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Zwölf Forderungen eines Kindes... und was Eltern dazu sagen
Vielleicht habt ihr die ja auch schon mal gesehen – in der Arztpraxis oder in einem Kindergarten oder wo auch immer: Dieses «12 Forderungen eines Kindes an seine Eltern»-Plakat von Lucia Feider.
Ich sitze da regelmässig im Wartezimmer unserer Kinderärztin drunter (kommt bei 4 Kindern quasi ständig vor) und habe ein bisschen Zeit über sie nachzudenken. Ich stelle mir dann vor, eines meiner Kinder würde das tatsächlich so formulieren, und was ich dann darauf zu sagen hätte. Aber der Reihe nach.
1. Verwöhne mich nicht!
Ich weiss genau, dass ich nicht alles bekommen kann – ich will dich nur auf die Probe stellen.
Ich bemühe mich. Aber du gehörst zu meinen allerliebsten Lieblingskindern. Ausserdem halte ich es für wichtig, dir zu vermitteln, dass anderen etwas Gutes tun einen Wert an sich darstellt. Du darfst mich auch gerne verwöhnen.
2. Sei nicht ängstlich, im Umgang mit mir standhaft zu bleiben!
Mir ist Haltung wichtig, weil ich mich dann sicher fühle.
Ähm, nee. Ernsthaft Kind, das kannst du voll vergessen. Siehe deine 12. Forderung. Wenn ich Angst habe, habe ich Angst, da musst du durch. Leuten sagen, dass sie mit ihren Emotionen aufhören sollen, ist immer eine schlechte Idee. Deshalb sage ich dir auch nie, dass du aufhören sollst zu weinen.
3. Weise mich nicht im Beisein anderer zurecht, wenn es sich vermeiden lässt!
Ich werde Deinen Worten mehr Bedeutung schenken, wenn du zu mir leise und unter vier Augen sprichst.
Hast du Recht, das kann ich auch überhaupt nicht leiden. Gute Idee, das kriegen wir hin.
4. Sei nicht fassungslos, wenn ich zu dir sage: «Ich hasse Dich!»
Ich hasse nicht dich, sondern deine Macht, meine Pläne zu durchkreuzen.
Ja hurra aber auch, du meinst es nicht so. Kann ja sein, aber es verletzt mich trotzdem sehr. Und das ist eine Sache, die du auf jeden Fall lernen musst: Wenn man Menschen so behandelt, verletzt man sie.
5. Bewahre mich nicht immer vor den Folgen meines Tuns!
Ich muss auch peinliche und schmerzhafte Erfahrungen machen, um innerlich zu reifen.
Ich bin ein Schisser, ich weiss. Aber du hast Recht, ich werd mir mehr Mühe geben. Gerade hast du aber noch gefordert, ich solle dich vor meiner Fassungslosigkeit bewahren, wenn du gemeine, verletzende Sachen sagst. Merkste selber, ne?!
6. Meckere nicht ständig!
Ansonsten schütze ich mich dadurch, dass ich mich taub stelle.
Weil du das ja sonst nie machst. Ernsthaft Kind, manchmal führe ich mich wie ein Arsch auf und manchmal du – wenn wir beide dran arbeiten, wird es aber besser.
7. Mache keine vorschnellen Versprechungen!
Wenn du dich nicht an deine Versprechungen hälst, fühle ich mich schrecklich im Stich gelassen.
Kann ich verstehen, aber weisst du was: Ich bin nicht perfekt, ich weiss nicht alles und bin nicht der Meister der Zeit. Und wenn ich dir verspochen habe, mit dir in den Italienurlaub zu fahren und dann krank werde oder kein Geld habe, weil die beschissene Autoreparatur viel zu viel Geld gekostet hat, dann muss ich dieses Versprechen brechen. Ist leider so.
8. Sei nicht inkonsequent!
Das macht mich unsicher und ich verliere mein Vertrauen zu dir.
Natürlich will ich, dass du mir vertrauen kannst. Aber niemand, wirklich niemand mein Kind, ist immer und überall konsequent. Schon gar nicht Eltern.
9. Unterbrich mich nicht und höre mir zu, wenn ich Fragen stelle!
Sonst wende ich mich an andere, um dort meine Informationen zu bekommen.
Guter Hinweis, danke. Ich will, dass du weisst wie wichtig mir das ist, was du zu sagen hast. Darüber hinaus gebe ich diese Forderung gerne zurück: Unterbrich mich nicht dauernd!
10. Lache nicht über meine Ängste!
Sie sind erschreckend echt, aber du kannst mir helfen, wenn du versuchst, mich ernst zu nehmen.
Mach ich nicht, würde mir nie einfallen. Meine darfst du dann auch gerne ernst nehmen. Siehe deine zweite Forderung.
11. Denke nicht, dass es unter deiner Würde sei, dich bei mir zu entschuldigen!
Ehrliche Entschuldigungen erwecken bei mir ein Gefühl von Zuneigung und Verständnis.
Sehr wichtiger Punkt, ich werde mich dran halten.
12. Versuche nicht, so zu tun als seist du perfekt oder unfehlbar!
Der Schock ist gross, wenn ich herausfinde, dass du es doch nicht bist.
Mach ich nicht. Ich bin nicht unfehlbar. Ist dir übrigens aufgefallen, dass du mit einigen von deinen Forderungen genau das verlangst? «Sei nicht ängstlich, sei nicht inkonsequent, halte dich immer an deine Versprechen» und so weiter. Als ich ein Kind war, habe ich meine Eltern auch oft für übergross und perfekt gehalten, obwohl sie das ganz sicher nicht waren. Ich kann mir vorstellen, dass Kinder ihre Eltern – zumindest eine Zeit lang so sehen wollen – egal was die tatsächlich machen. Und dass sie dann auf jeden Fall schockiert ist. Das gehört wohl dazu, ein Kind zu sein.
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Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.