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Über Vulva, Vagina und andere schöne Sachen
zvg
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Mein dreijähriger Sohn hat mir gestern Morgen einen Tee, einen Kakao und eine Vulva angeboten. Die Vulva habe ich ob der frühen Stunde zunächst dankend abgelehnt. Aber das sollte ich wohl erklären.
Seit einigen Wochen ist meine grosse, zwölfjährige, unglaublich tolle, liebens- und anbetungswürdige Tochter (habe ich erwähnt wie toll sie ist), dazu übergegangen, uns ab und an morgens die Kleinen abzunehmen, damit wir ausschlafen können. Wenn die also ziemlich zeitgleich samstags um 6.30 Uhr aufwachen schleppe ich sie schwankend aus ihren Zimmern, wecke meine (Sie ahnen es schon) tolle Tochter, pappe irgendwo eine frische Windel ran (fragen Sie nicht, ich schlafe noch), mache irgendwas zu essen und gehe wieder ins Bett. Drei Stunden später wache ich auf. Alle Kinder leben noch, nichts wurde in die Luft gesprengt oder angezündet. Stattessen gibt es entweder Frühstück oder sie spielen noch zusammen. Gestern also hatte die Grosse ihren Geschwistern im Wohnzimmer einen kleinen Laden zusammengebaut, in dem sie glücklich herumwerkelten. Als ich die Szenerie betrat, wurde ich gleich gefragt, was es denn für mich sein darf. Wie gesagt: Tee, Kakao oder Vulva. Ich lachte herzlich.
Wenige Augenblicke später stellte sich heraus, dass Wodka gemeint war. Es handelte sich nämlich um einen Piratinnenladen wie man mir mit Verweis auf die Augenklappe meiner Jüngsten erklärte. Meine Älteste wollte wissen, worüber ich mich so amüsiert hatte. Ich erzählte es ihr: Vulva bezeichnet das sichtbare Genital der Frau. Sie zuckte mit den Achseln und grinste: «Ich dachte, das heisst Scheide.» Und da wurden mir ein paar Dinge klar.
- Sie weiss es wirklich nicht besser.
- Und zwar weil niemand es ihr beigebracht hat. Auch nicht ihre Mutter oder ich, obwohl wir es besser wissen.
- Ich brauche mir überhaupt nichts darauf einzubilden, dass ich es besser weiss. Ohne Mithu Sanyal und andere kluge Menschen würde ich Venushügel, Schamlippen und Klitoris immer noch unter dem Begriff Vagina subsumieren.
Was folgte war eines dieser Gespräche, an die man sich auch Jahre später noch erinnert. Über Vulven und Vaginen. Über die Notwendigkeit von Genauigkeit und die Ermächtigung durch die sprachliche Entdeckung des namenlosen Gebiets Untenrum. Darüber, dass man zu meinem Penis ja schliesslich auch nicht Hoden sagt, und der bessere Begriff, der das weibliche Genital in seiner Gänze beschreibt, vielleicht Vulvina sein könnte.
Denn wenn ich nicht genau sagen kann, was ist, kann ich auch nicht beschreiben, was ich möchte und was nicht.
Zwischendurch hatten wir Tee, Kakao und Vulva. Und irgendwann kamen wir sogar noch auf den Umstand zu sprechen, dass eine Frau einen Penis und ein Mann eine Vulvina haben kann.
Vielleicht klingt das überzogen, chaotisch und überfrachtet. Aber eigentlich war es ziemlich grossartig.
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Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.