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Papa, was ist Terrorismus?
Ich gucke mit meinen Kindern schon länger die Acht-Uhr-Nachrichten. Auch mit meinem starken Drang, meinen Nachwuchs vor allen Schlechtigkeiten dieser Welt zu schützen, hatte ich ihren Argumenten irgendwann nichts mehr entgegenzusetzen. Sie waren es einfach leid, nur lückenhaft von ihren Freunden über wichtige Ereignisse informiert zu werden. Ausserdem ist es mir lieber, wenn ich ihnen bei Bedarf Dinge erklären kann. Anderswo müssen sie die einfach schlucken und können sie womöglich nicht verdauen.
Und jetzt das! Über 100 Tote in Paris. Ermordet. Erschossen. Aus dem Leben gebombt. Wer kann das meinen Kindern erklären, die doch so viele Fragen haben. Ich weiss, ich sollte. Aber von Können kann überhaupt nicht die Rede sein. Mein Achtjähriger schaut mich an, als hätte man ihn gerade verwundet. Meine Zehnjährige beisst sich auf die Lippen. Dann geht es los:
- Wieso haben die das gemacht?
- Warum schon wieder Paris?
- Kommen die jetzt auch zu uns?
- Werde ich auch so sterben?
- Wenn wir jetzt gegen die kämpfen, muss dann Mama oder du in den Krieg?
- Spielen die jetzt nie mehr Fussball?
- Wie funktioniert eine Granate?
- Haben die keine Kinder, damit sie merken wie doof sie sind?
- Wo kann man sich vor denen verstecken?
- Was wollen die eigentlich?
Ich atme sehr tief ein, so als ob ich damit alles, was ich jemals gelernt habe, in mir konzentrieren könne. Es klappt sogar ein bisschen. Aber es ist nicht genug. So viel Luft kann ich gar nicht holen, als dass sie reichen könnte, um das alles zu erklären. All das Leid. Das Unrecht. Die Grauzonen. Die Zusammenhänge. Kinder wollen immer wissen und erklären, wer angefangen hat. Meine auch. Also Papa, wer hat angefangen?! Was soll ich darauf erwidern? Wo beginnen? 11. September? Irakkrieg? Ölkrise, Waffenverkäufe, Schah von Persien? Kapitalismus, Kolonialismus, Religion? Ich kann das nicht erklären. Stattdessen wird «Ich weiss es nicht» zum meistgesagten Satz des Abends. Stattdessen höre ich zu. Meine Kinder erklären sich und mir die Welt, wie sie sie sehen. Weil wir gut sein können, können wir auch böse sein. Wenn einer keine Angst vorm Sterben hat, müssen alle anderen umso mehr Angst haben. Wenn es Gott gibt, wäre er ein richtiges Arschloch, falls er mit so etwas zu tun hat. Wenn es ihn gibt, hat er auf jeden Fall damit zu tun. Was ist bloss los mit dem – einfach Menschen machen, die nicht traurig sind, wenn sie andere totschiessen?!
Ich werde noch lange an diesen Abend und dieses Gespräch denken. Ganz besonders an eine Frage, auf die ich nie selbst gekommen wäre.
Haben die keine Kinder, damit sie merken wie doof sie sind?
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Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.