Blog
Wie das Zahnbürsteli in den Magen kam

istockphoto
Es ist schon kurios, an gewisse Dinge in meiner Kindheit kann ich mich noch erinnern, als wäre es gestern gewesen. Und wenn ich davon erzähle, verblüffe ich meine Familie (und mich selbst) meistens, wie mir etwas so Profanes und Nebensächliches in Erinnerung bleiben konnte. Andererseits wollen mir wesentlichere Begebenheiten partout nicht mehr einfallen, zum Beispiel, wie ich in der Unterstufe jeweils aus dem Bett kam (von alleine? nur unter Zwang?).
Jedenfalls kann ich mich sehr gut daran erinnern, dass mir meine Mutter enorm plastisch Schmerzen erklären konnte, die ich mir doch besser ersparen sollte. Die Geschichte dazu geht so: Wir Kinder liessen uns manchmal zu einem Spaziergang überreden, unter der Bedingung, dass wir zum nächsten Bahnhof liefen und wir uns da am Selecta-Automat (der damals womöglich noch nicht so hiess) etwas Süsses ziehen konnten. Auf so einem Spaziergang fanden ein Freund und ich gleich hinter dem Bahnhofsgebäude eine Tafel Schokolade, die noch relativ unversehrt und unverzehrt aussah. Wir Schoggi-Liebhaber (vielleicht waren wir 6 Jahre alt oder noch jünger) befanden, das sehe appetitlich genug aus und mampften munter drauflos. Meine Mutter, die mit dem Hund hinterherkam, schrie auf, als sie uns dabei erwischte und befahl uns, die Schokolade auszuspucken. «Warum denn», fragten wir, nachdem wir dies getan hatten. Weil eine Katze draufgepisst haben könnte oder ein Dachs daran geleckt oder was auch immer (ein Part, an den ich mich wiederum nicht so gut erinnere) und wir deswegen eine Lebensmittelvergiftung kriegen könnten, meinte meine Mutter.
Lebensmittelvergiftung, das klang nicht so schlimm, na und? Mutter wusste natürlich, wie man Kinder beeindruckte und erklärte, dass uns dann der Magen ausgepumpt werden müsste. Dazu müsse uns ein Schlauch den Rachen hinuntergeführt werden. «Tut das weh?» - «Ja» - «Fest?» - «Ja» - «Wie fest?» - Und da kam das Talent meiner Mutter zum Zuge: «So fest, wie wenn du ein Zahnbürsteli verschlucken würdest.» - «Au.» - «Oder ein paar Reissnägel.» - «Ahh.» Da waren wir am Ende doch froh, die Schoggi wieder ausgespuckt zu haben und hatten unsere Lektion gelernt. Noch Tage später dachte ich daran, wie schlimm es sein musste, seinen Magen auspumpen zulassen und allein die Vorstellung schnürte meine Kehle zusammen.

Bist du einverstanden oder hast du dich über den Blog geärgert?
Auf der «wir eltern»-Facebookseite kannst du diesen Blogbeitrag kommentieren.
Reto Hunziker ist 1981 im Aargau geboren, aber das muss noch nichts heissen. Er hat Publizistik, Filmwissenschaft und Philosophie studiert und auch das muss noch nichts heissen. Er arbeitet als freier Journalist und als Erwachsenenbildner und versucht daneben, dem ganz normalen Wahnsinn in einer Patchwork-Familie (Frau, Tochter und Stiefsohn) mit Leichtigkeit und gesundem Menschenverstand zu begegnen – das will was heissen. Alle Blog-Beiträge von Reto Hunziker finden Sie hier.