Familie / Patchwork
Brief an einen Rabenvater
Von Mike Brom* Illustration Patric Sandri
Der leibliche Vater ist ein absoluter Versager – findet der Stiefvater. In einem Brief erklärt er, weshalb. Und spiegelt damit das Verhältnis mancher Stiefeltern-Konstellationen.
Wie fühlt es sich für einen Vater an, sein Kind nur als Wochenendpapi zu sehen? Ein Scheidungsvater antwortet auf den hier abgedruckten Brief. Lesen Sie die Antwort hier.
«Lieber» Max
Du bist ein Idiot. Ein echter Vollpfosten. Das wollte ich dir schon immer einmal sagen. Wie kann man nur so ein lausiger Vater sein? In diesem Brief möchte ich dir aufzeigen, was von deiner Seite schon alles an schlechtem Verhalten zusammengekommen ist. Denn ich glaube nicht, dass du dir dessen bewusst bist. Und falls doch, umso schlimmer.
Eigentlich kenne ich dich gar nicht. Unsere gemeinsame Zeit beschränkt sich auf Übergaben und ein paar Geburtstage, an denen du aufgetaucht bist. Geredet haben wir dabei nur das Nötigste, sprich so viel, dass es nicht peinlich wurde. Small Talk. Immerhin – und man soll ja immer mit dem Positiven anfangen – bist du mir gegenüber immer höflich. Das ist dann aber schon das Ende der Fahnenstange. Seit vier Jahren kenne ich nun deine Tochter und bin mit deiner Ex-Frau zusammen, seit 2015 sogar verheiratet. Und genau so lange bist du schon ein einziges Ärgernis in unserem Familienleben. Angefangen mit Eifersucht: Darüber, dass deine Ex-Frau einen neuen Partner hat und wohl auch, dass deine Tochter begeistert von ihm erzählt. Meine ersten Aperçus von dir: kleine Sticheleien, die von verletztem Stolz zeugen. Zum Beispiel wolltest du keine Frauenalimente mehr zahlen. Dein Argument: Wenn deine Ex-Partnerin Zeit hat, rumzuvögeln, kann sie auch 100 Prozent arbeiten gehen. Dabei bist du derjenige, der für die unschöne Auflösung deiner Familie verantwortlich ist.
Womit hat die chronische Misere mit dir angefangen? Ich weiss es nicht mehr. Vielleicht schlicht damit, dass du, wenn deine Tochter Chiara bei dir war, einen Zirkus sondergleichen veranstaltet hast. Europapark, Alpamare, das Wochenende war immer total verplant. Und wir waren die Spassbremsen, die nie etwas unternahmen. Und die Psychologen, die das von Eindrücken überforderte Kind erst wieder erden mussten. Danke auch. Aber eigentlich war das noch fast heilig, da warst du immerhin noch motiviert. Einzig deine Überforderung, dich auf ganz einfache Weise mit deiner Tochter zu unterhalten, auf ganz simple Art mit ihr zusammen zu sein, war schon spürbar. Einfach mal gemeinsam malen oder zum nächsten Spielplatz gehen – eine Seltenheit. Besser bespassen als sinnvoll beschäftigen.
Leider hast du so deine Tochter nie richtig kennengelernt.
Immer wieder gab es Phasen, in denen es dir schlecht ging, dann schriebst du Chiaras Mutter verzweifelte SMS im Stile von «Ich weiss nicht mehr weiter» – während deine Tochter bei dir war. Kein Wunder startete bei meiner Frau das Kopfkino mit mehreren Horrorfilmen. Gings dir wirklich schlecht oder wolltest du bloss Unruhe stiften? Das hast du jedenfalls geschafft.
Auch deine Partnerinnen waren immer sehr schnell eingespannt. Warst du mit jemandem zusammen, gab es keine exklusive Zeit mit Chiara. Ich vermute, sie war dir immer ein wenig zu anstrengend. Chiara ist ja auch anstrengend, aber sie ist verdammt nochmal auch deine Tochter. Und ab dem Moment, als sie dir zum ersten Mal auf den Arm gelegt wurde, hattest du eine Verantwortung. Eine Verantwortung, die man nicht einfach abgeben kann wie einen Gebrauchtwagen. Das ist allerdings genau das, was du die ganze Zeit versuchst – dich aus der Verantwortung zu ziehen. Du zahlst weniger, als du vertraglich müsstest, du betreust Chiara weniger, als du solltest, du übernimmst viel weniger Pflichten, als du hättest. Eigentlich praktisch gar keine. Du machst kaum Hausaufgaben mit ihr, warst noch an keinem Schulgespräch – hast du je schon mal ihre Wäsche gewaschen?
