Ja ja, schau dir diese braune Scheisse an,
Wahlergebnisse wie aus den Dreissigern.
Diese «braune Scheisse» wird Deutschland wohl eine ganze Weile beschäftigen – wieder einmal. Noch dazu mit ungewissem Ausgang. Ich werde meinem kleinen Kerl so allerhand erklären müssen. Das schärft unser beider Gedächtnis. Und darauf kommt es offenbar an.
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Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.