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Weihnachten wird abgesagt
Es ist mal wieder so weit: Der Dezember steht vor der Tür, Weihnachten naht, kuschelige Jahreszeit, Glühwein schlürfen, ach wie schön, falaralala lalalala. War ja abzusehen. Bei den üblichen Lebkucheninseln in Supermarktketten gleich nach den Sommerferien. Die, wo man sich fragt, wer das jetzt eigentlich kaufen soll, und dabei vergisst, dass Supermarktketten niemals, wirklich niemals Platz für Produkte schaffen würden, die sich nicht verkaufen. Der Grund für spätsommerliche Spekulatius ist also nicht die übliche Weltverschwörung (War ja klar, immer wir, da kann man mal wieder sehen!), sondern schlicht und ergreifend die Tatsache, dass sich dafür genug Käufer finden. Jener ominöse Einzelhandel, den wir gefälligst alle gemeinschaftlich Jahr für Jahr zu retten haben, denkt schon darüber nach, den Weihnachtsplunder ganzjährig anzubieten. Weil es funktionieren würde. Und weil es ja auch Radiosender gibt, die jedes Jahr das ganze Jahr ausschliesslich Weihnachtsmusik spielen. 6.30 Uhr aufstehen? Wham! schon ist Weihnachten.
Ok, ich gebe zu, ich bin möglicherweise etwas vorgeschädigt. Jedes Jahr finden sich ein paar Leute, die zum ersten Mal bemerkt haben, dass meine Familie und ich eher atheistisch geprägt sind, und die es irgendwie lustig finden, mich darauf hinzuweisen, dass wir ja keinen Grund zum Weihnachten feiern haben. Was denn die Kinder dazu sagen würden, harhar?! Nicht so lustig finden sie, wenn ich ihnen erzähle, bei wem die Christen ihr Fest geklaut haben und dass es für sie auch nicht wirklich Grund gibt, Weihnachten zu begehen.
Ausserdem habe ich mir vor einigen Jahren mitten im Hochsommer bei 30 Grad im Schatten mit einigen Kollegen und Kolleginnen für ein Band mit Weihnachtsgedichten Verse über rote Bäcken, Puderschnee und Besinnlichkeit aus den Fingern gesaugt.
Unter dem Ventilator im Schweisse meines Angesichts einen Reim auf klamme Finger zu suchen, hat mich womöglich etwas zynisch gemacht.
Wobei: Feiern tun wir Weihnachten trotzdem. Gute Gründe dafür gibt es nämlich allemal. Es ist viel zu finster und zu kalt, man braucht Highlights um sich über die Jahreszeit zu retten und Freunde und Familie sieht man auch viel zu selten. Menschen zu beschenken, ist eine feine Sache. Oder auch spenden, wenn man den Einzelhandel einfach mal nicht retten will. Statt Rumdümpeln in der Finsternis, steuert man auf Höhepunkte zu. Ist das stressig? Selbstverständlich!
Aber was sollten wir denn stattdessen machen?
Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.