Stattdessen spielst du vor ihr den coolen Daddy, führst sie deinen Freunden vor. Klar geht das Leben weiter, wenn man ein Kind hat. Aber du führst dein Leben so, als hättest du keines. Und das ist verlogen und falsch. Wenn du dich im Ausgang abschiessen musst, dann mach das an deinen freien Wochenenden – davon hast du ja genug – oder von mir aus auch unter der Woche, aber nicht, wenn Chiara da ist und nichts davon weiss, dass ihr Papi sich rausgeschlichen hat, nachdem sie eingeschlafen war. Eigentlich bezeichnend, denn du versuchst dich immer irgendwie rauszuschleichen. Für ihren Klavierunterricht zahlen? Damit hast du doch gar nichts zu tun? Einen Arzttermin übernehmen? Chiara ist doch eh die meiste Zeit bei uns. Auch von 13 Wochen Schulferien ist sie maximal eine bei dir. Und danach für ein paar Tage kaum zu gebrauchen und erst mal zu resozialisieren.
Klar, dass man so kein Gespür für sein Kind bekommt. Und Chiara immer wieder davon berichtet, wie du sie zusammenstauchst und laut wirst. Erziehung ist ja unsere Sache, Chiara wohnt ja bei uns, aber wenn sie bei dir ist, soll sie sich möglichst gut erzogen aufführen, ja? Und wenn sie krank ist, schiebst du sie auch lieber wieder zu uns ab, denn «da fühlt sie sich ja eh am wohlsten». Das ist blamabel, du bist nicht mal ein Schönwetterpapi, sondern ein Feiertagspapi. Und zwischendurch wieder Rabenvater: Du gehst mit ihr Velo fahren, ohne ihr einen Helm anzuziehen. Immer wieder kommt sie mit Sonnenbrand nach Hause. Beim Schlitteln hast du sie stundenlang alleine in der Skihütte sitzen lassen, weil sie nicht mehr fahren mochte, aber du schon. Du solltest dich schämen.
Als du dann erfuhrst, dass deine Ex-Frau ein Kind von ihrem neuen Partner erwartet, wolltest du deine Tochter kaum mehr zu dir nehmen. Wie armselig: Dein Stolz geht dir über die Liebe zu deinem Kind.
Einmal pro Papi-Wochenende fährst du mit Chiara in ein Einkaufscenter, wo ihr Stunden verbringt, Shopping Time statt Quality-Time. Da spielst du dann auch den Spendablen – obwohl du ja angeblich kaum Geld hast und so wenig verdienst. Demnach zu urteilen, was Chiara erzählt, geht es dir glaube ich nicht so schlecht; es liegen Ferien und Städtereisen drin, immer wieder neue Outfits und teure Möbel. Keine Frage, du lässt es dir gut gehen. Aber hast du dich auch mal gefragt, wie es deiner Tochter geht? Du kannst Monate verstreichen lassen, ohne dich auch nur einmal mit einer SMS bei ihr zu melden.
Uns hingegen kontaktierst du immer wieder mal per Mail. Chiara unterbreche dich ständig und könne nicht stillsitzen.
Was wir dagegen zu tun gedenken. Vor dir müssen wir Rechenschaft ablegen, aber du informierst uns nicht einmal, wohin du mit deiner Tochter verreist. Vor allem meine Frau machst du damit wahnsinnig vor Sorge.
Und trotzdem sagt sie, du gäbest womöglich dein Bestes. Du hättest keinen rechten Vater gehabt und wüsstest deshalb nicht, wie sich ein guter Vater verhält. Du führest halt noch immer eine Art Single-Leben. Ich kann leider überhaupt kein Mitgefühl für dich aufbringen. Die wichtigste Regel, um ein guter Vater zu sein, ist nämlich idiotensicher: Engagiere dich!
Du bist ein Opportunist und Minimalist, hast eigentlich nur ein Kind, wenns dir gerade passt. Im Gegenzug willst du eine coole, unkomplizierte Vorzeigetochter – das versuchst du durchzuboxen, als sei Chiara ein Stück Knete. Und bist dann erstaunt, wenn sie krank wird oder Angst vor dir hat.
Das Schlimmste daran: Du färbst ab. Chiara legt einen erschreckenden Materialismus an den Tag, ähnelt dir, wenn sie schnoddrig wird oder beleidigt, versucht sich wie du, gegen alle Regeln zu stellen und stets eine Extrawurst herauszuholen. Schon das alleine wäre Grund genug, dich auf den Mond zu schiessen.
Ich hoffe bloss, ihr findet dann doch nochmal den Zugang zueinander, sprecht miteinander und seht ein, dass es weder Shopping-Trip noch Abenteuer-Ausflug braucht, um euch miteinander abzugeben. Viel wahrscheinlicher erachte ich jedoch die Möglichkeit, dass Chiara irgendwann einsieht, was für eine Niete sie zum Vater hat und sich von dir distanziert. Ehrlich gesagt, hast du nichts anderes verdient. (* Namen geändert)
Gruss, Mike